Von hohen Bergen und tiefen Schluchten
Nach unserem langen Aufenthalt in der Wüste zieht es uns ins Gebirge. In etwa zwei Wochen wollen wir Marrakesch erreichen. Dorthin gelangt man über die sogenannte Straße der Kasbahs und dem Tizi-n-Tichka Pass, der die Überquerung des Hohen Atlas auf nur 2260m Seehöhe möglich macht.
Nachdem ich uns über die holprigen Pisten rund um die alte Festung zurück in die Zivilisation manövriere, übernimmt Ines das Steuer. Links und rechts erheben sich graue Berge in Schräglage, deren blankes Gestein in der Morgensonne schimmert. Unterbrochen wird der Glanz nur von seltenen Flecken Gras. Ines bringt uns sicher und unspektakulär in die kleine Oasenstadt Alnif, wo ich dem sandigen Bus eine Wäsche gönnen möchte. Fast alle Tankstellen Marokkos bieten theoretisch eine Autowäsche an, jedoch immer mit Abstrichen. Manche haben gerade kein Wasser, andere Putzen nur per Hand und die, die mit Hochdruckreinigern ausgestattet sind, bestehen darauf, selber die Lanze zu bedienen. Die Tankstelle in Alnif ist da leider keine Ausnahme. „F'dor Mubarak“, was soviel wie “gesegnetes Fest“ (anlässlich des Ramadan) bedeutet, ist eine unserer neu erlernten Redewendungen, die wir gerne einsetzen. Der Tankwart bekommt etwas davon ab und ist sichtlich erfreut.
Der letzte größere Ort vor der Todrha Schlucht ist Tinghir, eine mittelgroße Oasenstadt am südlichen Rand des Hohen Atlas. Dort wollen wir uns vor der letzten Etappe des Tages noch ein wenig stärken. Neben einem zentralen Platz entdeckt Ines ein Lokal samt Terrasse, das geöffnet und halbwegs einladend wirkt. Wir parken wenige Meter danach und haben, bei noch laufendem Motor, bereits das erste bettelnde Kind an der Fahrzeugtüre. Es möchte Geld, nichts zu essen sondern nur Geld. Auch als “Parkwächter“ möchte er sich nicht betätigen, womit wir von einem Sponsoring absehen.
Unser Mittagessen fällt weniger üppig aus als erhofft und wir wagen noch einen Spaziergang in die engen Gassen abseits der Hauptstraße. Wie es der Zufall möchte, ist Markttag in Tinghir und ringsum wird gebacken, frittiert und über offener Flamme gegrillt. Wir versorgen uns mit Briochegebäck und Msemmen, der marokkanischen Variante von Teigfladen bzw. Chapati. Erstmals bekommen wir gefüllte Msemmen, bei denen bereits etwas Gemüse und Gewürze in der Teigmischung verarbeitet wurden. Wir sehen den Köchen und Händlern zu, freuen uns dabei über die freundliche Aufmerksamkeit, die man uns schenkt. Als wir bei den Obstständen ankommen sind wir fast bargeldlos und nehmen, dank einer Ermäßigung, zwei volle Säcke mit Obst und Gemüse mit. Die Prozedur an den Obst- und Gemüseständen ist stets die selbe: man erhält einen Plastiktrog, den man sich selber aus dem Sortiment auffüllt und an den Händler retourniert. Bis auf wenige Ausnahmen wie Avocados, wird sämtliches Obst und Gemüse gemeinsam gewogen und zum Einheitspreis verkauft. „F'dor Mubarak“ wünsche ich den Händlern, worüber sie sich jeweils sehr freuen.
Zufrieden und satt steuern wir den Eingang der Todhra Schlucht an. Die vielen Touristenbusse und Souvenirhändler an jeder Parkbucht lassen auf die nahende Attraktion schießen. Das touristische Highlight befindet sich bereits ganz am Anfang, wo senkrechte rote Felswände zu beiden Seiten hundert Meter empor ragen. Wir rollen langsam durch den kurzen Abschnitt, schaffen es keinen Touristen zu überfahren, der auf sein Handy glotzt und halten auch nicht am überfüllten Parkplatz. Unser Vorhaben sieht anders aus. Am anderen Ende der Schlucht bzw. am Ursprung, 86 Kilometer nördlich, verbindet ein Pass die Todrha mit der Dades Schlucht. Die Verbindungsstrecke ist neu bzw. erst kürzlich asphaltiert worden und somit auch mit unserem Bus machbar. Von anderen Reisenden haben wir gehört, dass der Pass womöglich, aufgrund des vielen Schnees, noch gesperrt sein könnte. Die Aussicht auf die spektakulärsten Gipfel des Hohen Atlas sowie ein Abenteuer mit unbekannten Ausgang auf fast 3000m Höhe reizt uns.
Mit jedem Kilometer gewinnen wir auch an Höhe und erreichen am späten Nachmittag das 1750m hoch gelegene Dorf Tamtattouchte, wo wir vorab zwei mögliche Stellplätze markiert haben. Der erste Platz liegt direkt an der Straße und sagt uns nicht zu, der zweite wirkt völlig verlassen und etwas verwahrlost. Gegen etwas Gebühr sollte es hier eigentlich eine warme Dusche und eine Toilette geben, worauf wir uns schon gefreut hatten. Wir parken uns trotzdem ein, streifen die dicken Jacken über und sind zumindest froh über den ebenen Parkplatz abseits der Straße. Im halbdunklen huscht eine zierliche Person samt Kopftuch über den Platz und hebt grüßend die Hand. Ich erwidere und mache kurz darauf mit Said, dem Besitzer des Platzes Bekanntschaft. Er heißt uns auf arabisch, in der Sprache seines Berberstammes und abschließend in Französisch willkommen. Dabei kichert er unentwegt, spricht schnell und mit hoher Stimme. Seine Worte unterstreicht er mit witzigen flinken Gesten, die an Luis de Funes erinnern. Er schließt uns einen Raum auf, der Dusche und Klo beherbergt, kündigt seine Rückkehr für den kommenden Morgen an und verschwindet leise in der Nacht.
Das Vorhaben “Dusche“ wird in die Kategorie der ultraschnellen Katzenwäschen eingehen. Mehr als „Huh“, „Hah“ oder “Heh“ entlockt uns, der wohl kälteste Duschstrahl Marokkos nicht.
Sauber und dick eingepackt machen wir uns zeitig am nächsten Morgen auf den Weg, um das hohe Ende der Schlucht noch am Vormittag zu erreichen. Weniger als 15 Minuten unterwegs, blockieren mitten im Nirgendwo zwei Menschen mit ausgestreckten Armen die Straße. Als wir vor ihnen anhalten, erkennen wir zwei erwachsene Frauen, mit Schleiern verhüllt. Eine stellt ihre Knie an die Stoßstange und lehnt sich über die Motorhaube, um uns zu blockieren, während die Andere versucht, durch das Fenster hineinzugreifen und um Dirham, also Geld zu betteln. Ihre Blicke sind finster, ihr Ton fordernd und aggressiv. Eine Mischung, die wir nicht unterstützen wollen. Erst beim dritten Mal Aufheulen des Motors, löse ich langsam die Kupplung und es gelingt, dass die lebende Straßensperre zur Seite hüpft. Obwohl ich rasch beschleunige, gelingt es einer der beiden Frauen noch, dem Bus eine satte Ohrfeige zu erteilen. Mein erstes Reflex ist es, sofort anzuhalten, auszusteigen und die beiden aggressiven Weiber zu schimpfen. Hier in den Bergen Marokkos, kann ich den Reflex unterdrücken. „Was bitte ist da gerade passiert?“ frage ich Ines, die, sichtlich entsetzt, auch keine Antwort hat. Auch sie war kurz davor, einen Kraftausdruck zu verwenden, etwas was bekannterweise Seltenheitswert hat. Die negative Erfahrung wirkt noch eine Weile nach. Dabei öffnen sich vor uns gewaltige Bergkulissen, schneebedeckte Gipfel die von der Sonne getroffen, endlos lange Schatten werfen. Wir durchqueren mehrere Flussläufe und passieren äußerst holprige Passagen. „Wow, richtig viel Action“ meint Ines, die sich bereits erholt hat. Auch mir tut die Kulisse gut und wir halten für einen ersten Fotostopp. Eisiger Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt lassen uns aber rasch weiterziehen. In Agoudal erreichen wir das Dorf, wo die letzte sogenannte “Barriere de neige“, also der Schranken, der bei unpassierbaren Schneefahrbahnen unten bleibt, steht. Der Schranken ist oben und wir biegen auf die tatsächlich neu asphaltierte Straße ab, die uns 120 Kilometer weiter südlich wieder aus dem Hohen Atlas führen soll. Hier am Ursprung der langen Dades Schlucht, ist der Ausblick grandios. Die Gipfel sind teils steil und schroff, wie wir es aus den Alpen kennen und teilweise völlig rund und abgetragen. Schneewehen türmen sich an beiden Seiten der Fahrbahn immer höher, bis sie in die Straße ragen. „Geschafft, das war der höchste Punkt!“ sagt Ines zufrieden und macht auf 2907m Seehöhe einen Screenshot am Tablet. Diesen Punkt erreichen wir gerade noch bei Sonnenschein. Danach beginnt es zu schneien, bevor sich die Wolken immer mehr verdichten und den Bergen ihre Farbe nehmen. Als wir später den Schnee hinter uns lassen, stecken wir in einem Dorf fest. Die neu asphaltierte Straße hat sich längst verabschiedet und ihre brüchige Fortsetzung findet mitten in einer Engstelle ein abruptes Ende. Einige Bauarbeiter sehen andächtig einem Baggerfahrer zu, der einen tiefen Graben durch die Straße zieht. „Pas de probleme, monsieur...cinq minutes“ ruft mir ein Arbeiter entgegen, als ich aussteige und mir die Baustelle ansehe. Etwas ungläubig, ob des marokkanischen Zeitgefühls, berichte ich Ines von der erwarteten Verzögerung, um knapp 10 Minuten später tatsächlich beobachten zu können, wie der Graben wieder zugeschüttet wird. Zweimal presst der Baggerfahrer die Erde mit der Schaufel zusammen bevor uns gedeutet wird. Aus Mangel an anderen Fahrzeugen (die etwas kleiner und leichter wären) halten wir als Versuchskaninchen her und überstehen die Passage nur um im Anschluss eine ekelige Schrägfahrt über eine Kiespiste hinzulegen. So ertragen wir die verkehrstechnischen Herausforderungen des Tages und erleben noch einen kurzen Durchbruch der Sonne, als wir das untere Drittel des Dades Schlucht erreichen. Genug um orangerote Felsen und bizarre Gesteinsformationen zu erkennen, die für so manche Straßenverhältnisse entschädigen. Knapp sieben Stunden haben wir für die 160 zurückgelegten Kilometer benötigt. In den Bergen kaum eine Menschenseele gesehen, geschweige denn Touristen. Mit Ausnahme der aggressiven Weiber und der vielen Schlaglöcher haben wir die Tour absolut genießen können.
Erholung am Stausee
Bei Boumalne Dades mündet die Dades Schlucht an der Straße der Kasbahs, die weiter nach Westen führt. Es ist fortgeschrittener Nachmittag als wir die Schlucht verlassen und sich erstmals Hunger meldet. Vor lauter Staunen hat auch der Magen inne gehalten und trotz einiger Stopps kein dringendes Verlangen geäußert. Ines nimmt aus einer Bäckerei noch etwas Süßes mit, bevor unsere Stellplatzsuche beginnt. Kurz nach Skoura, in der Nähe der Kasbah Amerhidil finden wir einen geeigneten Platz zum Übernachten.
Am Morgen machen wir uns zu Fuß auf den Weg durchs ausgetrocknete Flussbett um die prachtvolle Kasbah zu besichtigen. Das Schloss aus dem 17. Jahrhundert ist in privatem Besitz und wurde sorgfältig renoviert. Die Frontansicht des Wüstenschlosses ziert den 50 Dirham Schein und gilt als Musterbeispiel einer Kasbah. Über drei Stockwerke, die unter anderem ein kleines Museum beherbergen, erreichen wir das Dach, das ein prächtiges Panorama auf die weißen Gipfel der Berge und die grüne Oase davor bietet. Die Löcher in der Lehmfassade sorgen innerhalb des Gebäudes für angenehme Temperaturen und zeugen von den architektonischen Fähigkeiten der Erbauer. Die mehr als einstündige Besichtigung lohnt sich für uns definitiv.
Vor Ouarzazate navigiert uns Ines zu einem “wilden Stellplatz“ an einem Stausee, der nur über eine grausliche Piste erreichbar ist. „Bist du sicher, dass ma do richtig san?“ frage ich Ines leicht genervt. Wie immer führen auch hier die miesesten Wege zum schönsten Ziel. Unten am Ufer finden wir dann einen herrlichen Platz, der obendrein eben ist und noch Platz für Tisch und Stühle bietet. Einem sonnigen Nachmittag folgt ein weiterer und wir können abermals Einsamkeit genießen. Auch der stürmische Wind, der uns mehrmals nach drinnen peitscht, kann unserer Laune nichts anhaben. Mittlerweile bestens geübt in der tiefen Hocke, machen wir uns am Morgen, jeweils mit der Schaufel bewaffnet, auf den Weg ein passendes Plätzchen für ein großes Geschäft zu finden. Der Ausblick ist immer grandios und durch die leichte Entflammbarkeit des Klopapiers, werden nach vollbrachtem Geschäft stets Rauchzeichen gesendet. Ines muss schmunzelnd an eine besonders wertvolle Freundin denken, die ihr vor Jahren als Gag bzw. zur Vorbereitung unserer ersten großen Reise ein Buch mit dem Titel “How to shit in the woods“ vermacht hat. Ab und zu taucht aus dem Nichts ein streunender Hund auf, der so rasch verschwindet, wie er erschienen ist. An den Abenden gibt es jeweils spektakuläre Szenen, wenn sich der volle Mond erhebt und den See vor uns zum schimmern bringt. Ich mache einige Fotos und muss feststellen, dass die Bilder (dank längerer Belichtungszeit) kaum von einem Sonnenaufgang zu unterscheiden sind. Es sind schöne Tage, an denen wir wieder Zeit zum Sporteln, Schreiben und ausgiebig Lesen finden. Unser magnetischer Duschvorhang hält der stürmischen Belastungsprobe stand, kleine Arbeiten am Bus werden erledigt und die Abende mit einem Lagerfeuer eingeläutet. Erst als ein aufdringlicher Typ auf dem Moped vorbeikommt und die Aussicht auf noch stärkeren Wind konkret wird, beschließen wir den Platz am kommenden Tag zu verlassen.
In Ouarzazate können wir wieder einige Vorräte aufstocken, lassen die bei Touristen beliebten Filmstudios vor Ort aus und machen uns auf den Weg nach Ait Benhaddou. Dort bildet der gesamte Ort eine Filmkulisse, an denen unzählige Hollywoodstreifen, wie “Gladiator“ oder auch mehrere Episoden von “Game of Thrones“ gedreht wurden. Darüber hinaus bietet die Stadt ein wunderschönes Beispiel traditioneller Lehmbauarchitektur der Berber. Das Ksar (befestigtes Dorf bzw. Burg) besteht aus einem Labyrinth aus Häusern, Türmen und Kollektivspeichern. Die aus Stampflehm errichteten und mit Ornamenten geschmückten Häuser liegen ineinander verschachtelt am Berghang und sind als Ensemble ein beeindruckender Anblick. Erst durch die Einnahmen aus der Filmindustrie und des Tourismus wurden in den letzten 20 Jahren viele Gebäude wieder renoviert und einige werden mittlerweile auch wieder bewohnt.
Auf einer Anhöhe, knapp zwei Kilometer vor dem Ort, finden wir einen flachen Platz zum Verweilen, der obendrein einen wunderbaren Blick auf Ait Benhaddou und die umliegende Oase bietet. Unsere Erkundung zu Fuß verläuft bestens und wir schaffen es, den wenigen Touristengruppen auszuweichen. Ein einheimischer Künstler ladet uns in seine bescheidene Galerie ein, um uns seine besondere Maltechnik zu demonstrieren. Aus Safran und Tee mischt er kaum deckende Farben, die erst durch Erhitzen sichtbar werden. Als wir weit oben ein kleines Lokal zum Rasten finden, erreicht der Sturm seinen Höhepunkt. Wir beobachten, wie Polster und Sitzkissen von den Terrassen gefegt werden und freuen uns über eine geschützte Nische.
Zurück im Bus stellen wir uns auf eine stürmisch wackelige Nacht ein, die dann auch eintritt. Erstmals erhalten wir am Abend Besuch von der örtlichen Polizei, die höflich an die Schiebetüre klopft, um unsere Reisepässe zu fotografieren und uns einen schönen Abend zu wünschen.
Nach dem Frühstück nehmen wir die lange Etappe über den Tizi-n-Tichka Pass in Angriff. Dabei überqueren wir den Hohen Atlas auf 2260m Höhe, bevor wir hinunter in die Ebene um Marrakesch gelangen. Die Straßen sind überwiegend gut ausgebaut und wir erreichen den Pass samt seinem maroden Monument noch vor Mittag. Einige Händler versuchen uns dort mal forsch, mal freundlicher in ihre Geschäfte zu locken, wo sich Fossilien aller Farben und Größen türmen. Es fällt uns leicht zu widerstehen, bevor wir die Abfahrt wagen. Knapp eine Stunde, über unzählige Serpentinen hinunter, dauert es bis sich das Tal öffnet und wir ein Dorf erreichen, wo wir uns mit Brot und Obst eindecken. Der Stellplatz an einer Waldlichtung, auf den wir übernachten wollen gefällt uns aus mehreren Gründen nicht (Glasscherben inklusive) und wir beschließen die restlichen 50 Kilometer bis zum Campingplatz in Marrakesch noch hinter uns zu bringen.
Marrakesch und seine Facetten
Eine angenehme Temperatur strömt durchs leicht geöffnete Fenster, als wir die Außenbezirke der Millionenstadt passieren. Etwas nördlich der Stadt befindet sich der renommierte Campingplatz “Le Relais de Marrakech“, wo wir die kommenden Tage unser Quartier beziehen wollen. Der Platz ist schön angelegt, jedoch sehr gut besucht, was unserer Vorfreude keinen Abbruch tut.
Zwischen zwei Bäumen im hinteren Bereich des Geländes stehen wir gut, richten uns erfolgreich ein und machen uns mit den Services vertraut. Es gibt ein Taxiservice, das bis zu 6 Passagiere ins Stadtzentrum kutschiert, wobei die Gesamtkosten geteilt werden können. Wir tragen uns für den kommenden Morgen in die Liste an der Rezeption ein, wo bereits zwei Striche auf weitere Mitfahrer hinweisen. Nach so vielen Nächten ohne Service, hat das bloße Bestehen einer Rezeption, eines Swimmingpools und extra Einrichtungen etwas Befremdliches wie Komfortables gleichzeitig. „Es gibt sogar Klopapier“ triumphiert Ines, als sie vom Sanitärhäuschen zurückkommt. „Al-hamdu lillah“, was Gott sei Dank bedeutet, entgegne ich lachend. Was für eine Rarität, was für ein Luxus!
Am Morgen freuen wir uns auf ein Highlight unserer Reise. Die unzähligen Sukhs, Paläste, Gärten und Museen warten bereits darauf, erkundet zu werden.
Die weiteren Taxiinsassen am Weg zum Djemma el Fna sind zwei ältere Paare aus Deutschland und Frankreich. Ich übersetze für die beiden Deutschen ins Französische und kann ihnen dabei helfen, bereits zwei Kilometer vor dem Zentrum auszusteigen. Aus welchen Gründen auch immer, drücken sie dem jungen Taxifahrer die Hälfte des fixierten Preises, anstatt nur einem Drittel, in die Hand. Als unser Chauffeur wenige Minuten später von uns Verbliebenen nochmals den gesamten Preis verlangt, berichte ich meinem französischem Sitznachbarn von der Großzügigkeit unserer deutschen Mitfahrer. Er weigert sich daraufhin genauso wie ich, abermals den vollen Preis zu bezahlen und liest dem jungen Mann obendrein auf Französisch die Leviten. Ein sympathischer Franzose! Wir tauschen Nummern aus, um uns am Abend bei einer gemeinsamen Rückfahrt nochmals ein Taxi zu teilen, bevor wir getrennte Wege gehen.
Am Morgen geht es am zentralen Platz Djemma el Fna ausgesprochen ruhig zu. Die Schlangenbeschwörer spielen ihre Flöten immerhin laut genug, dass wir nicht über eine ihrer Schlangen stolpern. Saftstände verkaufen die ersten frisch gepressten Vitaminbomben. Einige Guides (offizielle und inoffizielle), Gaukler sowie Hennakünstlerinnen warten auf die Ankunft der ersten Schaulustigen.
Der berühmte Platz (der Gehängten - so die Übersetzung) bietet 365 Tage im Jahr zweifellos das größte Schauspiel, die bedeutendste Attraktion und ist gleichzeitig das historische Zentrum der ehemaligen Hauptstadt. Einstmals wurden Verbrecher oder Rebellen hier hingerichtet und ihre Köpfe so lange ausgestellt, bis nur noch die kahlen Schädel übrig blieben. Gegenwärtig verdirbt einem höchstens der Anblick von angeketteten Affen und meterlangen Schlangen den Appetit. In einem Café am Rand des Platzes nehmen wir auf der Dachterrasse platz, orientieren und stärken uns kurz, bevor wir uns in die wachsende Menschenmenge stürzen. Intuitiv starten wir den Rundgang in die Medina in einer ruhigeren Ecke und lassen uns einige Zeit lang treiben. Wir üben uns in der Kunst, dabei möglichst zielstrebig zu wirken, um nicht von jedem einzelnen Händler angesprochen zu werden. Trotzdem kommen wir mit Einigen ins Gespräch, erkunden uns nach Preisvorstellungen und sorgen mit unseren paar arabischen Floskeln stets für heitere Momente. Etwas länger zieht uns der Platz der Gaukler und Scharlatane an. Schlangenhäute hängen vor den Geschäften, davor Schildkröten und kleine Rochen (!) und allerhand anderes Tierisches zählen zu den wirksamsten Inhaltsstoffen, der hier angebotenen Medizin. Danach kommen wir bei den Korbflechtern vorbei, gönnen uns frisch gepressten Saft und entscheiden uns für ein Mittagessen in einem palästinensischen Lokal. Die versprochenen “besten Falafeln der Welt“ schmecken gut und frischer Salat auf unseren Tellern ist obendrein eine willkommene Seltenheit. Danach stolpern wir eher zufällig ins Museum von Marrakesch und genießen eine Pause vom Trubel. Das Ambiente, in dem Vögel durch die offenen Gänge fliegen und Kunst aus verschiedenen Epochen gezeigt wird, gefällt uns.
Am nördlichen Rand der Medina nimmt die Zahl radikaler Mopedraser dramatisch zu und wir flüchten uns regelmäßig zu einigen Ständen. Dabei lassen wir von einem Schlüsselmacher, um umgerechnet drei Euro, einen weiteren Autoschlüssels als Reserve anfertigen und dürfen dem Meister bei seinen flinken Handgriffen zusehen. In weniger als 20 Sekunden hat er mit seinem uralten Werkzeug aus dem Rohling ein sauber geschliffenes Imitat erschaffen. Danach erstehen wir noch leckere gefüllte Msemmen und setzen außerhalb der Medina unseren Rundgang fort. Vorbei an den prächtigen Gärten der Moschee, wo sich Orangenbäume voller Früchte aneinanderreihen, erreichen wir später ein anderes Eck der Medina, um uns noch einmal ins Gewirr zu stürzen. Danach lassen wir es gut sein und finden ein Lokal mit Dachterrasse, wo wir wiederum verschnaufen und gut gelaunte Kellner für Erheiterung sorgen. Mit unseren französischen Taxigefährten Didier und Marise verbringen wir am Abend eine heitere Taxifahrt, wobei die beiden sympathischen Pensionisten uns umgehend zu Wein und Bier einladen. Ihr Camper sei voll damit, meint Didier bescheiden und wir verabreden uns für einen Drink am kommenden Abend am Campingplatz.
Der folgende Tag dient zum Erholen und Verarbeiten der letzten Tage. Sport, Wäsche waschen, kleinere Basteleien, Recherchen sowie Schreiben und Lesen lassen die Stunden verfliegen. Ines aller zartestes Händchen sorgt für den einzigen Schreckmoment des Tages, als sie beim Entleeren der Toilette den Bus flutet. Ich sitze draußen, als ich Ines aufschreien höre und kleine Kaskaden über die Einstiegsleiste rinnen sehe. Es handelt sich nur um das frische Spülwasser. Al-hamdu lillah! Gemeinsam sind die Spuren dann auch rasch beseitigt. Aus dem Drink am Abend, werden drei, nachdem sich unsere Gastgeber abermals heiter und redselig präsentieren. Die ersten Franzosen unserer Reise, die sich auch mit anderssprachigen Reisenden zusammentun, sind zwei offene, zufriedene Menschen, von denen sich Andere eine gewaltige Scheibe abschneiden könnten. Obwohl sie kaum Englisch sprechen, versuchen sie sich immer wieder dabei manche Begriffe auch zu übersetzen. „So was will ich auch!“ bekundet Ines ihr dringendes Interesse an Bodenfächern im Camper. Didier hat dort seinen Vorrat an Wein und Spirituosen gelagert. Das Biersortiment ist auf Heckgarage und Kühlschrank verteilt. Bevor wir uns verabschieden, laden uns die beiden noch zu sich nach Hause ein und bieten uns an, jederzeit auf Besuch zu kommen.
Am kommenden Morgen erleben wir zunächst eine Enttäuschung. Unser reserviertes Taxi ins Stadtzentrum ist bereits mit anderen Campinggästen davon gefahren. Der Rezeptionist entschuldigt sich und bietet uns an, ein weiteres Taxi zu rufen, worauf wir gerne verzichten. Stattdessen suchen wir die Bushaltestelle in dem Randbezirk, in dem der Campingplatz liegt. Ines findet auf der Straßenkarte am Handy mögliche Stationen, die für unsere Augen jedoch nicht auffindbar sind. Wir wollen dem Nichtvorhandensein von Haltestellen nicht zu viel Bedeutung zuschreiben und spazieren entlang der Route, in der Hoffnung das der Bus bald hinter uns auftaucht. Drei Straßengräben, alias potentielle Haltestellen, weiter sind mehr als dreißig Minuten vergangen. Die verbleibenden elf Kilometer müssen wir dann weder zu Fuß, noch mit den Bus zurücklegen. Ein schwarzer Kleinbus hält neben uns und der Fahrer fragt uns höflich, ob er uns in die Stadt mitnehmen kann. Unser Chauffeur nennt sich Mr. Chrif, drückt mir seine Visitenkarte in die Hand und fängt zu plaudern an. Ihm umgibt das Wesen eines alten viel bespielten Teddybären, der obendrein ortskundig ist und uns noch ein paar Tipps für die Rückfahrt gibt.
Unsere Tour beginnt diesmal am südlichen Ende der Medina, wo wir schöne handbemalte Keramikbecher erstehen. Der ausgerufene Startpreis, war bereits etwas geringer als die Hälfte des Preises, der uns einige Straßen weiter vor zwei Tagen vorgeschlagen wurde. Nur wenige Minuten später, sind wir nochmals bei der Hälfte des Preises angelangt und besiegeln das Geschäft per Handschlag. So ähnlich verlaufen die meisten Feilscherein (die mir durchaus Spaß machen) an diesem Tag, wobei Ines mit einer hübschen Wickelhose und einer Teekanne nochmals voll auf ihre Kosten kommt. Natürlich dürfen auch Tee und Kräutermischungen nicht fehlen. Meine Wahl fiel auf einen großen Esel, geflochten aus Stroh, der im hübschen Innenhof einer Kooperative stand. Doch die Preisvorstellungen der Flechterinnen waren abseits meiner. Ines hätte sich mit einem Esel neben ihr am Beifahrsitz jedenfalls anfreunden können. Mittags bestellen wir in einer belebten Gasse jeweils die marokkanische Spezialität Tagine, die direkt im Schmorgefäß serviert wird. Bei meiner Variante fehlt der Großteil der Zutaten, was der junge Kellner damit rechtfertigt, dass die Zutaten gerade nicht vorhanden sind.
Ein anderer junger Verkäufer im Ledersouk stellt sich uns am Nachmittag provokant in den Weg und meint mit frechem Ton: „Buy something, you are rich!“. Später erleben wir aus nächster Nähe zwei wilde Prügeleien. Ein Touristenführer weist seine Gruppe bei dem Anblick zur Umkehr und meint besänftigend zu seinen verschreckten Gästen, dass es sich hier nur um Spaß handle. Auf der ruhigen Terrasse eines Cafés schütteln wir erfolgreich den Stress und die Hektik der Gassen ab. Die Begegnungen an diesem Tag sind beispielhaft, für die bisherigen in marokkanischen Städten. Auf sehr zuvorkommende, heitere Begegnungen mit Einheimischen folgt eine, auf die wir lieber verzichtet hätten. Ein Kreislauf, vor allem in dieser Metropole, die vor (nicht immer positiv auftretenden) Touristen so platzt. Höhen und Tiefen folgen dabei so knapp aufeinander, dass oft Redebedarf entsteht.
Am Abend nehmen wir den lokalen Bus Nummer 36, die Linie ohne sichtbare Haltestellen, der uns nahe an den Campingplatz zurückbringen soll. Nach dreiviertelstündiger Wartezeit erscheint der Bus und die Menschen drängen, ganz afrikanisch, unnachgiebig zur Türe. Ein höflicher Einweiser deutet mir mit entschuldigendem Blick, meinen Rücksack vorne zu tragen. Wir zählen zu den glücklichen, die noch einen Sitzplatz erwischen und entspannt beobachten können, wie sich der Bus füllt. Aus Mangel an einem Mechanismus, wird der Wunsch zum Ausstieg eines Passagiers mit lautem Klopfen an die Decke des Busses kommuniziert. Das dumpfe laute Klopfen veranlasst den Chauffeur, bei nächstbester Gelegenheit zu halten, Ich freue mich schon darauf, selbst etwas Lärm zu machen. Es dauert eine Weile, bis Ines am Handy den Standort prüft und mir das Kommando gibt. Zweimal schlage ich beherzt an die Decke, bevor wir uns den Weg nach draußen bahnen.
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Katrin (Dienstag, 06 Mai 2025 01:09)
Wie immer sehr spannend zum lesen! Danke für das kurzweilige Mitreisen! ☺️�
Johannes (Dienstag, 06 Mai 2025 02:11)
Wahnsinn was ihr da wieder erlebt habt! Gott sei Dank ist alles gut gegangen und habt heil diese weitere Etappe eurer Reise überlebt. An neuen Abenteuern und Eindrücken scheint es euch ja nicht zu mangeln!
Udo (Dienstag, 06 Mai 2025 08:41)
Ich bin dank meiner Phantasie voll dabei! Danke für die vielen Anregungen zum träumen.
Margit (Dienstag, 06 Mai 2025 11:37)
So schöne Tage. Passt gut auf euch auf.�
Ula (Dienstag, 06 Mai 2025 12:42)
Ich finde es so toll, welche spannenden und schönen Erlebnissen ihr auf eurer Reise ausgesetzt seid. Wir wünschen euch beiden eine weitere erlebisreiche Fortsetzung eurer Reise, paßt gut auf euch auf und bleibt gesund! Alles Liebe Ula und Josef
Isabelle (Dienstag, 06 Mai 2025 13:24)
Merci, dass wir mit euch reisen können! Weiterhin alles Gute und Bussi von den Daheimgebliebenen :-)
Hannah (Dienstag, 06 Mai 2025 19:18)
Ja, und wie macht man jetzt richtig Gacksi im Wald? �
Spatz beiseite - danke, dass ihr uns teilhaben lasst an euren Abenteuern. Der Blog ist wirklich toll geschrieben und vermittelt einem fast den Eindruck, man wäre dabei. Ich freu mich schon auf den nächsten Eintrag.
Bis dahin liebe Grüße aus den Gourmet-Gefielden �
Xandi (Donnerstag, 08 Mai 2025 09:55)
Bin gespannt auf noch mehr Fotos die ihr gemacht habt… die langen Schlangen würde Felix sicher gerne sehen.
Drück euch ganz fest!! Bussis
chri (Mittwoch, 14 Mai 2025 15:40)
Wieder ein äußerst erheiternder, spannender und abenteuerlicher Blogeintrag!
Danke, dass ihr die Eindrücke und Abenteuer teilt.
Alles Gute für die nächsten Etappen!