Die letzte Etappe

Niemand Zuhause in Tirool

Am Rückweg ins Landesinnere färbt die Mittagssonne die Dünen der Namib in ein mattes Rot. Tafelberge am Rand der Wüste ziehen gemächlich an uns vorbei, während durchs offene Fenster warme Luft um unsere Wangen strömt. Kein Mensch weit und breit, nur selten kreuzt ein Fahrzeug unseren Weg. Wenn man den Begriff “Freiheit“ in Bildern beschreiben möchte, dann findet man hier passende Motive. Bei der Kleinstadt Aus halten wir an einer Lodge, um uns etwas zu erfrischen. Ines erkundigt sich bei den Angestellten interessehalber nach dem Preis einer Nächtigung und erfährt, dass der gesamte Stellplatz sowie die Lodge, aufgrund einer Veranstaltung, ausgebucht sind. Uns kümmert‘s wenig, denn unsere Veranstaltung soll an diesem Abend eine prächtige Darbietung der Milchstraße werden.

Knapp siebzig Kilometer nördlich von Aus gelangt man über eine Schotterpiste zu den Tirasbergen und darüber hinaus bis nach Sesriem, ins touristische Herz der Namib. An Rande der Gebirgskette, soll hinter einer abgelegenen Farm ein bezaubernder Stellplatz liegen, wie uns ein Paar vor wenigen Wochen am anderen Ende Namibias, im Etosha Nationalpark, berichtet hat. Die Farm hat obendrein den vielversprechenden Namen Tirool und darf uns, samt dem extra Buchstaben, ruhig etwas an die Heimat erinnern. So kommt es, dass wir dem Bus am späten Nachmittag noch ein letztes Mal ordentlich Schotter und Fels zumuten. Wenn Michi nicht so mit den neuen Stoßdämpfern mitleiden würde, hätte er an dieser fahrtechnischen Geschicklichkeitsübung durchaus Freude. Gekonnt lenkt er den Bus um die Rinnen und über die Wellen ohne dabei zu fluchen. Kein Wunder bei so viel Schönheit. Nicht nur Ines zufriedener Gesichtsausdruck, auch die Landschaft lädt zum Grinsen ein. Vor uns öffnet sich eine Talsenke, die bis zum Horizont nur von einer schnurstracks geraden Piste durchzogen wird. Vor den Bergen erkennen wir einen kleinen Fleck, dort soll die Farm liegen. Das Ziel ist also in Sichtweite und die Umgebung könnte kaum ansprechender sein. Drei neugierige Oryx-Antilopen veranlassen uns noch zu einem kurzen Stopp, bevor wir die Farm erreichen.

An der Zufahrt halten wir vor dem geschlossenen Tor und stiegen aus. Das breite Tor ist nicht nur geschlossen, sondern obendrein versperrt. Eine Glocke gibt’s nicht. Wir finden auch kein vierbeiniges bellendes Begrüßungskomitee vor, was für einheimische Farmbesitzer so üblich wäre. Ines hat Lust, das Vorhängeschloss auf Beständigkeit zu testen, doch bevor wir uns bemerkbar machen, sehen wir uns entlang der Umzäunung um. Als wir Niemanden finden, kehrt ernüchternde Gewissheit ein: Es ist niemand Zuhause, der uns einen Stellplatz anbieten kann. Das Handy hat obendrein keinen Empfang und die Sonne wirft bereits meterlange Schatten. In der nächsten Stunde wird es dunkel – Alternativen müssen abgewogen werden. Um jeglichen Stress im Keim zu ertränken, öffnet Michi seelenruhig ein kleines Fläschchen Windhuk Lager. Ohne Stellplatz müssten wir direkt an der Straße campieren, die auf beiden Seiten von einem Zaun begrenzt wird. Obwohl Fahrzeuglärm oder gereizte Einheimische ein eher unwahrscheinliches Szenario darstellen, entscheiden wir uns für eine rasche Rückkehr in den kleinen Fleck Zivilisation namens Aus.

An der Zapfsäule des Ortes (Tankstelle wäre übertrieben) erkundigen wir uns nach einem Stellplatz. Es bedarf nur weniger Worte, bis der hilfsbereite Besitzer zur Tat schreitet. Direkt Vis-a-vis gibt es zwar einen kleinen ummauerten Parkplatz, der soll aber erst in den nächsten Monaten zu einem richtigen Stellplatz für Camper ausgebaut werden. Obendrein ist der halbfertige Platz an diesem Wochenende völlig belegt, da ein Bikertreffen im Dorf stattfindet. Nun kennen wir also den Namen der “Veranstaltung“. Nach kurzer Wartezeit draußen, öffnet der Besitzer tatsächlich das Tor und lässt uns passieren. Zwischen Pick-ups und Motorrädern herrscht reges Treiben. Uns steht ein dünner Streifen in der Mitte zur Verfügung. Obwohl das Szenario offensichtlich dem Gegenteil unserer ursprünglichen Abendplanung entspricht, sind wir dankbar für den kleinen Fleck Erde, auf den wir bleiben dürfen. Zwei Armlängen nebenbei feiern drei Männer in Lederkluft lautstark ihr Dasein. Es ist Kuni, der nüchternste der drei Männer, der uns aus seinem akribisch sortierten Camping-Fundus ein kühles Bier anbietet. Die anderen Beiden machen Faxen, grölen und arbeiten an der nötigen Betriebstemperatur, um am Bikertreffen eine gute Figur abzugeben. Einer der Spaßvögel sieht Gimly, dem Zwerg aus Herr der Ringe, zum Verwechseln ähnlich. Mit einem prächtigen Wanst kompensiert der kleine Südafrikaner den etwas kürzeren Bart. Sein Auftritt sollte später folgen. Wir nehmen ihre Einladung, uns später zum Bikertreffen mitzunehmen, höflich zur Kenntnis und bitten um Bedenkzeit. Andauernder Trubel und überschaubare Müdigkeit bewegen uns gegen 22:00 tatsächlich noch dazu, das Dorfspektakel zu besuchen.

Näher als gedacht, führt uns ein schmaler Pfad zu einem Hinterhof, wo bereits ein Lagerfeuer lodert. Direkt daneben überrascht eine moderne und hell beleuchtete Halle. Banner von Motorradherstellern und Fahnen einiger Clubs stecken im kurzen Gras. Wir mustern einige der Gestalten. Die Leute tragen fast ausschließlich dunkle Lederwesten samt Logo und Schriftzug ihres Clubs. Namen wie “Schutztruppe Südafrika“, “Silver Assasins“ oder „Skelleton Warriors“ sorgen für Stirnrunzeln. Während Michi die Strahlkraft seiner hellblauen Softshell Jacke anzweifelt, ist Ines mit ihrer dunklen Farbwahl optisch besser integriert. Im Inneren der Halle sorgen Jägermeister für beste Laune unter den Gästen. Die harten Jungs tragen ein Lächeln im Gesicht und unterhalten sich angeregt. Die schauderhafte Schlagermusik sorgt anscheinend nur bei uns für etwas Unwohlsein. Wir gehören zu den Jüngsten unter den rund 60 Gästen. An der Bar treffen wir unsere Camp Nachbarn wieder, die uns vom Verpassen der legendären Oben-Ohne-Luftgitarren-Performance eines dicken behaarten Zwerges berichten. Zumindest wissen wir, um wen es sich gehandelt hat.

Wir wärmen uns draußen vor dem Lagerfeuer und kommen mit einigen nüchterneren Bikern ins Gespräch. Ein deutschstämmiger Herr Mitte Sechzig erzählt uns Teile seiner bewegten Lebensgeschichte. Sein Weg führte ihn zuletzt an die Atlantikküste Südafrikas, wo er als Koch mit seiner Frau ein Lokal führt, von dessen Terrasse man frühmorgens Wale beobachten kann. Andere erzählen und lauschen ebenso, verstehen Deutsch oder zumindest Fragmente. Überraschend ruhig und zurückhaltend begegnen uns die alten Haudegen. Sentimentalität liegt in der Luft. Wir nippen langsam an unserer Bierflasche und lauschen noch einigen Erzählungen. Als die Flammen aufhören uns zu wärmen, verabschieden wir uns mit einem Lächeln im Gesicht.

Streicheleinheiten im Köcherbaumwald

Früh am Morgen rattern die ersten Motoren und behindern weitere Schlafversuche. Diejenigen, die am Vorabend nicht zu tief ins Glas geschaut haben, verlassen den Ort auf den beiden Rädern, auf denen sie gekommen waren. Es dauert etwas, bis wir in die Gänge kommen und ebenso weiterziehen. Weniger als vier Stunden entfernt liegt unser nächstes Ziel: Der Köcherbaumwald östlich von Keetmanshoop. Nur dort, direkt am Rand der Kalahari, wachsen die seltenen Bäume und bilden in der Nähe des Quiver Tree Rest Camps sogar einen Wald. Das besondere an dieser Pflanze ist das Aussehen. Wie der Name vermuten lässt, sieht nicht nur der gesamte Baum wie ein Köcher voller Pfeile aus, sondern verarbeiten die indigenen Völker seit Generationen die Äste tatsächlich zu Köchern, die sie auf der Jagd begleiten. Der Weg dorthin ist ein Genuss. Zwischen Tafelbergen und Dünen, dann zurück über das trockene Flussbett des Fish Rivers führt uns die Strecke geradewegs nach Keetmanshoop. Die letzten 20 Kilometer Rüttelpiste danach sind verschmerzbar.

Im Camp finden wir einen etwas abgelegen Platz direkt am Waldrand und schwärmen kurz darauf aus, um uns einen Überblick zu verschaffen. Vor Sonnenuntergang spazieren wir zurück um Coenie, dem Besitzer der zugehörigen Farm, bei seiner Routine zuzusehen. Täglich um 17:00 werden seine beiden Geparden “Saddam“ und “Gaddafi“ eigenhändig gefüttert. Was am ersten Blick wie eine bloße Attraktion für Zaungäste erscheint, hat einen ernsten Hintergrund. So wurde die schwangere Mutter der beiden Großkatzen von Coenie gerade noch gerettet, als angrenzende Farmer das umherziehende Tier aus Angst um ihren Viehbestand erschießen wollten. Während Michi dicht am Maschendrahtzaun klebt, entdeckt Ines eine weitere Attraktion. Am Gelände lebt ein zahmes Warzenschwein, dem sie sich langsam nähert. Als Ines in Streichelweite ist, streckt sie ihren Arm aus und erteilt dem Prachtkerl eine vorsichtige Borstenmassage. Das Schweinchen genießt und macht sich anschließend wieder über den Futternapf der Hunde her.

Wir fühlen uns wohl, verbringen den kühlen Abend still am Lagerfeuer und bewundern die Sternendecke am Himmel. Am nächsten Tag streifen wir lange durch das große Gelände, suchen Brennholz, inspizieren Köcherbäume und treffen dabei immer wieder auf die putzigen Klippschliefer. Besonders nahe kommen wir ihnen nur, während sie fressen. Sie sind allerdings keine Kostverächter und setzen sich regelmäßig in Pose. Dabei gelingt es Ines zuerst, ein besonders gefräßiges Exemplar sanft zu berühren. Es ist unterhaltsam ihnen zuzusehen. Etwas größer als Murmeltiere, aber doch ähnlich gebaut, gelingt es ihnen beim Futtern sich imposant zu strecken und verrenken. Interessant ist, dass die kleinen Säugetiere keine Verwandten im Tierreich haben. Sie sind die Nachkommen einer afrikanischen Urgattung, deren lebende Verwandte nur mehr Elefanten und eben die niedlichen Klippschliefer sind.

An die kalten Stunden nach Sonnenuntergang haben wir uns gewöhnt. Wärme, Essen und Sicherheit geht mit dem knisternden Lagerfeuer einher. Michi versucht sich daran, Fotos vom Sternenhimmel zu machen und bereut dabei, sich nicht schon vorher mit der erforderlichen Technik auseinandergesetzt zu haben. Als das Lagerfeuer schwindet, wird uns abermals die völlige Stille bewusst. Leise schweifen wir in Worten und Gedanken gemeinsam in die Zukunft. Wie sehr werden uns diese Momente fehlen? Das Funkeln zigtausender Sterne, das Lagerfeuer, die Tierbegegnungen und das grandiose Aroma von Freiheit werden wir in Zukunft kompensieren müssen.

Drei Tage später sind wir zurück im vertrauten Windhuk. Unsere Ankunft hat den leichten Beigeschmack von Abschied. Vor weniger als zwei Wochen sind wir zuletzt von dort aufgebrochen, in weiteren zwei Wochen geht unser Flug von dort in die Heimat. Die kommenden drei Tage wollen wir bei Samantha nutzen, um den Bus containertauglich zu machen, Reisegepäck zu waschen und sortieren.

Samantha ist ein Schatz. Sie überlässt uns das große Zimmer im Gästebungalow. Es fühlt sich vertraut an als wir es beziehen, und noch vertrauter als die beiden Kater Storm und Garfield vor der Tür stehen. Während Samantha und Andries den Braai vorbereiten, räumt Michi den Bus gründlich aus, säubert ihn und überlässt Ines die externe Logistik.

Wir lernen Samanthas neuen Freund Andries etwas besser kennen und hoffen darauf, dass die beiden sich auch in Zukunft gut tun werden. Als Würfelpoker Team spielen sie bereits ganz passabel zusammen.

Die Tage in Windhuk vergehen flott, obwohl wir sie langsam angehen. Wir streifen durch die Stadt, studieren Landkarten, bringen Ordnung in unseren kleinen Haushalt und spielen Karten. Innerlich kribbelt es zunehmend. Die letzte Etappe kann beginnen.

Auf Wiedersehen Afrika

Es ist ein ruhiger Sonntag Morgen, an dem wir aufbrechen. Gegen Nordwesten steuert Michi den Bus und lässt sich von Ines nach Omaruru navigieren. Der Ort beherbergt die einzigen beiden Weingüter des Landes und bietet sich bestens für einen Zwischenstopp an. Neben dem River Guesthouse finden wir einen ordentlichen Stellplatz, bevor wir den Ort zu Fuß erkunden. Die Straßen sind an diesem Sonntag Nachmittag leerer als leer. Bei einem alten Wehrturm machen wir kurz Halt und werden prompt von der einzigen Menschenseele weit und breit angesprochen. Nein, eher angequasselt. Die junge Frau lächelt, schwafelt, lächelt um gleich darauf wieder weiterzuschwafeln. Obwohl aus ihrem Mund Belangloses im Eiltempo serviert wird, steckt uns die unbefangene Heiterkeit des Mädels an und wir lassen uns einige Schritte begleiten. Sie führt uns durch ein ausgetrocknetes Flussbett hinüber zur anderen Seite der Stadt. Trotz der wenigen Luft, die sie dabei holt, versprüht sie fleißig Heiterkeit. Dann winkt sie einigen Typen zu, die auf der Ladefläche eines Pick-Ups vorbeirollen. Schneller als sie aufgetaucht ist, biegt die junge Frau hinter dem Fahrzeug zu einem Verschlag ab und verabschiedet sich mit den Worten: “Okay, bye, i’ll get myself a beer“. Als ob wir daran gezweifelt hätten: Biertrinkerinnen sind ein besonders heiterer Menschenschlag. Quasi angeheitert lassen wir beim Spaziergang durch Omaruru den Tag vergehen. Im Camp machen wir nur ein kleines Feuer und ziehen uns bald in den warmen Bus zurück.

Während wir frühstücken, entscheiden wir uns für den Besuch der “Erongo Mountain Winery“ westlich der Stadt. Weiter als gedacht, vielleicht auch weil die Piste so rüttelig ist, zieht sich der Weg zu den Reben. Zu allem Überfluss basteln Arbeiter an dem Eingangszaun, womit ein Passieren nicht möglich ist. Die afrikanische Lösung sieht wie folgt aus: Wenige Meter nebenbei wurde ein Stück Maschendrahtzaun herausgeschnitten, die holprige Wiese herum mit dünnen Strohbündeln bedeckt und so eine Übergangsrampe “errichtet“. Nach kurzer Begehung vorab, meistert Michi die Strohetappe ohne mit der Karosserie aufzusitzen und manövriert den Bus unbeschadet durchs Gelände. An diesem wolkenlosen Vormittag sind wir die einzigen Besucher und müssen nicht lange auf einen Empfang warten. Überraschend professionell führt uns eine Mitarbeiterin durch die Hallen und Anlagen. Ines kennt sich mit Maische und Enzymen aus und stellt kompetente Fragen. Michi ist beeindruckt. Nach 30 Minuten Vorführung, werden uns die Endprodukte gezeigt und wir dürfen auf einer großen Terrasse Platz nehmen. Die Mitarbeiterin serviert ihre Kostproben nach striktem Ablauf. Mittendrin besucht uns der deutschstämmige Besitzer auf ein nettes Schwätzchen, erzählt vom Werdegang und den täglichen Herausforderungen. Der Wein schmeckt, dazu werden dünne Grisini Stäbchen und später sogar noch kleine Happen Flammkuchen serviert. Wir bedanken uns, kaufen zwei Fläschchen und brechen zu Mittag in Richtung Westen auf. Der Weg zurück ans Meer, auf der bestens asphaltierten Hauptstraße, vergeht zügig. Eine Stunde vor Swakopmund halten wir an einem Lay-by und staunen nochmal in die Namib hinein. Ein letzter Blick schweift von unserem Bus aus auf die roten Wellen aus Sand. Wir setzen unseren treuen Untersatz nochmal in Szene und knipsen einige Bilder.

In der deutschesten Stadt Namibias finden wir einen sehr sauberen aber besonders unspektakulären Stellplatz am Gelände des “Alte Brücke“ Camps. Dort begehen wir für dortige Verhältnisse gleich eine Untat, die wir geschickt vertuschen werden. Das Niveau des feinen Rasens auf dem wir stehen, muss per Schaufel und Spaten leicht beglichen werden. So verstecken wir anschließend die ausgehobenen Rasenteile sorgfältig unterm Bus, bevor wir das Camp zu Fuß verlassen. Unser Spaziergang endet bei Sonnenuntergang in “Gabriele’s Italian Pizzeria“, wo wir uns kulinarisch verwöhnen lassen. Am nächsten Tag streifen wir etwas ausgiebiger durch Swakopmund, besuchen Kaffeehäuser, Buchhandlungen und kleinere Geschäfte. Ines wird sogar fündig und leistet sich einen hübschen Bikini, der ihr ausgezeichnet steht. Am letzten Abend in unserem Bus, inmitten des sterilen Camps, ist uns abermals nicht nach Kochen und wir gönnen uns ein weiteres Abendessen in der Stadt.

Am nächsten Morgen brechen wir nach Walvis Bay auf, um dort Peter und Eddie zu treffen und im Anschluss unseren Bus in einen Container zu verstauen. Den Bus in Bewegung zu setzen, fällt uns schwerer denn je. Der Abschied vom Bus, läutet unseren nahen Abschied von Afrika laut und deutlich ein. Obendrein sind wir genau diese Stecke schon einmal im emotionalen und körperlichen Ausnahmezustand gefahren. Vor neun Monaten hat Ines hier am Beifahrersitz unter starken Schmerzen ihr gebrochenes Schienbein fixierien müssen. Michael hat Minuten zuvor in einer Ruck-Zuck Aktion den Bus ausgelöst, zum Laufen gebracht und beschlossen, sofort nach Windhoek zur zurückzukehren. Gedanken an den Kummer der uns in dieser Nachtfahrt begleitet hat kommen auf. Gedanken an den starken Zusammenhalt und die zahlreichen Herausforderungen, die wir gemeinsam gemeistert haben überwiegen. So viele Kilometer, so viele Gesichter und Geschichten haben den Weg unter unsere Haut gefunden. Wir sprechen kaum, sind tief versunken, als ein letztes Mal “I Dare You“ von The XX durch die Lautsprecher dringt. Oft hat uns diese Melodie zum Singen und Lachen animiert, zum Händchenhalten und Innehalten ebenso. Nun sind es Tränen, die über die Wangen laufen.

Von unserem Gefährt(en) heißt es noch am Vormittag Abschied nehmen. Wir treffen Peter und Eddie in ihrem Büro in der Stadt, wo wir Unterschriften austauschen und unsere Rucksäcke zwischenlagern. Danach fahren wir Eddie hinterher in den Hafen, wo bereits ein offener Container wartet. Alles geht recht schnell. Michi lenkt den Bus präzise in die Dunkelheit, Eddie wippt gleichzeitig auf der Heckleiter um nötige Millimeter zu gewinnen. Ines filmt die Szene, wie damals in Hamburg. Dann wird noch kräftig verzurrt, der Container geschlossen und mit einer Plombe versehen. Wir laden Eddie anschließend zum Mittagessen ein. Nutzen die Gelegenheit um uns zu Revanchieren für seine Hilfe vergangenes Jahr. Der bescheidene Kerl nimmt die Einladung an und liefert uns anschließend dort ab, wo wir ebenso Bekannte treffen werden. Im “Buschtrommel“ Guesthouse vom deutschen Auswanderer Sigi waren wir letztes Jahr, in Erwartung auf die Ankunft unseren Bus abgestiegen. Am nächsten Tag hatte Ines ihren Sturz und wir mussten noch zwei lange Nächte in Zimmer Nummer 5 verbringen. Sigi und seine Frau waren während der heiklen Situation hilfsbereite Gastgeber. Die Begrüßung fällt freundlich aus. Als wäre es der Erinnerungen nicht genug, drückt uns Sigi lachend den Schlüssel mit der Nummer 5 in die Hand. Wir schmunzeln und nehmen seine Einladung auf einen Drink am Abend an. Im Wohnzimmer werden uns später zum deutschen Hauptabendprogramm verschiedene Whiskey Sorten aufgetischt, die neben dem Plaudern gekostet werden.

Als uns pünktlich um 5:55 morgens der Shuttlebus vom Guesthouse abholt, funktionieren immerhin unsere Körper. Erst drei Stunden später gibt’s die ersehnte Kaffee- und Pipi-Pause bei einem Rasthaus. Der Kaffee schmeckt grauslich, die Stimmung ist ausbaufähig. Zu Mittag lassen wir uns direkt vor Samanthas Haustür absetzen, wo wir rasch empfangen werden. Sie lacht, da wir ein seltsames Bild abgeben. Ganz ohne Bus, auf Füßen samt Rucksäcken, stehen wir vor dem hohen Eisentor. Wir lachen auch. Andries verkündet zur Begrüßung, uns am Abend zu einer "Pubrallye" mitnehmen zu wollen. Nach einem ruhigen Nachmittag brechen wir zu viert zu “Andy’s“ in Klein Windhoek auf, wo wir zuvor schon gemeinsam üppig gespeist haben. Das Lokal ist bestens besucht, da auf den Bildschirmen die Spiele der Fußball WM live zu sehen sind. Michi stört es weniger. Während wir uns die Mägen füllen, schauen unsere Begleiter recht tief ins Fläschchen. Wäre ja kein Thema, wenn Andries nicht der Chauffeur unserer Tour wäre. Anmerken lässt er sich nichts, obendrein lässt er es sich ohnehin nicht nehmen, uns zur nächsten Station zu bringen. Die erste Bude in der wir landen, hat etwas vom Wilden Westen. Bis auf die Bar und Billardtische kaum beleuchtet und ringsum Lederjackenträger, die eigenwillig dreinblicken. Wir nippen an unserem kleinen Bier und freuen uns auf den nächsten Stopp. Der ist exklusiver und nur für Mitglieder. Im “Anglers Club“ sind auch die Ecken abseits der Billardtische beleuchtet, dafür kaum Menschen anwesend. Im letzten Club gibt’s Live Musik, wo eine einheimische Band ihre Afrikaans Version internationaler Pop Hits zum Besten gibt. Dazu wird Bier und Jägermeister serviert. Das Szenario erscheint für unsere europäischen Augen, charmant formuliert, etwas hinterwäldlerisch. Immerhin das Publikum hat seine Freude. Eine Stunde und ein Mischgetränk später, wird der Heimweg angetreten.

Am nächsten Tag sind wir trotz des Abendprogrammes recht zeitig auf den Beinen. Wir wollen den letzten Tag möglichst lange auskosten. So schlürfen wir noch am Vormittag einen Kaffee auf der Terrasse des Art and Craft Centre. Ines findet noch ein ausgefallenes Souvenir für Mamas Garten, dabei darf Michi ein letztes Mal sein Verhandlungsgeschick zur Schau stellen. Zurück in Samanthas Garten, tanken wir noch etwas Sonne und machen uns langsam abreisefertig. Der letzte Abend in Afrika steht bevor. Wie zu jedem passenden Anlass, wird auch an unserem letzten Abend Braai zubereitet. Bei Tisch plaudern wir über Zukunftspläne und Ideen. Samantha kündigt an, uns zu Weihnachten besuchen zu wollen. Sie sehnt sich nach Schnee und Kälte – unsere Einladung ist ihr gewiss. Andries überrascht uns mit einem besonderen Geschenk. Eine kupferne Wanduhr, bestückt mit traditionellen Stammesfiguren, in der Form des afrikanischen Kontinents soll mit in die Heimat und künftig unser, statt sein Wohnzimmer zieren. Sein Geschenk kommt von Herzen und trifft uns ebenso dort.

Am nächsten Morgen bringen uns Samantha und Andries als Draufgabe noch zum Flughafen. Bei einem Kaffee vor dem Eingang zögern wir den Abschied noch etwas hinaus. Einige Wangen werden feucht, zum Abschied drücken wir uns fest und lange. Wann werden wir uns wiedersehen? Wann werden wir nach Afrika zurückkehren? Wir wird es bis dahin den anderen Menschen ergehen, die uns berührt haben? Wie den Wildtieren und ihren Lebensräumen? Fragen türmen sich als das Flugzeug die Landebahn verlässt. Umso besser, dass wir auch Lektionen und Antworten mit nach Hause nehmen.

Afrikas Natur und deren Bewohner haben sich als fabelhafter Lehrer und Wegweiser entpuppt. Wir wollen mehr davon. Wollen weiter lernen, achtsam sein und genügsam leben. Wollen nicht vergessen, dass es in all den Monaten, stets die holprigsten Wege waren, die uns zu den schönsten Orten geführt haben.

In einer Gegenwart, in der viele Menschen Orientierung bei Populisten, Ideologien oder Religionen suchen, findet man vielleicht in unseren Ursprüngen noch immer die besten Hinweise. In der Wildnis, den Elementen ausgesetzt, kann man zwischen dem Knistern eines Lagerfeuers und dem Rascheln der Sträucher seine Sinne neu schärfen und in sich selbst blicken. Dort warten die besten Antworten nur darauf, abgeholt zu werden.

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Kommentare: 6
  • #1

    Ula (Samstag, 25 Januar 2020 11:11)

    Ja, wenn man euren tollen Reisebericht liest, bekommt man Lust mit Euch (als bereits Erfahrene) so eine Reise mit zu machen. Es freut mich sehr wie ihr all diese Situationen denen ihr ausgesetzt ward gut gemeistert habt, und wieder gut daheim angekommen seid. Verstehe auch sehr gut, dass eure Sehnsucht wieder nach Afrika zu reisen sehr groß ist. Alles Liebe Ula

  • #2

    Karin & Christian (Sonntag, 26 Januar 2020 21:49)

    Wieder mal ein wunderbarer Bericht und schön, noch mal von euch zu lesen! Gut Ding braucht manchmal Weile - auch bei uns, aber im Mai ist es so weit... wir glauben, ihr kennt euch aus. ;-)
    Ganz liebe Grüße von Karin und Christian, die eure Reise seit unserem Kennenlernen bei Samantha mit viel Neugier und Fernweh mitverfolgt haben! Alles Liebe!

  • #3

    Xandi (Sonntag, 26 Januar 2020 22:07)

    Das war ein seeehr schöner aber auch emotionaler letzter Reise Blog Eintrag von euch. Unglaublich das eure Reise jetzt schon wieder so lange zurück liegt. Ich beneide euch um eure Erlebnisse, die Freiheiten und die Natur die ihr kennenlernen durftet. Es ist echt so unglaublich toll was ihr erlebt habt! Bussis

  • #4

    Ralph (Sonntag, 26 Januar 2020 22:11)

    Und auch zum Schluss ein gelungener Blogeintrag!
    Immer wieder erstaunlich, dass selbst die wilde Natur in der Nähe von den richtigen Menschen zahm werden kann. So ein zahmes Warzenschwein erlebt man garantiert nicht oft.
    Bin schon gespannt wann und wohin das nächste Abenteuer geht!

  • #5

    Johanners Xenia (Montag, 27 Januar 2020 19:28)

    Sind beim lesen von eurer letzten Etappe ganz gefesselt gewesen.
    Michael gelingt es -in gewohnt gekonnter und eindrucksvoller Weise - in eure Abenteuer, mit äußerst plastisch erzählten Schilderungen und großartigen Bildern, einzutauchen und mitzufühlen.
    Sind uns sicher das dieses Land - trotz oder gerade wegen der teilweise heftigen Herausforderungen von euch sicher nicht zum letzten Mal besucht wurde!
    Bussi JoXe

  • #6

    Andi (Montag, 27 Januar 2020 20:45)

    Ich hab fast ein paar Tränchen in den Augen... sooo toll geschrieben! Und die Fotos, Wahnsinn! Vor allem vom Nachthimmel. Ihr zwei habt mit dieser Reise so viele Erinnerungen gewonnen, die euch niemand mehr nehmen kann. Und es war sicher nicht die letzte Reise, das wissen wir alle :-)