Ankunft am Rand der Sahara
„Ist dir auch so kalt?“ murmelt Ines zaghaft unter ihren vielen Schichten hervor. Unter der Decke tragen wir Skiunterwäsche, während unsere beiden Schlafsäcke die äußerste Schutzschicht bilden. „Immerhin schau ma lustig aus!“ antworte ich, während ich meine Haube am Kopf zurechtrücke. Als das erste Tageslicht durch die Verdunkelung schimmert, verabschiedet sich die eisige Nacht und wir schöpfen die letzten Prozent unserer Batterie aus, um noch etwas Wärme zu generieren. Nach dem zweiten Kaffee ist das Schlimmste überstanden. Der Blick auf die Wettervorhersage gleicht jedoch einem Tritt in den Allerwertesten. So wunderbar es uns hier im Zedernwald gefällt, so wenig Lust haben wir auf weitere Nächte bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Dazu soll es tagsüber kalt bleiben und stetig regnen.
Schweren Herzens verlassen wir das Idyll und fahren weiter in Richtung Süden.
Bevor wir das Hochplateau zwischen dem mittleren und dem hohen Atlas Gebirge erreichen, werden wir noch blitzartig in die Heimat versetzt: der dunkle Himmel über uns beschert uns mit weißen Flocken und dem ersten Schneefall seit unserer Ankunft in Marokko. „So schiach wor's bisher nu nie“ raunze ich hinter dem Lenkrad, als eine halbe Stunde später die Flocken verschwinden und nur eine dunkelgraue Decke übrig bleibt. Erst am Hochplateau lichtet sich der Himmel aufgrund des aufziehenden Sturms ein wenig. Gerade genug um die schneebedeckten Gipfel des Hohen Atlas zu erkennen. Wie bei einer Tafel Toblerone reiht sich ein steiler Gipfel an den nächsten. An einer Tankstelle samt Gaststube halten wir, bekommen als einzige Gäste besonders viel Aufmerksamkeit und erlangen Gewissheit darüber, dass wir den Breitengrad der Kloschüsseln bereits unterschritten haben. Ich kann daran lediglich der Aktivierung mancher Muskelgruppen etwas Positives abgewinnen, während Ines mich darauf hinweist, dass die tiefe Hocke obendrein die natürlichste und gesündeste Variante der Darmentleerung darstellt.
In Midelt durchqueren wir Marokkos “Hauptstadt der Äpfel“ bevor wir am späten Nachmittag den letzten Pass überqueren, um danach stetig bergab in Richtung Sahara zu steuern. Hier färbt sich der Himmel gegen Westen hin erstmals in ein sattes Orange. Die Vorboten der Sahara malen nicht nur Farben am Horizont, sondern werden als Windhosen abseits der Straße immer häufiger sichtbar. Wir hoffen weiter südlich auf mildere Verhältnisse und finden diese erst kurz vor Sonnenuntergang in der kleinen Oasenstadt Meski. Dort gibt es eine sogenannte Municipality Campsite, die vom gesamten Dorf betrieben wird. Erschöpft von der langen Fahrt sehnen wir uns nach einer Dusche, doch unser Begrüßungskomitee in Form des rüstigen Hassan kommt uns zuvor und rollt vor unserer Schiebetür bereits einen Teppich aus. Unser „Thank you, it's really not necessary“ erwidert er mit „Ach, kein Problem meine Freunde von Österreich“. Etwas überrumpelt lassen wir uns zumindest noch zu einer kurzen Tour übers Gelände überreden. Dabei zeigt er uns stolz die “Blaue Quelle von Meski“, die eher einem ausgelassenen Pool samt Müllberg ähnelt, als einer Attraktion. Weniger über den Müll an sich, sondern eher über den doch sehr verwahrlosten Zustand so mancher Attraktion wundern wir uns. Oft wären nur ganz wenige Handgriffe nötig, um das Ambiente deutlich zu verschönern oder den Originalzustand wieder herzustellen. Unsere Meinung äußern wir nicht. Hassan gibt noch ein paar einstudierte Weisheiten in passablen Deutsch zum Besten und beendet die ganze Tour tatsächlich nach wenigen Minuten. Jedoch nicht ganz. Der Abschluss seiner kurzen Tour findet in seinem Geschäft statt, wo bereits ganz zufällig heißer Tee und drei Gläser auf uns warten. Obwohl wir kein Interesse an einem der zahlreichen Teppiche haben, lassen wir uns nieder und nehmen höflicherweise die Einladung an. „Du kannst jetzt kaufen oder Heute noch Nichts!“ meint der Hassan milde lächelnd. „Heute sicher gar Nichts“ erwidere ich lachend. Wir kennen die Prozedur bereits von früheren Reisen und zuletzt aus Jordanien. Erst wird seitens Verkäufer ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, in die Beziehungsebene investiert und bevorzugt über Familie und Kinder gesprochen. Dabei wird immer reichlich Tee geschlürft und dem Kunden, ohne Nachfrage, ein Teppich nach dem anderen vor die Füße gelegt und präsentiert. Es gibt Tage an denen wir diese Prozedur gerne mitmachen, scherzen, handeln und sogar etwas kaufen – Heute ist keiner dieser Tage. Wir sind müde, wollen nichts kaufen und bieten Hassan an, vielleicht zu einem Tauschhandel bereit zu sein, sollte uns doch etwas ins Auge springen. Damit haben wir in Afrika sehr gute Erfahrungen gemacht und Händler große Freude mit so manchen Kleidungsstück oder Alltagsgegenstand aus unserer Heimat bereitet. Auch Hassan zeigt Interesse, als wir uns von ihm verabschieden.
Uns sehnt es Heute nur mehr nach einer warmen Dusche und Ruhe. Außer Hassan sitzen noch andere Händler vor ihren Geschäften direkt am Stellplatz, beobachten die Camper und warten auf Neuankömmlinge. Wir fühlen uns wie in einer Auslage und wollen die letzten Stunden des Tages lieber drinnen im Bus verbringen. Davor lässt sich Ines noch von einem treuherzig blickenden Welpen verführen. Der kleine semmel farbene Hund hat riesige Augen und flauschige Pfoten, die er auf unsere Einstiegsleiste legt. Seine Gesten zeigen Wirkung und Ines füllt ihm eine Schüssel mit Katzenfutter an. Nur wenige Minuten später ist neben dem Bus die Hölle los. Dass der kleine Welpe ob des leckeren Katzenfutters plötzlich seinen Stimmbruch erlangt hat, ist zu bezweifeln. Ich öffne die Tür und kann meinen Augen nicht trauen: Der kleine Streuner hat nur die Vorhut einer ganzen Hundegang gebildet, die sich vor unserem Bus nun um das bisschen Futter streitet und bellt. Einer der großen Streuner, insgesamt zähle ich vier große und drei kleine Hunde, ist obendrein dabei, meinen Flip-Flop zu verspeisen. Dazu ist unsere Begegnung mit dem marokkanischen Zerberus nur wenige Tage her und ich merke, dass meine Sympathie für Hunde gerade einen Tiefpunkt erlebt. Zuerst klatsche ich laut in die Hände, dann schreie ich den Kauer an um immerhin mein Schuhwerk zu retten. Es wirkt, doch die Antwort des Rudels lässt nicht lange auf sich warten. Als wir wieder im Bus sitzen, klopft und scheppert es kräftig von unten. Abermals springe ich aus dem Bus um zu erleben, wie die Hunde nun unter dem Auto Versteck spielen, ausgelassen toben und bellen. Einer der Mitarbeiter, Händler oder Beides in Personalunion, bemerkt meinen Ärger und zeigt mir seinen Lösungsansatz: Er nimmt einen großen Stein und wirft ihn nach den Hunden. Ich freue mich, dass er verfehlt und sage ihm, dass ich nichts von seiner Methode halte. Zumindest habe ich Jemanden gefunden, den ich spontan noch weniger mag als die Gang von Streunern, die mich gerade fürchterlich nervt. Bis zum Einschlafen kommt das Rudel noch mehrmals vorbei. Unser Entschluss, das Camp am kommenden Morgen wieder zu verlassen, ist schon vorher gefasst.
Es ist noch früh am Morgen, als wir uns zusammenpacken und bei dem erstbesten vermeintlichen Mitarbeiter unsere Stellgebühr begleichen. Da kommt der geschäftige Hassan schon angeflogen und fragt uns nach unseren möglichen Tauschartikeln: „Tablet, ja so etwas nehme ich gerne – Handy geht auch“ meint er mit entschlossener Mine. Da müssen wir ihn enttäuschen. Nur Kleidungsstücke könnten wir entbehren oder halt unseren Teppich (alias einfacher Fleckerlteppich aus dem Möbelhaus) gegen einer seiner Untersätze eintauschen. Den Vorschlag findet er gar nicht schlecht und auch wir finden in seinem Geschäft ein Exemplar, das uns zusagen würde. Nach einer (ausgesprochen schnellen) dreißig minütigen Verhandlung, gibt es ein Ergebnis. Dabei musste Ines kaum, wie sonst öfters, in die Rolle des “Bad Cop“ oder der “strengen Finanzministerin“ schlüpfen. Nachdem wir uns vorab noch abgesprochen haben, sind wir beide äußerst hart geblieben und haben stets auf die mangelnde Notwendigkeit eines neuen Teppichs hingewiesen. Speziell als Konter, als er das Handwerk der österreichischen (seiner Meinung nach Teppich knüpfenden) Bäuerinnen etwas bemängelt hat. Es wechseln schlussendlich unser Teppich, samt einem Brotmesser, einem Regenschirm und einer Tafel Schokolade den Besitzer. Im Gegenzug erhalten wir einen hochwertigen Berberteppich gleicher Größe.
Nach Meski führt uns der Weg durchs grüne Ziztal. Die langgezogene, durch den Ziz gespeiste, Oase samt ihren braunen Lehmdörfern bietet gute Gelegenheiten für einige Fotostopps. Dabei stellen wir fest, dass auch hier jede noch so kleine Parkbucht von Scherben übersät ist. Es nervt, nicht einfach am Straßenrand halten zu können. Kurz nach dem einstigen Karawanenstützpunkt Erfoud fahren wir auf der sogenannten “Carrettiere des Fossiles“ durch eine Gegend, die für unzählige Funde von Mineralien und Fossilien bekannt ist. Weite Gebiete des Wüstengürtels der Sahara waren im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder von Ozeanen bedeckt, wovon Funde von versteinerten Fischen, Krebsen oder Muscheln zeugen. Diese Fossilien stammen aus dem Devon, einer Zeit vor 380 Millionen Jahren. Der Gedanke an eine Schatzsuche am Rand der Wüste gefällt uns.
Am Nachmittag erblicken wir erstmals die riesigen Dünen des Erg Chebbi. Sie ziehen sich wie ein goldenes Band den Horizont entlang und sorgen in unserer Fahrerkabine unmittelbar für Freude. Diese prächtige Dünenlandschaft im Westen der Sahara liegt an der Grenze zu Algerien und ist bekannt für ihre bis zu 200 Meter hohen Dünen, die je nach Sonnenstand in unterschiedlichsten Gelb- und Rottönen leuchten. Als wir wenig später auf dem Campingplatz des Ksar Merzouga ankommen, kurz vor der gleichnamigen Stadt, empfangen uns die Dünen bereits in einem satten Orange. Wir haben Glück, dass der Platz kaum besucht ist und finden weit vorne, direkt an den ersten Dünen, einen ausgezeichneten Stellplatz. Der Tisch wird aufgestellt, Stühle ausgepackt und mit einem kalten Getränk stoßen wir auf das bisher Erlebte an. Wir sind angekommen in der Sahara, etwas mehr als 4200 (großteils sehr glückliche und unfallfreie) Kilometer liegen hinter uns. So soll es weitergehen – Inshallah!
Barfuß durch den Sand
Apropos Allah: vor zwei Tagen hat in Marokko der Ramadan begonnen. Wie uns Einheimische erklären, verkündet der Muezzin am Morgen, nach genauer Betrachtung des Mondes, erst den Beginn. Er variiert also immer um ein bis zwei Tage und lässt sich nie mit hundertprozentiger Sicherheit voraussagen. Es geht merklich ruhiger zu bei Tage, wobei Geschäfte eingeschränkter geöffnet sind und die wenigen Supermärkte, die Alkohol verkaufen, den nun für 30 Tage wegsperren müssen. Unsere bevorzugte Droge an den folgenden Tagen heißt ohnehin Sand. Nachdem unsere Campnachbarn abreisen, erben wir den allerbesten Platz ganz vorne und freuen uns über 180 Grad uneingeschränktes Wüstenpanorama. Was für ein Luxus. „Es is soooo sche!“ wiederhole ich mich mehrmals täglich. Ines geht es genauso. Es dauert nicht lange bis wir uns barfuß auf den Weg machen, um zum Sonnenuntergang die hohen Dünen zu erklimmen. Jeden Tag marschieren wir länger und weiter, aktivieren in Ines Fall sogar kurz den “Allradantrieb“, um die höchste der goldenen Hügel zu erklimmen. Unter uns zieht ab und zu eine Karawane vorbei, deren Mitglieder aus Touristen besteht. Ein Führer läuft vorne weg und führt die Dromedare an der Leine. Nicht nur an den meist grellen Farben ihrer Kleider oder der mutigen Kombination aus Hotpants und Turban, sondern vor allem an den häufigen Selfiestopps kann man von weitem die Fälschung vom Original unterscheiden. Wir genießen, wie sich der Sand auf den Sohlen anfühlt, durch die Zehen fließt. Spüren die unterschiedliche Temperatur des Untergrunds je nach Stand der Sonne. An manchen Stellen graben wir uns tief ein, an anderen lösen wir kleine Sandlawinen aus. Sogar das Ausweichen von den Hinterlassenschaften der Dromedare macht Spaß. „Achtung Tretminen!“ ruft Ines, während sie geschickt den dunklen Bällchen ausweicht.
Im Ort finden wir nicht nur einen kleinen Laden, sondern auch noch einen Gemüsehändler, der uns mit frischen Obst und Gemüse versorgt. Wir bewegen uns wieder merklich mehr, laufen alle Strecken zu Fuß, treiben nebenbei Sport und lesen dazwischen ausgiebig und lange.
Ein Spaziergang führt uns in die Oase von Hassilabied. Dort können wir uns selber ein Bild von der Bewässerungstechnik der Einheimischen machen. Aus Dokumentationen kennen wir das Schema: Jedes Feld wird durch einen schmalen Graben bewässert, der zu fest zugeteilten Zeiten geflutet werden darf. Jeder Gärtner hat dabei im selben Ausmaß Anrecht auf das kostbare Wasser. Meine Frau ist in ihrem Element, entdeckt Pflanzen in jeder Wachstumsphase und kostet immer wieder diverse Blätter und Triebe. Ein fleißiger Arbeiter trotzt der Hitze und pflügt und zupft an einigen Feldern herum. Wir plaudern ein wenig auf Spanisch und ich erzähle ihm, dass meine Frau sich auskennt und bereits viele Pflanzen erkannt hat. Erfreut deutet uns der Gärtner, ihm zu folgen und einen Blick auf seine Zöglinge zu werfen. Dabei buddelt er uns schöne Karotten aus, die wir, so wie Fisolen und frische Minze, geschenkt bekommen. Unser neuer Freund heißt Rachid und ladet uns obendrein spontan zum Fastenbrechen (Iftar) ein. Wir sind verlegen und wenden ein, dass wir als Vegetarier ohnehin keine guten Gäste abgeben. Rachid meint, wir sollen einfach ins Dorf kommen – die genaue Uhrzeit zeichnet er mit seinem Finger in den Sand. Zurück im Camp fragen wir uns, ob wir hingehen sollen und ob “im Dorf“ wirklich Jemand auf uns wartet, um sein Essen mit uns zu teilen. Sicherheitshalber essen wir im Bus früh zu Abend und wagen vor Sonnenuntergang tatsächlich den Spaziergang ins Dorf. Dort ist es besonders ruhig, kein Zeichen von einem bevorstehenden feierlichen Anlass. Nur ein Mensch neben einem Fahrrad winkt uns herbei. Es ist Rachid, der es eilig zu haben scheint. Schnellen Schrittes folgen wir ihm durch lehmige Gassen, immer weiter weg vom kleinen Hauptplatz. Wir vertrauen dem Fremden und stehen zehn Minuten später in seinem Wohnzimmer.
Flankiert von seinen beiden Töchtern, dem kleinen Sohn und seiner Frau. Viele große, neugierige und freundliche Augen blicken uns an. Die Kinder sind allesamt in bunten Jogginganzügen gekleidet und haben wenig Berührungsängste. Rachids Frau trägt ein rosafarbenes Kopftuch lächelt aufrichtig und gibt zu verstehen, dass sie nur arabisch spricht. Sie sitzt am anderen Ende des Tisches gegenüber ihres Mannes. Dazwischen wir und die Kinder. Uns wird eine marokkanische Suppe serviert und vor uns etliche volle Teller platziert. “Esto es para vosotros“ sagt Rachid während er die vorliegenden Teigtaschen mit seiner Hand öffnet und uns präsentiert. Umstände wollten wir bestimmt nicht machen, dazu haben wir ja vor einer guten Stunde bereits ausgiebig gespeist. Hier müssen wir durch. Rachids Frau freut sich obendrein, dass ihre Speisen so gut bei uns ankommen. Ines kostet neben den Teigtaschen noch ein marokkanisches Eiergericht, während ich bereits das süße Allerlei teste.
Die Aufmerksamkeit der Kinder gilt mittlerweile wieder dem größten Schatz des Hauses: ein Flachbildfernseher samt Satellitenreceiver hängt an der Wand neben uns. Kein Bild, kein Regal oder andere Dekoration findet daneben Platz. Seit unserer Ankunft im Haus begleitet uns eine lautstarke arabische Variante einer Telenovela. Ines hat die hervorragende Idee mit unserer Gastgeberin ins Gespräch zu kommen, indem sie ihr Fotos am Handy zeigt. Sie entscheidet sich für einige Fotos unserer Hochzeitsfeier sowie Bildern unserer Heimat. Tatsächlich entlockt sie der Frau mehrmals ein heiteres Lachen. Für einen kurzen Dialog, den Ines via Translator-App anstößt, ist sie dann doch zu zurückhaltend. Ich überreiche dem Herrn des Hauses noch unsere Geschenke an den Gastgeber und seine Familie. Die große Packung Kekse und die Nüsse machen seinen Kindern besonders Freude. Danach gibt’s sogar noch ein gemeinsames Foto zur Erinnerung. Erwähnenswert deshalb, weil Ines für einen kurzen arabischen Schreckmoment sorgt: mit ihrem sanften Händchen platziert sie ihr Handy genau auf dem wackeligen Receiver und sorgt für wenige Momente für einen Bildausfall bei laufender Telenovela.
Nach einer knappen Stunde sind wir äußerst gesättigt am Heimweg ins Camp, freuen uns über die Gastfreundschaft der fremden Familie und müssen uns unweigerlich fragen, wie es einem marokkanischen Paar ohne Sprachkenntnisse in Österreich so ergehen würde.
Die kommenden Tage begleitet uns eine angenehme Routine. Dabei finden wir täglich “neue“ Dünen zum Erklimmen, unterhalten uns mit freundlichen Campnachbarn und sehen uns nicht satt an den wunderbaren Farben. Erstmals machen wir auch unmittelbare Bekanntschaft mit einem Sandsturm, der den Bus ordentlich zum Schaukeln bringt, um abschließend eine sternenklare Nacht zu hinterlassen. Das Kochen und Backen wird ebenso zur täglichen Routine, wobei ich mich freue, Ines unterstützen zu können. Ihr Zauber mit den Zutaten verschönert diese Reise ungemein, macht mich glücklich und stärkt Körper und Geist. Wir lachen unheimlich viel an diesen Tagen, spielen öfters Karten oder Würfelpoker. An den Abenden treiben wir die Romantik noch zur Spitze und entfachen jeweils ein Lagerfeuer. Hier am Rand der Sahara geht es uns so gut, dass es uns schwer fällt weiterzuziehen.
Dreizehn herrliche Tage verbringen wir bei Merzouga. Die vollkommene Ruhe unter der Sternendecke wird uns genauso in Erinnerung bleiben, wie die Farben und Formen der prächtigen Dünenlandschaft bei Tage. Freundliche Begegnungen haben unseren langen Aufenthalt zusätzlich bereichert. Wir wollen wiederkommen, irgendwann oder auch bald!
Bunte Enten im portugiesischen Gefängnis
Als nächsten Stopp haben wir ein besonderes Ziel ins Auge gefasst: in der Steinwüste hinter Rissani steht eine besondere geologische Formation, die manche aus Hollywoodfilme kennen. Der hufeisenförmige Tafelberg Gara Medouar bildet einen spektakulären Erosionskreis, in den man (nach einigen Kilometern Off-Road Piste) sogar hineinfahren kann. Erst seit 1999 wurde das Innere der Formation zugänglich gemacht, nachdem für das Filmset von “Die Mumie“ eigens eine Rampe betoniert wurde. Im Jahr 2015 war Gara Madouar ein Hauptdrehort für den James Bond Film “Spectre“.
Uns interessiert eher die bewegte Geschichte des Ortes. Vor einem Jahrtausend wurde aus dem Berg erstmals eine Festung, als die Almoraviden hier einen Sitz entlang der alte Handelsroute nach Timbuktu etablierten. Jahrhunderte später sollen portugiesische Sklavenhändler den Berg als Gefängnis und Depot benutzt haben. Archäologen konnten im letzten Jahrhundert Reste von Wehrmauern, Türmen und verschiedenen Dämmen entdecken.
Aktuell ist der Ort wieder verlassen, gänzlich ohne Infrastruktur jedoch mit ganz vielen Möglichkeiten, also Fläche, rund um den Berg einen ruhigen Platz zum Übernachten zu finden.
Ines findet auf der Karten-App drei unterschiedliche Pisten, die von der befestigten Straße jeweils vier Kilometer lang nach Gara Medouar führen. Es gilt die am wenigsten ausgewaschene und unspektakulärste zu finden, um unseren Bus und vor allem meine Nerven zu schonen. Wir entscheiden uns für die mittlere Piste und rumpeln nach nur wenigen hundert Meter ordentlich durch die Pampa. Wiederum beneide ich Ines um ihre Gelassenheit. Es mag ihr dabei durchaus zu Gute kommen, dass sie wenig Ahnung von Autos hat und somit ebenso wenig davon, was daran alles kaputt gehen kann, denke ich mir. Wir fahren im wahrsten Sinn des Wortes über (etwas) Stock und (ganz viel) Stein, wobei es oft so heftig scheppert, dass sogar meine entspannte Gefährtin sich umdreht und einen Blick auf das Innere des Busses wirft. „Nur die Bestecklade hat sich selbstständig gemacht“ kommentiert sie gelassen. Die Geräuschkulisse gewinnt damit zusätzlich an Dramatik. Wir bleiben kurz stehen, schießen ein paar Fotos und entfernen ein paar große Steine bevor die Fahrspur etwas besser und somit das Rumpeln etwas weniger wird. Als sich vor uns der Berg tatsächlich öffnet und die Rampe erkennbar ist, könnten wir zufriedener kaum sein. Während ich den Bus inspiziere macht Ines uns eine verdiente Jause. Wir sind übrigens nicht das einzige Fahrzeug, das sich in die alte Festung verirrt hat. Ein Motorradfahrer parkt unter dem Baum gegenüber und grüßt uns freundlich. Nach unserer leiblichen Stärkung wollen wir zum Gipfel der Festung hoch wandern, wo ein herrliches Panorama auf uns warten soll. Gerade als wir aufbrechen wollen, wird die Stille abrupt unterbrochen. Unzählige Motorengeräusche nähern sich und durch die Öffnung der Mauer erkennen wir einen langen Konvoi, der eine riesige Staubwolke hinterlässt. Ich rechne mit einer Horde Abenteurern in extra verstärkten Geländewägen oder Expeditionsfahrzeugen. Doch weit gefehlt: es handelt sich um eine “Oldtimer-Rallye“ samt Begleitfahrzeug. Nicht irgendwelche Oldtimer, sondern etliche Citroen 2CV, alias Ente, holpern hupend durch die Öffnung der Mauer hinein in die Festung! Ich komme mir vor, wie im falschen Film oder bei der versteckten Kamera und kann nicht anders als mich ungläubig umzublicken. „Schau da des amoi au!“ rufe ich Ines zu, die sich gerade im Bus ihre Schuhe bindet. Die Geräusche hat sie ohnehin gehört, der Anblick der bunten Enten bringt auch sie zum Staunen. Alle Fahrzeuge sind mit Startnummern beklebt, viele sind zusätzlich mit Flaggen und anderem Krimskrams bestückt. Als die mehr als dreißig (!) Fahrzeuge, mit ihren (allesamt) spanischen Lenkern und Beifahrern, keinen Parkplatz mehr finden, stellen sie sich rund um uns. Wir schmunzeln über die skurrile Szene und beobachten noch eine Weile das Treiben bevor wir losmarschieren. Die nördliche Flanke des Berges ist bald erreicht und bietet einen spektakulären Rundumblick. Unter uns fällt der Hang fast senkrecht mehrere hundert Meter in ein flaches Tal ab. Nach Osten hin kann man auch die Dünen des Erg Chebbi noch gut erkennen. In kleinen Felsnischen schützen sich zwei Händler vor der Sonne, während zwei geschäftstüchtigere bereits hinab marschieren, um der großen Gruppe ihre Souvenirs anzubieten. In ihren Tüchern sind sowohl filigrane Schmuckstücke, sowie verschiedene Fossilien gewickelt. Als wir wieder zum Bus zurückkommen, hat zumindest einer der Händler Erfolg und kann sein Sortiment vor mehreren Interessenten ausbreiten.
So außergewöhnlich der Ort auch sein mag, beschließen wir innerhalb der Festung bzw. des Berges nicht übernachten zu wollen. Es fühlt sich für uns nicht richtig an, an einem Ort zu nächtigen, der über Jahrhunderte Zeuge von Gewalt und Gräueltaten war. Zu Fuß erkunden wir die Umgebung und beschließen eine neue Piste in westliche Richtung zu nehmen. Knapp einen Kilometer außerhalb der Festung wollen wir unser Nachtlager aufschlagen. Als sich die spanische Reisegruppe auf den Weg macht, tun wir es ihr gleich und finden nach wenigen Minuten eine ebene Stelle, die sich bestens eignet. Selbst hier haben sich einige Scherben und Drahtschlingen verirrt, die es vorher noch zu entfernen gilt. Weder Menschenseele noch Dromedar verirren sich im Laufe des restlichen Nachmittags hierher und wir genießen die Einsamkeit. Die einzigen Lebewesen, die wir zu (und immer wieder ins) Gesicht bekommen, sind neugierige Fliegen, die sich mit der Dämmerung verabschieden. Unsere Sehnsucht nach Abenteuer wird abseits der Zivilisation ohnehin am besten gestillt. Gleichzeitig bin ich stolz auf Ines, die sich immer wieder mit mir in die Wildnis traut und dabei gewohnt sorglos und mutig auftritt. Ihr zierliches Äußeres täuscht darüber hinweg, dass sie in einem früheren Leben mal eine große Kriegerin oder Heerführerin gewesen sein muss. Es würde mich jedenfalls kaum wundern, wenn sie von einem ihrer Pipi-Ausflüge in den Busch, mal mit einer giftigen Schlange oder Skorpion in der Hand zurückkehren würde.
Der sichelförmige Mond hängt wie eine Schüssel bereits hoch am Firmament, als die Sonne hinter den Bergen im Westen untergeht. Die Temperatur schließt sich der Sonne nur bedingt an. Nach den kühlen Nächten in der Wüste, verbringen wir hier bei Gara Medouar eine unerwartet wohlig warme Nacht.
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Waldis (Mittwoch, 23 April 2025 22:30)
Wahnsinn diese Farben! So toll! �
Udo (Donnerstag, 24 April 2025 09:11)
Das nenne ich « Reisen »! Füllt eure Herzen mit den Impressionen der Begegnungen und näht Euch lange Zeit davon.
Xandi (Donnerstag, 24 April 2025 17:50)
Wiedermal ein toller und spannender Eintrag. Euer Bus ist ein toller bunter Fleck in der Landschaft. Weiter so mit euren Abenteuern und das keine Schlange Ines in den Popo beißt � Bussis
Johannes (Freitag, 25 April 2025 01:22)
Bin beeindruckt von euren spannenden und sehr abwechslungsreichen Abenteuern!
Faszinierende Wüstenlandschaft - karg und aufregend zugleich.
Sehr interessante Hintergrundinformationen die ein schönes Gesamtbild über dieses Land geben.
Besonders die farbenprächtigen uns sehr plastisch wirkenden Bilder sagen mehr als tausend Wörter.
Bussi an euch beide - und bis bald auf der Finca!
Uuuuuhhh � (Montag, 05 Mai 2025 17:41)
Es scheint ihr seid auf einem anderen Planeten..weiter solch unberührte Landschaften mit Farben die das Herz erfreuen ❤ und lustige Begegnungen ( mit lieben oder mal ohne Hunde � ) wünsch ich euch!! xx