Adios Europa
Die Alpujarras im Süden der Sierra Nevada bieten uns eine ausgezeichnete Gelegenheit, wieder Natur zu erleben. Durchzogen von tiefen Schluchten, steilen Hängen sowie fruchtbaren Terrassen eröffnet sich uns ein Wanderparadies nach unserem Geschmack. Der wunderbar gelegene kleine Campingplatz in der Nähe von Almocita gefällt uns jedoch so gut, dass wir ihn gar nicht erst verlassen. Kaum andere Camper, herrliche Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel und strahlender Sonnenschein laden zum Lesen, Kochen und in Ines Fall, sogar zum Brot backen ein. Unseren sportlichen Ambitionen gehen wir lediglich auf der Yogamatte und beim Trainieren mit den Thera-Bändern nach. Bei einem abendlichen Spaziergang treffe ich den junggebliebenen spanischen Campbetreiber, der mir von seinen vielen Motorradreisen nach Afrika erzählt. Ein Name fällt dabei besonders oft: Merzouga, die Stadt am Rand der Sahara hinter der sich die riesigen Dünen des Erg Chebbi türmen. Seine dunklen Augen funkeln und in seinem Gesichtsausdruck vermute ich, Glück und Sehnsucht erkennen zu können. Auch wir, vielleicht mit Ausnahme von Ines rechtem Knie, verbinden mit der Wüste nur Positives: Stille, Lagerfeuer unter der Sternendecke sowie traumhafte Farben und Formen. Merzouga kennen wir bisher nur aus Reiseführern und Videos und sind gespannt, ob auch wir in ein paar tausend Kilometern Entfernung einen neuen Sehnsuchtsort finden werden.
Unser nächster Halt findet sich in Torrox, knapp 50 Kilometer östlich von Malaga. Die wenigen Parkbuchten entlang der Bundesstraße sind allesamt überfüllt mit Campern, womit die Idee von einem “wilden“ Stellplatz, recht rasch in weite Ferne rückt. Immerhin ergattern wir auf dem Campingplatz “El Pino“ einen der allerletzten Plätze und quälen uns in die enge Parzelle. Wiederum ist es die angenehme Nachbarschaft, die für das ansonsten so betriebsame Ambiente entschädigt.
Wir brechen zeitig in der Früh auf, um am Nachmittag unser Fährticket in der Hafenstadt Algeciras zu kaufen. Dort betreibt (der bei Marokko Reisenden einschlägig bekannte) Carlos seine Agentur, die Two-Way Tickets ohne fixe Reisedaten anbietet. Kurz nach Marbella findet Ines einen passenden Ort für eine Mittagspause, die wir diesmal am Strand verbringen wollen. Als wir gemeinsam aus der tiefen Faltschüssel Nudelsalat schlemmen, ist erstmals der Felsen von Gibraltar und die Küste Nordafrikas zu erkennen. Marokko ist nur mehr einen Steinwurf entfernt und gerne wären wir schon dort. Aus Mangel an Alternativen, steht uns zuerst noch eine Nacht auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums bevor. Vorräte wollen wir ohnehin aufstocken und nach etwas Schlaf bestenfalls die frühe Fähre am Morgen nach Tanger erwischen.
„Do you want to leave today?“ fragt uns die Mitarbeiterin, als wir es uns gerade in den Sesseln im kleinen Büro der Agentur bequem machen wollen. Sie meint, wir könnten noch pünktlich beim Terminal sein, wenn wir gleich losfahren. Ines lässt sich noch in der Karten-App den genauen Standort des richtigen Terminals markieren und wir treffen eine ungewöhnlich flotte Entscheidung. Die Tickets sind gekauft und während ich noch schnell zur nächsten Tankstelle fahre, läuft Ines zu Fuß ins Einkaufszentrum nebenan. Als ich zehn Minuten später am vereinbarten Treffpunkt mit laufendem Motor warte, sitze ich auf Nadeln. Dabei überlege ich, ob die vereinbarte Aufgabenverteilung wohl eine gute war. Nur zu gut kenne ich Ines, nicht nur berufsbedingtes, Interesse an Lebensmitteln und die damit verbundene sorgfältige Auswahl selbiger. Durchaus gestresst mache ich mich auf den Weg in den, zugegebenermaßen sehr groß geratenen Supermarkt. Irgendwann finde ich hinter einem voll beladenen Einkaufswagen meine Frau. „Viel zu riesig, ich find hier gar nix“ meint sie. Meine Meinung zu den vielen extra Leckerlis, die sich im Einkaufswagen finden, möchte ich in dem Moment nicht kundtun. Lieber geleite ich uns zur Kassa und hinaus zum Bus, der ebenso mit den Hufen scharrt, wie ich. Der Teil in mir, der Ines Gelassenheit und Stressresistenz bewundert, wird sich erst später wieder melden.
Wir erreichen den riesigen Hafen etwas verspätet, vertrauen auf den markierten Punkt der Mitarbeiterin und ignorieren ein Schild, das uns anders weisen würde. So landen wir dummerweise inmitten von hupenden LKWs im Terminal für Transporter, anstatt in dem für Kraftfahrzeuge. Per Gegensprechanlage entschuldige ich mich mehrmals vor dem geschlossenen Schranken und hoffe dahinter wieder wenden zu dürfen. Es gelingt und wenige Minuten später können wir unser Glück kaum fassen: unser Schiff ist ebenso verspätet wie wir! Sogar nach uns reihen sich noch einige Fahrzeuge ein. Die meisten Lenker sind ausgestiegen, tratschen, telefonieren oder vertreten sich die Füße. Als sich die drei Fahrzeugkolonnen irgendwann in Bewegung setzen, werden wir, wie noch mindestens 50 weitere Fahrzeuge, über eine steile Rampe in den ersten Stock des Schiffsbauches gewiesen. Danach geht’s zu Fuß über Treppen hinauf an Bord, wo die Einreiseformalitäten seitens der marokkanischen Behörden auf uns warten. Anstatt sich diesen zu widmen und einen Platz am hinteren Ende der Schlange einzunehmen, suchen wir das Deck und beobachten draußen unseren Abschied von Europa. Langsam und träge setzt sich der 200 Meter lange Koloss in Bewegung. Wir trotzen eine Weile der frischen Brise und beobachten noch wie der Fels von Gibraltar an uns vorbeizieht. Drinnen an Bord füllen wir unsere Einreisepapiere aus, lassen die Pässe stempeln und blicken auf die Uhr. Weniger als zwei Stunden soll es dauern, bis wir Afrika erreichen.
Genau als die Sonne untergeht ist es soweit: die riesige Rampe wird geöffnet, Motoren heulen auf und ähnlich wie bei einem Autorennen versuchen manche Lenker bereits am Start eine Position gutzumachen. Unser Start gelingt bestens, womit wir zu den ersten 20 Fahrzeugen gehören, die sich an der Röntgenrampe des Zolls anstellen. Eine riesige U-förmige Apparatur wird per LKW vor und zurück geschoben, wobei jedes Fahrzeug wortwörtlich durchleuchtet wird. Ines findet die Prozedur ebenso spannend wie ich und versucht einen Blick auf die Bildschirme zu erhaschen. Im Anschluss werden wir zu einem der vielen Gates gewunken und erwischen einen gut gelaunten Beamten. Dabei beachtet er ausschließlich mich, auch Ines Reisepass würdigt er keines Blickes. Zumindest reagiert er sehr positiv, als ich ihm die wenigen arabischen Wörter entgegne, die ich beherrsche. “Namsa?“ (arabisch für Österreich) vergewissert er sich nochmals und fragt mich auf Englisch nach bekannten Fußballspielern aus unserer Heimat. Ja, David Alaba ist ein Volltreffer, den kennt er. Bei Marko Arnautovic ist er sich nicht mehr sicher, für Krankl und Prohaska ist er definitiv zu jung. Wir lachen und er möchte, ganz pflichtbewusst, noch das Innere des Busses sehen. “Marhaban“ sage ich, als ich die Schiebetür öffne. Nur Sekunden später sind wir frei, haben nochmals etliche Plätze gutgemacht und verlassen den Hafen als eines der ersten Fahrzeuge.
Ein Escort-Service mit Blaulicht
„Ich glaube, wir müssen da ein Stück auf der Autobahn fahren und Gebühr zahlen!“ wendet Ines ein, als ich uns noch zufrieden und voller Eigenlob, ob der (tatsächlichen oder eingebildeten) Wirkung meiner paar Brocken Arabisch, aus dem Hafengelände manövriere. Ohne Bargeld könnte ein Ausflug auf der Mautstraße ziemlich blöd enden und meinen geistigen Höhenflug zu einer raschen Landung zwingen. Ich habe aber noch Lust zu “fliegen“ und entscheide mich spontan dazu, direkt vor zwei tratschenden Polizisten auf ihren Motorrädern zu halten.
Nach dem Vortragen der bewährten arabischen Grußformeln, frage ich auf Englisch, ob wir die Mautgebühr auch per Karte bezahlen können. „Where do you go?“ fragt mich der Jüngere. Er kennt den Miramonte Campingplatz in Tanger und meint uns dorthin bringen zu können. „Shukran, it's about the payment, not the route!“ entgegne ich. „Wait over there“ deutet er auf die äußerste Spur um uns wenige Minuten später tatsächlich von dort abzuholen. Er fährt auf seinem Motorrad vor, zieht selber ein Ticket und deutet uns, es ihm gleich zu tun. Was danach folgt gleicht einer afrikanischen Willkommenszeremonie vom Feinsten: Der junge Polizist gibt ordentlich Gas und aktiviert obendrein sein Blaulicht. So preschen wir mit knapp 120km/h bei völliger Dunkelheit unserer Eskorte nach. Erleichtert und erheitert zückt Ines ihr Handy und filmt, was gerade passiert. Nach zwanzig, blau erleuchteten, Minuten drosselt unsere Eskorte sein Tempo und verlässt mit uns die Autobahn. Der Polizist fährt außen am Schranken der Mautstation vorbei, um gleich danach abzusteigen und uns herzuwinken. Wir erkennen, wie er mit der zuständigen Kassiererin plauscht, Scherze macht und bewirkt, dass uns der Schranken ohne weitere Erklärungen geöffnet wird. Verblüfft und dankbar rollen wir vorbei, stoppen dahinter um uns bei unseren beiden Rettern zu bedanken. „No, thank you for visiting. Welcome to Marocco!“ lautet ihre Antwort. Ines kramt rasch in unserer Kühltasche, um sich zumindest mit Naturalien bedanken zu können. Doch wir sind zu langsam und der Polizist ist bereits in der Dunkelheit verschwunden. Wir können unser Glück kaum fassen, als wir durch die Außenbezirke der Millionenstadt Tanger in Richtung Zentrum rollen. Nach so einem positiven Erlebnis, kann uns auch der Abendverkehr der Metropole wenig anhaben, denken wir. Tatsächlich stecken wir die chaotischen Situationen gut weg: zwei Geisterfahrer, Mopedfahrer die von allen Seiten nur knapp unsere Stoßstange verpassen, sowie Fußgänger im Kreisverkehr. Zu erwähnen sei ein besonders mutiges Exemplar, das sein Moped mitten im Kreisverkehr parkt, um daneben bequem auf sein Handy zu starren. Trotz der kommunikativen Fahrweise der Einheimischen ist ihnen eine solche Szene keinen Huper wert.
Knapp zwei Stunden befinden wir uns auf afrikanischem Boden und haben bereits einen kleinen Auszug des Spektrums erlebt, das uns erwartet.
Die Campsite Miramonte am anderen Ende von Tanger hat noch ein enges Plätzchen frei. Wir sind glücklich, erschöpft und fallen rasch ins Bett.
Am nächsten Morgen können wir uns bei Tageslicht erstmals einen Überblick verschaffen, übersiedeln bald zwanzig Meter weiter auf einen größeren Stellplatz und machen uns bereit für einen ersten Spaziergang in die Medina.
Tanger ist mit seinen knapp 1,4 Millionen Einwohnern, nach Casablanca, die zweitgrößte Stadt des Landes. Durch seine Lage an der Straße von Gibraltar, war der Ort schon im 5. Jahrhundert v. Chr. für die Karthager, gefolgt von den Römern, Byzantinern sowie später für die Araber von Bedeutung. Bis ins letzte Jahrhundert stritten sich bevorzugt die Spanier und Franzosen um Besitz und Verwaltung der Stadt, sowie weiterer Teile Marokkos. Zu den sehenswerten archäologischen Highlights zählen die Steinkistengräber der Karthager, sowie das gesamte Kasbah Viertel mit seinem Museum. Dort ist ein riesiges und detailliertes Bodenmosaik zu sehen, dass die Römer als Darstellung der “Seefahrt der Venus“ bezeichneten.
Unser erster Tag führt uns bereits durch Teile der Altstadt (Medina), sowie zum großen Markt (Souk) der mit seinen Gerüchen und Unmengen an frischen Grünzeugs aus der Umgebung lockt. Dabei fällt uns die Orientierung nicht immer ganz leicht. Gerade in den engen Gassen der Medina passiert es, dass wir auch mal im Kreis laufen.
So erkunden wir die folgenden drei Tage immer neue Ecken, trinken reichlich Minztee und frisch gepresste Säfte. Zu Ines Geburtstag möchte ich ihr einen besonders schönen Tag bescheren. Sie sucht sich ein kleines syrisches Restaurant aus, um anschließend mit mir ins Kasbah Museum zu spazieren. Dort erzähle ich dem freundlichen Kassier, dass meine bezaubernde Frau ein Jubiläum feiert, woraufhin er uns spontan die Eintrittskarten schenkt! „My birthday is in 5 days, so welcome sister“ sagt er lächelnd. Die beiden teilen sich den Jahrgang und er obendrein das Datum mit Ines Schwester. Nach dem lohnenswerten Besuch des Museums, samt Bodenmosaik, plaudern wir noch etwas mit Abdoul, unserem Gönner. Er kommt aus Fes und möchte uns seine Nummer geben, für den Fall dass wir künftig irgendwo Hilfe brauchen.
Zurück im Camp möchte ich Ines noch mit einer Aufmerksamkeit überraschen. Im Foyer des zugehörigen Hotels wartet ein großer metallener Ring mit der Aufschrift “Happy Birthday“ auf seinen Einsatz. Posieren oder “Selfiesieren“ finden wir zwar bei Anderen oft unterhaltsam, zählt aber selten zu unserem eigenen Repertoire. Ines kommt nicht aus, als ich den zwei Meter hohen Ring vor ihren Füßen positioniere. So werden noch einige heitere Fotos als Erinnerung geschossen.
Auch der Portier und der Nachtwächter des Campingplatzes haben Freude dabei.
Am kommenden Tag widmen wir uns mehrere Stunden lang der Reparatur des Rahmens unserer Dachluke. Ines hat mal wieder ihr “sanftes“ Händchen unter Beweis gestellt, als sie die Verdunkelung samt Halterung ausgerissen hat. Das gemeinsame Basteln und Suchen passender Teile in unserem Fundus fruchtet und wir können den Mechanismus mit vereinten Kräften wieder vollständig herstellen. Erstmals erhalten wir auch vierbeinigen Besuch in unserem Bus. Für einen kleinen rot gestreiften Kater mit sanften Augen und ausgeprägtem Schnurrbart öffnen wir zum ersten Mal unseren Sack Katzenfutter. Der Tiger hat Hunger, überwindet die kaum geöffnete Schiebetür und fordert erfolgreich einen Nachschlag ein. Danach folgt ein letzter ausgiebiger Spaziergang, bevor wir uns startklar für die kommende Etappe machen.
Unser Ziel heißt Chefchaouen und ist, aufgrund seiner Lage im Rifgebirge und den blau bemalten Häusern, eine beliebte Attraktion bei Touristen. Der schön am Hang gelegene Campingplatz dort ist wiederum fast vollständig belegt. Den Großteil machen Franzosen mit ihren endlos langen und rollenden Wohnzimmern aus. Es macht den Anschein, das nicht nur viele, sondern alle Pensionisten der ehemaligen Besatzungsmacht hier den Winter verbringen. Direkt vor dem Ausgang des Stellplatzes bietet uns eine zwielichtige Gestalt eine Tour der besonderen Art an: Er möchte uns gegen Gebühr seine große Hanfplantage samt den anliegenden Verarbeitungsstätten zeigen. Wir lehnen ab und spazieren inmitten von streunenden Hunden und Schafen weiter. Der Weg hinunter zur Medina ist nicht sonderlich lange und wir sind ob der vielen, auch einheimischen, Touristen überrascht. Tatsächlich strahlen die Gassen der Altstadt in leuchtendem Blau, sofern gerade keine Touristengruppe samt Führer vorbeizieht. Es gelingt uns recht gut, dem größten Trubel auszuweichen. Die willkommene Teepause gönnen wir uns aber doch erst außerhalb der Altstadt.
Der Rückweg verläuft etwas bewegungsfreier und ein paar nette Gespräche mit Händlern ergeben sich. Als wir erklären, dass wir noch nichts kaufen wollen und länger im Land unterwegs sein werden, erfahren wir dass die veranschlagten Preise, beispielsweise für Teppiche, im Hinterland meist nur ein Drittel oder Viertel ausmachen von dem, was hier erzielt werden kann. Es gelingt uns noch einige schöne Fotos zu knipsen, bevor wir uns am Campingplatz dem Abendessen widmen. Unsere Schweizer Nachbarn Meinrad und Isabelle tun selbiges und bereiten neben uns traditionell Rösti zu. Das höfliche und zurückhaltende Wesen der Beiden ist uns gleich sympathisch. Umso mehr sogar, als wir erfahren, wo ihre Reisen mit dem Fahrzeug sie überall hingeführt haben. Island, den Pamir Highway und die arabische Halbinsel haben sie bereist und erzählen dies nur auf Nachfrage und stets bescheiden. Ich mag die Beiden umso mehr, als sie sich gemeinsam mit uns, zu einem Gläschen Wein überrumpeln lassen. Ein gesprächiger und heiterer Österreicher hat uns Vier beim Tratschen entdeckt, stellt sich als Karl vor und hält uns eine Flasche Rotwein unter die Nase. Auch er ist viel gereist und unterhält uns mit seinen, auch interessanten, Episoden fast im Alleingang.
Am kommenden Morgen verabschieden wir uns von unseren Nachbarn, wobei Meinrad uns noch einen Tipp mit auf die Reise gibt: Die Polizei steht bevorzugt, wenn nicht ausschließlich, in Zonen wo 60km/h vorgeschrieben sind. Sie wurden, trotz langsamer Fahrweise, mit jeweils 67km/h geblitzt. Außerdem gibt er uns einen Begriff mit, den Ines sofort in ihren aktiven Wortschatz aufnimmt. Die großen rollenden Wohnzimmer die uns flankieren, bezeichnet Meinrad passenderweise als “Plastikbomber“.
Wir entscheiden uns für eine kurze Tagesetappe und halten gegen Mittag auf einem Stellplatz, dessen Parkmöglichkeiten kurioserweise rund um einen Swimmingpool angelegt sind. Dort verbringen wir einen ruhigen Nachmittag, treiben Sport und waschen Wäsche. Der Pool lädt leider nicht zum schwimmen ein. Als sich der Platz gegen Abend füllt, kommt ein Mitarbeiter auf mich zu, der einem langjährigen lybischen Machthaber, mit Ausnahme einer Kapitänsmütze, zum Verwechseln ähnlich sieht. Recht forsch meint er, wir sollen doch den neu angekommenen, finster blickenden, französischen Pensionisten samt deren riesigen Plastikbomber und Anhänger doch etwas mehr Platz machen. Ich wittere hier etwas Benachteiligung aufgrund unseres Alters, Portemonnaies oder der Herkunft. Der Bomber nebenan soll demnach, gegen gleiche Gebühr, eine Fläche beanspruchen, die unsere weit ums doppelte übertrifft.
Ich werfe noch einen Blick auf unseren Platz, um mich zu vergewissern und entgegne dem Mitarbeiter auf Englisch sehr deutlich, dass ich Nichts von seiner Idee halte. Er akzeptiert ohne weitere Diskussion, womit unsere Parkposition gesichert ist.
Laute Königsstadt und listige Affen
Ausgeschlafen machen wir uns auf den Weg in Marokkos drittgrößte Stadt Fes. Die ehemalige Hauptstadt und älteste der vier Königsstädte des Landes gilt als religiöses und intellektuelles Zentrum Marokkos. Besonders die Karaouyine Moschee, deren Gebetssaal von 270 Säulen getragen wird, sowie die gleichnamige Universität, die zweitälteste Medrese der islamischen Welt, sind von besonderer Bedeutung. Wir freuen uns auf die engen Gassen der Altstadt und die verschiedenen Handwerker, denen man zusehen kann und die auch bis Heute nur mit Karren und Eseln beliefert werden können. Besonders beliebtes Fotomotiv sind außerdem die Gerbereien, die Einblick in die Verarbeitung von Leder bieten.
Aus Mangel an Alternativen haben wir uns am Vortag für einen bewachten öffentlichen Parkplatz direkt neben der Stadtmauer entschieden. Dort soll man übernachten dürfen und ist nach nur wenigen Schritten bereits in der Medina. Ines navigiert uns meisterhaft durch die weitläufige Vorstadt bis zur meterhohen sandfarbenen Mauer, die die Altstadt umfasst. Der moderne Parkplatz samt Ticketautomat und bepflanzten Blumenbeeten ist auf unterschiedlichen Ebenen angelegt. Wir entscheiden uns für einen Platz im hintersten Winkel, platzieren noch rasch die Auffahrkeile und stürzen uns ins Gewusel. Als erstes nehmen wir die Geräuschkulisse wahr. Viele Stimmen, ein durcheinander von Tönen. Eine Schubkarre rollt vorbei, der Lenker schreit, pfeift und warnt die Passanten vor ihm. Verkäufer aus mehreren Richtungen preisen Waren an. Dazwischen meldet sich per Lautsprecher noch ein Muezzin. Katzen laufen einem zwischen die Füße, haben sich Plätze auf Kissen erobert, oder blicken aus völlig verstaubten Kartons heraus. Die Gassen sind eng, bunt und immer von unterschiedlichen Gerüchen durchzogen. „Bonjour Monsieur, bonjour Madame, bienvenue!“ oder „Salut mes amis, regardez!“ tönt es meistens, auch hören wir den Klassiker auf Englisch: „Welcome, today looking is for free!“. Die meisten Waren sind, die hier hergestellten, Lederartikel aller Farben und Formen. Auch die allgegenwärtige Keramik aus Fes soll zu den allerbesten des Landes gehören. Wir bummeln, finden zu Mittag eine ruhige Dachterrasse, bahnen uns durch zwei Ledergeschäfte den Weg hinauf zu den Terrassen, von denen man aus den Gerbern bei der Arbeit zusehen kann. Dabei wird uns ein Blatt Minze angeboten, dass den beißenden Geruch um die Nase überdecken soll. Bei der Verarbeitung des Leders wird hier nämlich auf natürliche und gleichzeitig geruchsintensive Zusätze wie Taubenkot oder Urin gesetzt. Ein glücklicher Zufall führt uns auch noch an den Platz der Schmiede, wo sich Silber und Kupfer stapeln. Der Zutritt zur Karaouynie Moschee ist Nicht-Muslimen leider untersagt. Zumindest kann man Blicke erhaschen und erleben, wie Einheimische vor und neben dem Gotteshaus ihren Glauben Ausdruck verleihen. Uns gefällt die Medina von Fes so gut, dass wir nach einem Abendessen im Bus noch einen Spaziergang am Abend unternehmen. Von einem jungen Händler, der von seiner Eselskarre aus, seine Erdbeeren anpreist kaufen wir einen Sack. Bei den Tomaten bekommt, auf Ines Wunsch, ein uralter fast blinder Händler den Zuschlag.
Auch am nächsten Morgen treibt es uns nochmals durch die bunte Medina, die gerade am Erwachen ist. Pforten werden geöffnet, fliegende Händler schwirren durch die Gassen und langsam hebt sich der Geräuschpegel. Wir verlassen Fes zufrieden und beeindruckt.
Unsere Route führt uns weiter in den Ifrane National Park. Dort gibt es etwas zu sehen, das wir beide mögen: Primaten! Eine große Population von Berberaffen, die einzigen Makaken außerhalb Asiens, leben im Rifgebirge und in den dichten Zedernwäldern des mittleren Atlas Gebirges. Die Gesamtpopulation wird auf knapp 8000 Individuen geschätzt, wobei der Großteil dieser gefährdeten Spezies in Marokko heimisch ist. Den Anstieg auf 1700m Seehöhe nehmen wir also gerne in Kauf. Das kleine Camp nahe Azrou ist am frühen Nachmittag erreicht. Ines baut neben dem Bus Tische und Stühle auf, schnappt sich ihr Buch und ist rasch von einem kleinen Zoo umringt. Zu den Störchen, die über uns nisten, gesellen sich noch etliche Hühnern, eine niedliche weißgrau gefleckte Katze und ein großer gutmütig blickender Hund. Später packen wir die Rücksäcke und machen uns auf den Weg die Affen zu finden. Die Entfernung, gemessen via Kartenapp, unterschätzen wir insofern, als wir die stetige Steigerung übersehen. Trotzdem kommen wir rechtzeitig im Wald an, um noch einige Affen live zu erleben. Zufrieden machen wir uns vor der Dämmerung auf den Weg zurück und entdecken sogar einen Trampelpfad der uns einen knappen Kilometer erspart. Dort überholt uns, wie aus dem Nichts kommend, ein Hirte auf seinem Esel. Wir tauschen freundlich einige Wörter aus, er lächelt und reitet gelassen weiter. Als er später vor uns wieder zu stehen kommt, sehen wir wie er in einer Satteltasche kramt und ein Sackerl herauszieht. Es ist sein Proviant, ein Beutel voller Erdnüsse, den er uns schenken möchte. Wir sind überrascht, nehmen das Sackerl an uns und der Hirte strahlt übers ganze Gesicht. Gerührt von dieser Geste setzen wir Weg fort bis uns wenige Minuten später etwas Unglückliches widerfährt: Zurück am Ortsrand passieren wir einen Hof, dessen Tore weit offen stehen. Lautes Gebell mehrerer Hunde ist zu vernehmen. Im Augenwinkel sehe ich ein großes Exemplar mit gefletschten Zähnen an einer Kette. Das trifft auf mindestens drei andere große Hunde nicht zu, die uns bellend nachlaufen und verfolgen. Wir laufen nicht weg, setzen unseren Schritt fort und tun das, was wir in dem Moment für richtig halten – wir ignorieren die Tiere. Das kräftige Zwicken in der Wade habe ich sehr wohl gespürt, der Schmerz meldet sich aber erst, als wir Minuten später in Sicherheit sind. Tatsächlich läuft mir am Unterschenkel Blut hinunter. Ein Hund hat es geschafft, mir durch die dicke Jeanshose und mehrere Hautschichten ein blutiges Gebiss-Tatoo zu verpassen. Etwas Trost spendet der Gedanke, dass es mich und nicht Ines zartes Wadl erwischt hat. Sie ist es, die im Bus die Wunde reinigt und mein Gemüt mit einem Tropfen Schnaps versorgt.
So knapp nacheinander können sich starke Emotionen wie Freude, Dankbarkeit, Wut und Enttäuschung aneinanderreihen, sinniere ich. Der seltsame Gefühls-Cocktail hält uns an diesem Abend noch etwas länger wach.
Die Wunde ist nicht so gravierend, als das wir am kommenden Morgen nicht wieder aufbrechen können. Unser Plan ist es, mit dem Bus direkt (und völlig legal) in den Nationalpark hineinzufahren, um uns dort unter einer alter Zeder ein lauschiges Plätzchen zu suchen, wo wir die Nacht verbringen können. Zwei “wilde“ Standorte aus der Park4Night App haben wir markiert, die zu lohnenswerten Stellen führen sollen. Eine davon gefällt uns tatsächlich, grenzt aber direkt an die Schotterpiste die wir gerade entlang tuckern. Einige hundert Meter später, findet Ines einen aussichtsreichen Erdweg, der etwas tiefer in den Wald führt. Langsam rollen wir über die ersten Wurzeln und freuen uns dabei über das saftige Grün, das ringsum den Waldboden zum Leuchten bringt. Leider leuchtet nicht nur die Wiese grün. Mit Handschuhen und Plastiksackerl sammeln und entfernen wir jede Menge Scherben, bevor wir unter einer uralten und prächtigen Zeder tatsächlich unseren romantischen Stellplatz für die kommenden Nächte finden. Einen derart idyllischen Ort haben wir uns ersehnt. Vereinzelt zwitschern Vögel, ansonsten herrscht hier völlige Stille. Diese Stille ist dermaßen bemerkenswert, dass wir selber immer leiser werden. Am Nachmittag packen wir den Rucksack um den Rundwanderweg des Nationalparks zu finden und einen Abschnitt darauf entlangzuwandern. So malerisch die Wanderung ist, so sehr stößt uns der Müll auf, den wir auf oder abseits der Wege erkennen. Auch die Berberaffen haben etwas dagegen und lassen sich nicht blicken. Wir kehren an der urigen Jausenstation ein, die ein Italiener samt seiner einheimischen Frau führt. Hier gibt es tatsächlich frische Pizza aus dem Holzofen, die wir uns natürlich nicht entgehen lassen wollen. Als die duftenden Teigfladen serviert werden, taucht sogar noch eine Gruppe der Berberaffen auf. An den Anblick von Menschen gewöhnt, ziehen die Affen ruhig an uns vorbei, würdigen uns nur selten einen Blick. Die Männchen, die leicht an ihrer Größe zu erkennen sind, suchen immer wieder den Boden nach Würmern und Insekten ab, während wir unsere Pizza genießen und beobachten. Gerade als wir jeweils nach unserer Kamera bzw. dem Handy greifen, um ein Foto zu machen, passiert es. Ein Nachzügler hatte uns, oder wohl eher die Pizza, im Blick und nutzt den kurzen Moment der Unachtsamkeit. Er schnappt sich blitzschnell ein Eck von Ines Pizza und läuft triumphierend davon. Die anderen Affen schreien, als würden sie den erfolgreichen Dieb beglückwünschen. Wir sind verdutzt und finden es gleichzeitig witzig. Wie viel List, Taktik und Opportunismus hinter dem Diebstahl gesteckt hat, werden wir nie erfahren. Bei all der genetischen Gleichheit, ist es jedenfalls nur nachvollziehbar, dass auch Primaten Pizza lieben.
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Margit (Montag, 07 April 2025 20:52)
So viele schöne Erlebnisse! Freue mich dass es euch gut geht
Angelika (Montag, 07 April 2025 21:37)
Danke fürs Mitnehmen auf Eure wunderbare Reise!
Eva (Dienstag, 08 April 2025 20:15)
So tolle Eindrücke und Erlebnisse! Wunderschöne Reise euch zwei!
Ua (Mittwoch, 09 April 2025 01:01)
So richtig schöne Erlebnisse, fein dass ihr das sooooo genießen könnt. Ich freue mich für euch! Danke dass ihr über eure Erlebnisse in den fernen Ländern uns ebenfalls miterleben läßt. Wir wünschen euch noch weiterhin recht schöne Zeit. Alles Liebe Ula und Josef
Xandi (Sonntag, 13 April 2025 13:35)
Würde mich so gerne anschließen an euch! Klingt toll was ihr alles erlebt! Danke für den tollen Bericht! Bussis
jacky (Donnerstag, 17 April 2025 11:42)
Wünsche Euch noch eine wunderschöne Reise, beim Anblick der Bilder sind gleich die eigenen Erinnerungen hochgekommen. Nachträglich noch alles Gute zum Geburtstag!
jacky