Stürmische Zeiten am Atlantik

Essaouira, Heimat von Sturm und Katzen

Die intensiven Tage in Marrakesch haben wir dank guter Gespräche und einer Portion Ruhe gut verarbeitet. Die Atlantikküste im Westen liegt weniger als drei Autostunden entfernt und die Vorfreude auf ein weiteres Highlight stellt sich langsam ein. In Essaouira erwartet uns eine pittoreske Hafenstadt, die für ihre blühende Kunst- und Kulturszene bekannt ist. Die Karthager, so sagen Funde, haben die Bucht bereits 500 v. Chr. besiedelt und Handel betrieben. Im 1. Jahrhundert bezogen die Römer ihr wertvolles Purpur von den vorgelagerten Inseln. Der rötliche Farbstoff, der aus den Purpurschnecken gewonnen wird, gibt den Purpur Inseln bis Heute ihren Namen. Das aktuelle Stadtbild prägten vor allem die Spanier und Portugiesen, die im 16. Jahrhundert die Hafenstadt unter dem Namen Mogador wiederbelebten und eine beeindruckende Festungsmauer hinterließen. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entdeckten Hippies, Beatniks und Künstler wie Bob Marley, die Rolling Stones, Jimi Hendrix oder Jim Morrison die Stadt für sich. Beim jährlich stattfindenden Gnaoua Musikfestival werden in Essaouira bis Heute die Wurzeln von Blues und Jazz zelebriert. Auch Surfer schätzen den Ort, der als "Windy City" Marokkos gilt.

Vom Wind ist noch wenig zu spüren, als Ines uns aus der Peripherie Marrakeschs navigiert. Dabei entdeckt sie an einem Kreisverkehr etwas, das ich kaum glauben kann. "Schau mal, da links!" lautet ihre dringende Anweisung. Kein parkendes Auto oder Moped im Kreisverkehr, keine Eselskarre oder der übliche Geisterfahrer, der einem in Marokko täglich begegnet. Nein, hinter Büschen abseits der Straße befindet sich eine Tankstelle mit dem gewissen Etwas. Das gewisse Etwas ist eine Selbstbedienungswaschanlage (!) mit Münzwurfautomaten. Al-hamdu lillah! Alle auffindbaren Münzen werden sofort gezählt, bevor ich zur Tat schreiten darf. Noch nie habe ich mich über eine Waschstraße dermaßen gefreut. Abseits banaler Eitelkeit, geht es hier um die notwendige Entfernung von Witterungsrückständen am Bus. Triumphierend und frei vom gröbsten Sand verlassen wir die Vororte Marrakeschs, wo ich meiner adleräugigen Frau Komplimente zuwerfe und mich bedanke.

Essaouira ist seit einigen Jahren leider die erste und bisher einzige Stadt Marokkos, in der generelles Fahrverbot für Wohnmobile gilt. Die Zahl der Überwinterer und mobilen Aussteiger dürfte ein Maß erreicht haben, dass die Stadtverwaltung zu dieser drastischen Gesetzgebung gezwungen hat. Wir haben uns deshalb für einen Campingplatz wenige Kilometer außerhalb der Stadt entschieden, der vielversprechend aussieht. Die Fahrt dorthin zählt dafür zu den unspektakulären Etappen unserer Reise. Uns fallen lediglich die vielen Schilder der Kooperativen auf, die kostbares Arganöl entlang der Hauptstraße verkaufen.

Unseren Campingplatz finden wir in einem weitläufigen Gartengelände, wo wir uns unter Olivenbäumen einparken. Beim Check-in mit den Betreibern, gratuliert uns ein netter französischer Gast zu der seltenen Farbe unseres Busses. "C'est très rare" sagt er und nickt anerkennend. Wenige Momente später rollt ein anderes Fabrikat in gleicher dunkelblauer Farbe auf dem Platz ein und sorgt unmittelbar für ein gemeinsames Schmunzeln. Ein junges Paar aus der Schweiz hüpft aus dem Bus mit denen wir rasch ins Plaudern kommen. Aurelie und Lino können für die Farbwahl ihres Busses ebenso wenig wie wir und wollen sich Morgen mit uns ein Taxi in die Stadt teilen.

Nach dem Wäschewaschen am Nachmittag erleben wir erstmals eine echte Brise der "Windy City". Unsere frisch gewaschene Wäsche steht waagrecht im Wind. Vom Inneren des Busses aus, beobachten wir ob die Wäscheklammern dem heftigen Test standhalten. Manche schlagen sich tapfer, andere resignieren.

Am nächsten Morgen ist das gröbste vorerst überstanden und sogar die Sonne lässt sich immer wieder mal blicken. Nach der gemeinsamen Taxifahrt mit unseren Campnachbarn gehen wir getrennte Wege und erreichen die Medina über das sogenannte Bab Marrakech, das östliche Eingangstor. In der alten Kanone davor hat es sich ein grauweißes Kätzchen gemütlich gemacht und zwinkert uns zu. Angenehm breit fallen die ersten Gassen aus, durch die wir laufen. Blaue Tore ergänzen die weißen Wände. Erste Händler öffnen ihre Geschäfte, sind aber vielleicht noch nicht munter genug um uns anzusprechen. Wie sich bald herausstellt, geht es in Essaouira überhaupt deutlich entspannter zu, als zuletzt in Marrakesch. Die Händler sind leiser, "übersehen" einen öfter und manche haben sogar Preise ausgeschildert! Wir besuchen einige Geschäfte und lassen uns frischen Fruchtsaft pressen, bevor wir zum Hafen spazieren. Der Anblick der gewaltigen Brandung ist imposant. Die Wucht mit der die Wellen auf die vorgelagerten Felsen peitschen, lässt das Trommelfell vibrieren. Zur Errichtung einer Hafenstadt hätten sich wohl ruhigere Buchten finden lassen, denken wir uns. In einem einladenden Geschäft lassen wir uns erstmals die marokkanische Spezialität Amlou frisch abfüllen. Das Mandelmus mit Honig und Arganöl wird aufs Brot gestrichen und bietet Ines einen willkommenen Ersatz zur schwindenden Erdnussbutter. Mittags gehen wir auf Nummer sicher und gehen zu einem echten Italiener Pizza essen. Im Anschluss finden wir in einer (mittlerweile) belebten Gasse noch einen angenehmen Platz zum Tee- und Kaffeetrinken. In der Gasse der Gewürzhändler werden nicht die Gewürze an sich angeschrieben, sondern hauptsächlich deren Wirkung. Zwischen Wurzeln die versprechen, entweder dick oder dünn zu machen, finden sich Klassiker wie "Anti-Stress" oder "Turbo Viagra pour femmes". Danach entdecken wir ungewöhnliche Kunst. Aus Schrauben, Muttern und Ketten werden hier korpulente Skulpturen geschaffen, die bevorzugt an die Tierwelt angelehnt sind. Am westlichen Ende der Medina führt eine Rampe hinauf zur Wehrmauer, die direkt ins Meer ragt. Mehr als 50 antiquierte Kanonen zieren das renovierte Wahrzeichen der Stadt. Etliche Katzen treiben sich dort herum und verbringen schnurrend & schnorrend ihren Tag. Die süßen Vierbeiner finden zwischen den vielen Teppichen und Flechtwaren stets ein passendes Plätzchen zum dösen. Ein perfekter Ort, um den Nachmittag in Essaouira ausklingen zu lassen.

Am Abend laden uns unsere Schweizer Nachbarn Aurelie und Lino noch auf einen Drink ein. Es wird wegen den mangelnden Leistungen der österreichischen Skirennfahrer gestichelt und gescherzt, man erzählt von der Heimat und tauscht sich über die bisherigen Erfahrungen der Reise aus. Die erfrischende Unbekümmertheit der Beiden gefällt uns.

Obwohl uns der Stellplatz bei Essaouira gefällt und ein weiterer Besuch der Stadt durchaus lohnenswert erscheint, veranlasst uns die Aussicht auf weitere stürmische Tage zum Weiterfahren.

Von der "Windy City" aus in den Süden führt eine gut ausgebaute Straße, die jedoch nicht am Meer entlangführt. Wie so viele Landstraßen Marokkos, windet sich hier Kurve um Kurve und folgt ein Hügel dem nächsten. Eine hübsche Gegend, die sich bereits grün und blühend präsentiert. Argan-, Mandel- und Olivenbäume sprießen aus der roten Erde. Am Straßenrand winken uns erstmals grau uniformierte Typen zur Seite. Nach sicherlich mehr als 100 Polizei Check-Points, werden wir erstmals aufgehalten. Beim Blinken werfe ich dem Polizisten noch einen fragenden Blick zu und deute auf uns. Durchs heruntergelassene Fenster nimmt er meine Papiere inklusive Reisepass mit und verschwindet im Rückspiegel. Die afrikanischen Spielregeln haben wir nicht vergessen und ich mache mich einige Momente später mit der "kleinen Geldbörse" in der Hosentasche auf den Weg zum Chef der Uniformierten. Ein fieser voluminöser Typ aus der Kategorie "Filmbösewicht" spielt passenderweise den bösen Cop mit dem ich voraussichtlich verhandeln muss. Er verzichtet auf Floskeln und erklärt, ich sei vor einigen Minuten, etliche Kurven zuvor, zu schnell gefahren. Ich möchte das Video sehen und er zeigt mir auf seinem zerbrochenen Handydisplay tatsächlich etwas. Zwar kein Video, aber ein Foto von unserem Bus, das er von einem Kollegen zugeschickt bekommen hat. Dann zoomt er ins Bild hinein, wo eine pixelige Schrift die Zahl 67 erkennen lässt. "You were driving too fast – 7 kilometres too fast" sagt er mit ernster Miene. Da mir die Authentizität des Vergehens oder des Bildes nicht unmöglich, jedoch zweifelhaft erscheint, unternehme ich einen Anlauf und beteuere, auch nur jemals irgendwann zu schnell gefahren zu sein. Der erfahrene uniformierte Gauner ändert seine Taktik, wechselt zur Beziehungsebene und fragt zuletzt nach meinem Beruf. Vermutlich um meine Bonität einzustufen und dementsprechend einen Strafbetrag festzulegen. Ich lüge glatt, als ich ihm erkläre, dass ich Kindergärtner sei. "Teacher, for the very small children" erkläre ich ihm und hebe die Hand einen halben Meter vom Boden. "I see, i will give you an opportunity because me.....i'm a good person!" antwortet er. Den Strafbetrag legt er mit 150 Dirham (also rund 15 Euro) fest. Ich ziehe meinen letzten Joker und frage, ob ich auch eine Quittung bekomme, worauf er mir sofortige Rabattierung anbietet, sollte ich darauf verzichten. Er bekommt genau 100 Dirham (danach bekomme ich erst die Papiere und den Reisepass zurück), muss mir jedoch keine Quittung ausstellen und verlautbart noch die obligatorische Warnung, dass nicht alle Polizisten so nett seien, wie er. Wir hoffen, dass das Taschengeld der Polizisten zumindest deren Familien zugute kommt. Mein Ärger verfliegt bald. Schmunzeln muss ich jedenfalls über den uniformierten Schlingel der sich (wie viele Filmbösewichte) als der "Gute" präsentiert und sich selbst sicherlich genau so sieht. Ines fällt wenige Kilometer später ein, dass alle drei Reisenden, die uns von kostspieligen Polizeibegegnungen berichtet haben, ebenfalls mit 67 km/h geblitzt worden sind. Welche Rolle der Zufall dabei spielte, werden wir nicht herausfinden.

Ein anderes Marokko

Auf einer hohen Klippe nahe der Stadt Imsouane finden wir einen wilden Stellplatz, der mit einer herrlichen Aussicht auf den Atlantik lockt. Leider können wir kaum aus dem Bus steigen, da es auch hier besonders heftig stürmt. Die Wetter-App zeigt Böen bis 90 km/h an, die länger anhalten sollen. So fahren wir weiter in den Süden, wo wir vor Taghazout auf bessere Verhältnisse hoffen. Tatsächlich wird es immer schlimmer. Ich muss das Lenkrad dermaßen festhalten, dass meine Finger immer wieder zu krampfen beginnen. Auch die nächsten möglichen Übernachtungsspots sind direkt den heftigen Winden ausgesetzt, so dass wir weiterfahren. Erst in Taghazout selbst zieht jemand dem Sturm den Stecker und wir entscheiden uns, dem Parkplatz ganz oben am Ortsende eine Chance zu geben. Der Platz ist etwas geschützt vom nachlassenden Wind und bietet dank erhöhter Lage, einen schönen Blick auf den Strand und die Stadt. Mehrere streunende Hunde und deren Gebell schrecken uns gleichzeitig etwas ab. Was uns beim Durchfahren bereits aufgefallen ist, ist das überwiegend junge Publikum in den Straßen. Teenager in Surfshorts und Bikinis begegnen uns auch beim Spaziergang durch die Gassen von Taghazout. Ein Surfshop mit Verleih reiht sich an den nächsten. Auch einige einheimische Jungs haben ein Brett unter dem Arm. Hier sieht es, mit Ausnahme der hohen Moschee und einem Esel am Strand, gar nicht nach (dem uns bisher bekannten) Marokko aus. Am Strand sonnen sich junge Touristen in knappster Kleidung, nehmen wenig Rücksicht auf die hier unsichtbaren Gepflogenheiten Marokkos. Genauso gut könnten wir gerade in Spanien oder Portugal unterwegs sein. Dieser kleine marokkanische Mikrokosmos tut vor allem Ines gut. Sie, die sonst stets die Arme und Beine bedeckt, fühlt sich hier freier und anonymer. Entlang des kleinen Strandabschnittes setzen wir uns in eines der netten Cafés und lassen den Sonnenuntergang auf uns wirken. Bunte Graffitis reflektieren die letzten Sonnenstrahlen während kleine Souvenirstände aufgebaut werden. Die erste Nacht am Parkplatz verläuft, wie erwartet, etwas unruhiger wofür ein strahlend blauer Himmel frühmorgens entschädigt. Beim Frühstückskaffee ergeben sich nette Gespräche mit Campern nebenan und wir entscheiden uns rasch, zumindest noch eine Nacht dranzuhängen. Unsere Vorräte sind dank meiner Frau stets aufgefüllt, der Wassertank ebenso, unseren Strom speist ohnehin die Sonne und der kleinen "Enklave" Taghazout können wir durchaus etwas abgewinnen. Der Tag verfliegt beim Spazierengehen am Meer und durch die Gassen. Abends freuen wir uns, nochmals mit Aurelie und Lino zusammensitzen zu können und bei angenehmeren Temperaturen den Abend ausklingen zu lassen. Unsere Wege trennen sich am kommenden Morgen wieder. Die Beiden fahren zurück ins Landesinnere, während unser Weg entlang des Atlantiks nach Süden führt.

Aus Mangel an Stellplätzen, geschweige denn Campingplätzen, besuchen wir die große Küstenmetropole Agadir nur für einen Einkaufsstopp. Ich war vor über 25 Jahren bereits schon mal hier und habe überwiegend gute Erinnerungen und Bilder abgespeichert. Die Stadt wirkt Heute viel moderner, aufgeräumter und weitläufiger. Das Verkehrsaufkommen ist zwar groß, jedoch eine Spur weniger chaotisch als in anderen großen Städten Marokkos. Das Campen hier hat sich, trotz mehrmaliger Recherche, als schwieriges Unterfangen erwiesen, was uns noch 30 Kilometer weiter südlich führt.

Dort soll ein weitläufiger Campingplatz bei Tifnit sogar über einen einladenden Swimmingpool verfügen. Zu unserer Freude begrüßt uns an der Zufahrt kurz ein kleines afrikanisches Erdhörnchen, bevor es in einem Loch neben der Hecke verschwindet. Der riesige Platz ist völlig ausgestorben, was der Herr beim Empfang damit begründet, dass Ramadan sei und auch der Pool gerade saniert wird. "Pfeif aufn Pool - des taugt ma, waun kane Leit do san" verkünde ich zuversichtlich.

Wir bleiben gerne und freuen uns über völlig freie Platzwahl. Als wir uns vorab zu Fuß umsehen, sind von über Hundert möglichen Parzellen tatsächlich nur drei belegt. Wenige Minuten später drängt sich ein weiterer Grund auf, warum der Platz derzeit so leer sein könnte. Eine Invasion von Fliegen nimmt den Bus im Beschlag, als wir gerade unsere Möbel aufbauen möchten. Ines erinnert es an das australische Outback, wo man regelmäßig den Kopf mit Hut und Netz bedecken muss. Am späten Nachmittag teilen wir das lästige Los mit einem anderen Paar aus Österreich. Die zwei Tiroler Birgit und Hari sind ebenfalls unterwegs in den Süden und wollen dabei ihr Fahrzeug samt neuer Wohnkabine ausgiebig testen. Wir plaudern ein wenig, bevor wir jeweils Schutz in unseren Fahrzeugen suchen.

Am Morgen fehlt Ines ein Flip-Flop. Mein berechtigter Verdacht fällt auf den verspielten Hund des Campingplatzes. Wie sich an der Rezeption herausstellt, befindet sich dort tatsächlich ein großer Wäschekorb voller Fundstücke. Der Hund bringt meistens Schuhe, gelegentlich auch Kleidung, meint der Mitarbeiter am Empfang schulterzuckend. Leider fehlt Ines Exemplar und sämtliche Rundgänge (mit und ohne Begleitung des vermeintlichen Täters) bringen kein Ergebnis. Erst als wir beim Wegfahren an einer niedrigen Hecke vorbeifahren, erkennen wir eine helle Sohle im dunklen Grün. Trotz Beißspuren ist der Treter noch brauchbar.

Nach knapp drei Stunden Fahrzeit erreichen wir mit Sidi Ifni unser nächstes Ziel entlang der Atlantikküste. Die Stadt, die großteils vom Fischfang lebt, gehörte bis 1969 noch zu Spanien. Viele Kolonialbauten im Art-déco Stil mit weißen Fassaden und mehrstöckigen Häusern prägen das Stadtbild. Dort können wir direkt an der ruhigen Strandpromenade, unterhalb eines hohen Felsplateaus, campen und der Brandung lauschen. Bei unserem ersten Spaziergang durch den Ort finden wir eine Bäckerei mit vielfältigem Sortiment und ein kleines Lebensmittelgeschäft, die wir die kommenden Tage öfter besuchen werden. Am Nachmittag wandern Ines und ich den Strand entlang, waten durchs kalte Wasser und suchen die schönsten Muscheln. Schließlich müssen wir aufgrund der ergiebigen Funde sogar aussortieren und nehmen nur wenige Schätze mit zurück ins Camp. Den Abend verbringen wir in guter Gesellschaft mit Birgit und Hari, die wir näher kennenlernen. Wir teilen so manche Geschichte und entdecken viele Gemeinsamkeiten. Die Beiden haben ebenfalls ihre Jobs an den Nagel gehängt und werden im Sommer ein Abenteuer entlang der Panamericana in Angriff nehmen. Uns tut es gut, sich wieder austauschen zu können, gemeinsam Karten auszubreiten und mögliche Routen nachzuziehen. Obendrein sind die Zwei mit einem feinen Sinn für Humor ausgestattet, was die gemeinsamen Stunden noch rascher verfliegen lässt. Am Samstag besuchen wir gemeinsam den lokalen Wochenmarkt, den wir uns etwas größer vorgestellt haben. Auf einer Fläche, die mehrere Fußballfelder umfassen würde, finden wir zumindest jede Menge Obst und Gemüse, das zu großen Haufen getürmt, auf Käufer wartet. Während ich noch mit Hari in irgendwelchen Sportthemen vertieft bin, übernehmen Ines und Birgit (mit Schüsseln ausgestattet) den Einkauf.

Danach wagen Ines und ich einen Sprung in den kalten Atlantik. Am Strand sitzen überwiegend Männer in größeren und kleineren Gruppen. Die wenigen Frauen sind stets umfassend bedeckt und keine von ihnen wagt es, mehr als ihr Gesicht preiszugeben. Ines hat sich in ihrem Bikini schon wohler gefühlt. Tatsächlich erweckt sie Aufmerksamkeit, als wir uns etwas Abseits von unseren Schichten entledigen und flott ins Wasser gehen. Die erste Welle vermag es, Ines die Beine wegzufegen und ich habe alle Mühe sie wieder hochzuziehen. Nach dem kurzen Schreck, ist ihr schnell wieder zu Lachen zumute. Keine zehn Minuten hält es uns im kalten peitschenden Atlantik. Von Schwimmen kann ohnehin keine Rede sein. Trotzdem sind wir froh, uns den kalten Wellen gestellt zu haben und unter einigen hindurchzutauchen um uns anschließend fröstelnd in die Handtücher zu wickeln. Um das Maß an Aufmerksamkeit in Grenzen zu halten, zieht Ines es vor, sich für den kurzen Weg zurück ins Camp wieder vollständig anzuziehen. Weit weit weg erscheint Taghazoute, wo Mädels ihren Hintern der Sonne entgegenstreckten.

In Sidi Ifni treffen wir auch die endgültige Entscheidung, dieses Mal nicht weiter in die Westsahara, nach Dakhla oder Mauretanien zu fahren. Knapp die Hälfte unserer 90 tägigen Aufenthaltsdauer ist erreicht und Marokkos Süden, entlang der Grenze zu Algerien, hat noch viel zu bieten, dass wir uns nicht entgehen lassen möchten.

Ein weiteres Highlight ist der Felsbogen von Legzira, den wir am Morgen unserer Abreise ansteuern. Der Bogen ist nur bei Ebbe passierbar und wir haben Glück, bei unserer Strandwanderung die passenden Gezeiten gerade noch zu erwischen. Einige Schnappschüsse und viele Schritte später, machen wir uns auf den Weg nach Guelmim. An dem Ort, wo einmal die Woche der größte Kamelmarkt Marokkos stattfindet. Von dort ist es nicht mehr weit bis zu unserem nächsten Stopp. Für die etwas mehr als einhundert Kilometer Strecke, benötigen wir mehr als zwei Stunden, was einem guten Durchschnitt auf Marokkos kurvigen Landstraßen entspricht. Die Landschaft im tiefen Süden Marokkos präsentiert sich immer trockener. Der rote Boden und die runden Hügel weichen und beigefarbene Felsen und schroffe Hügel prägen die Umgebung. Erste Warnhinweise entlang der Straße weisen auf wilde Dromedare hin, die in dieser Gegend weit verbreitet sind. Die Nacht verbringen wir in der Nähe von Bouizakarne, von wo wir am nächsten Morgen weiter in Richtung Osten aufbrechen.

Nougat, Datteln & Profiteroles

Unser Ziel ist die Oasenstadt Icht, wo die Ausläufer des Anti-Atlas in die sandige Sahara münden. Dort befindet sich eine einzigartige Kuriosität Marokkos, die wir gerne besuchen wollen. Eine verzweigte unterirdische Kasbah wurde vor Jahrhunderten hier angelegt, die man mit einem Guide besuchen kann. Anders als in Kappadokien, wo die unterirdischen Städte, der Bevölkerung als Versteck vor Feinden gedient haben sollen, erfüllt die unterirdische Kasbah von Icht bis Heute den Zweck, sich vor der sengenden Hitze der Sommermonate zu schützen. Die Strecke entlang der algerischen Grenze ist besonders malerisch, führt dabei durch unzählige Oasen die meist von beiden Seiten von Bergen flankiert werden. Viele Menschen, junge wie ältere, winken uns zu als wir die Dörfer passieren. Dabei sind die Erwachsenen allesamt festlich gekleidet. Ines kombiniert richtig, als sie meint: "Ah ja, Heute muss das Zuckerfest sein!". Der wichtige Feiertag, genannt Eid al-Fitr, läutet das Ende des Ramadans ein, bringt Familien zusammen und wird von Geschenken begleitet. Ich freue mich doppelt, da somit auch der legale Erwerb von Bier und Wein demnächst (zumindest theoretisch) wieder möglich sein wird. Kurz vor Icht erinnert uns die Landschaft zunehmend an unser geliebtes Namibia. Tafelberge erheben sich und die Farbe Orange tritt wieder in den Vordergrund. Einzig die Sichtungen von wilden Tieren, die im südlichen Afrika für Freude und Spannung sorgt, fehlt hier gänzlich. Allah ist am Zuckerfest jedoch auch mit uns gnädig und belohnt uns kurz vor unserer Ankunft tatsächlich noch mit der Sichtung einiger wilder Dromedare, die sich Abseits der Straße genüsslich über Sträucher und Bäume hermachen.

Im ansprechenden Camp Amerdoul ist jede Menge Platz und an der Rezeption wird außerdem Englisch gesprochen. Wir erkundigen uns nach einer Tour zur unterirdischen Kasbah. "Yes, we have a guide, he is very famous and will come tomorrow at 8:30 to start the tour" sagt der Mitarbeiter stolz. Auch frisches Brot bietet er uns für den kommenden Morgen an. Wir bekunden unser Interesse an Beidem. In Erwartung eines weiteren stürmischen Nachmittags, beeilen wir uns mit unserem Sportprogramm und Ines schneidet mir in einer ruhigen Ecke noch rasch die Haare, bevor wir uns nach drinnen begeben. Obwohl die Aussicht auf weniger Wind abermals dürftig ist, entschließen wir uns vor dem Schlafengehen noch dafür, den Wecker zeitig zu stellen um die Tour am Morgen mitzumachen.

An der Rezeption befindet sich kurz vor 8:30 niemand. Als ich den freundlichen Mitarbeiter etwas später finde, sage ich ihm, dass wir gerne die Tour machen möchten. "Oh, the tour, yes, so the guide will come at 10:30!" antwortet er. "So, there is a different guide today, the other one did not come" meint er schulterzuckend. Als ich Ines von dem Reinfall berichte, wägen wir ab ob wir warten sollen, um im Anschluss einen weiteren stürmischen Tag drinnen im Bus zu verbringen, oder doch schon weiterfahren wollen. Die Wetterprognose für die kommenden Tage, so wie die Auskunft des Mitarbeiters, wonach die Stürme zu dieser Jahreszeit heuer besonders stark ausfallen sind das Zünglein an der Waage. Wiederum macht uns der stürmische Wind einen Strich durch die Rechnung. Obendrein wollen wir unsere Planung ungern von der möglichen oder auch nicht möglichen Ankunft des Ersatzguides abhängig machen.

Als wir kurz nach 10:45 zum Bezahlen gehen, warten vier andere Touristen noch auf den neuen Guide. Erst beim Wegfahren erleben wir dessen Ankunft und die Unzufriedenheit der Gäste, aufgrund gänzlich fehlender Fremdsprachenkenntnisse des neuen Guides. Die marokkanische Variante eines Aprilscherzes erleichtert uns jedenfalls den Aufbruch.

Unser Ziel für den heutigen Tag ist der malerische Ort Tafraoute im Anti-Atlas Gebirge. Die auf 1000m Höhe gelegene Oase soll landschaftlich zu den schönsten Regionen Marokkos zählen und die Aussicht auf eine rotgefärbte karge Gebirgswelt voller Granitfelsen und deren spektakulären Formationen lässt unser Wanderherz höher schlagen. Die Weg führt uns erstmals wieder nach Norden, durch eine gewaltige Schlucht, die uns hoch hinauf zu einem Gebirgspass führt. Die Strecke ist durchgehend spektakulär und eine der absolut schönsten unserer Reise. Der ausgetrocknete Flusslauf ist teilweise mehrere hundert Meter breit, großteils von hellem Gestein bedeckt und mäandert sich kontinuierlich neben uns bergauf. Die Berge, in ihren unterschiedlichen Brauntönen, erinnern an gigantischen Schichtnougat, der teilweise akkurate Linien zieht oder auch in leicht geschmolzener Form die Landschaft ziert. Ein Wunderwerk aus der Kategorie Plattentektonik und Erosion. Ich taufe die namenlose Schlucht "Ildefonso Canyon", ein Name der sich sicherlich vermarkten ließe. Die Kehrseite dieser landschaftlichen Romantik bekommen wir ebenso zu sehen. Die wenigen Siedlungen sind stark von den Erbeben 2023 betroffen gewesen, teilweise noch nicht wiederaufgebaut oder deren Ruinen verlassen. Auch die Straße ist regelmäßig völlig weggebrochen, was uns lange holprige Umwege beschert. Meine Angst um Aufhängung oder Stoßdämpfer erscheint mir in diesem Moment etwas beschämend, bei den Schicksalsschlägen, die sich hier ereignet haben müssen. Der letzte Abschnitt der Schlucht dürfte verschont geblieben sein und führt uns auf den 1600m hohen Gebirgspass, der das weite Hochplateau preisgibt, das wir am Weg nach Tafraoute überqueren müssen. Wir finden einen flachen Platz unweit der Straße, wo wir Mittagessen und uns etwas die Füße vertreten. Aus dem Vertreten wird abermals ein Sammeln und Wegtreten unzähliger Glasscherben.

Knapp 20 Kilometer vor Tafraoute wollen wir noch einen kurzen Abstecher nach Ait-Mansour machen. Dabei handelt es sich um ein enges Tal, das ganzjährig von Bächen durchzogen wird, die eine besonders fruchtbare Dattelpalmen-Oase speisen. Durch die geringe Entfernung von der Abzweigung ins Tal, unterschätzen wir die Dauer der Fahrt. Über unzählige Serpentinen in überwiegend miserablen Zustand, verlieren wir stetig an Höhe, bis sich endlich die ersten Palmen zeigen. Viele lassen ihre Zweige so tief hängen, das ein paar sanfte Streifer an unserem Dach nicht zu vermeiden sind. Dabei fallen immer wieder Datteln aufs Dach oder die Windschutzscheibe. Ich beschließe rasch nach einer Parkbucht Ausschau zu halten, von der aus wir die Erkundung zu Fuß fortsetzen. Wenige Kurven später finden wir ein Plätzchen und setzen fortan auf Muskelkraft. Viel davon ist nicht notwendig, windet sich die Oase doch relativ eben den Fluss entlang. Am Ende unseres einstündigen Spaziergangs ziehen wir unser Fazit. Der Ausflug war durchaus nett, aber aus unserer Sicht doch vernachlässigbar. Andere Oasen Marokkos haben wir idyllischer, weniger touristisch und schonender fürs Fahrzeug erlebt.

Der steile Weg zurück ist spätestens am letzten Pass vor Tafraoute vergessen. Das Panorama auf die Stadt und die dahinterliegende Gebirgskette ist mehr als beeindruckend. Erstmals häufen sich Granitfelsen neben der Fahrbahn. Ein Kind könnte treffend meinen, dass hier tonnenschwere gelbe Kugeln und Würfel vom Himmel gefallen sind. Ines findet kulinarische Pendants in Form von Marzipanbällchen oder Profiteroles. In Namibia haben wir bei Keetmanshoop ganz ähnliche Formationen gesehen, die passenderweise "Giants Playground" genannt werden. "Do miass ma stehenbleiben" sage ich freudig zu Ines, die ebenso begeistert ist.

Nach dem erfolgreichen Fotostopp halten wir am Ortseingang von Tafraoute, wo wir noch Brot von einer Bäckerei holen wollen. Als ich aussteige, stolpere ich fast über ein winziges graues Kätzchen, das mich mit leicht verklebten Augen anmaunzt. Ich manövriere das Kätzchen zwischen Bus und Gehsteig in Sicherheit und zeige Ines den Fund. Das kleine Ding schafft es fast auf unsere Einstiegsleiste zu hüpfen, rutscht aber ab und landet etwas unsanft am Asphalt. Wir holen das Katzenfutter und versorgen die Katze am Straßenrand, während Passanten an uns vorbeimarschieren. Es niest obendrein und benötigt sowohl noch Schutz, als auch Milch der Mutter. Ein aufdringlicher Einheimischer quatscht uns nebenbei auf Deutsch an und preist den Souvenirladen seines Bruders an. Wir bekunden kein Interesse und fragen, ob er weiß, wo das Kätzchen hingehört. Seine Antwort ist nichtssagend und wir sind traurig, das (noch zu) kleine Ding nicht mitnehmen zu können, um es zumindest vorübergehend etwas aufpeppen zu können.

Am anderen Ende von Tafraoute finden wir uns am riesigen Stellplatz ein, der wunderbar von Bergen aus Granit umgeben ist. Dort fahren wir bis ans Ende und können uns trotz der herrlichen Umgebung doch nicht so recht freuen. Beide sind wir in Gedanken noch beim kleinen Kätzchen und hoffen dass es seine Mutter wieder gefunden hat. Auch der Gedanke an eine Umkehr unsererseits samt Suche nach dem kleinen Vierbeiner schwirrt in unseren Köpfen. Außerdem werden Neuankömmlinge am Gelände meist rasch von diversen Boten lokaler Händlern und Handwerkern aufgesucht, was zur Folge hat, dass wir kaum ankommen können. Die ersten zwei Mechaniker und den Frisör kann ich rasch abwimmeln, der Reifenhändler ist eine härtere Nuss. Als es dunkel wird und wir uns dem Abendessen zuwenden können, kehren die Bilder des Kätzchens zurück. Auch als "vernunftbegabte Wesen" wiegen unsere Herzen an dem kühlen Abend schwer. Wir beschließen, dass wir am kommenden Morgen nochmals die Stelle aufsuchen werden und nach dem kleinen Vierbeiner sehen wollen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 7
  • #1

    Margit (Donnerstag, 15 Mai 2025 18:47)

    So viel erlebt!

  • #2

    Birgit (Donnerstag, 15 Mai 2025 19:30)

    Toller Bericht, man erlebt es mit euch mit, wunderschöne Fotos, weiterhin a gute Fahrt und viele unvergessliche Momente �

  • #3

    Andi (Donnerstag, 15 Mai 2025 23:18)

    Ich bin gespannt wie es mit dem Kätzchen weiterging!! Habt ihr einen weiteren Reisegefährten?? :-)

  • #4

    Ula (Freitag, 16 Mai 2025 01:14)

    Habt ihr das Kätzchen wieder gefunden? Oder hatte eure Vernunft gesiegt? Tolle Erlebnisse und sehr viele schöne Eindrücke die ihr auf eurer Reise sammelt. Wünsche euch noch eine gute Weiterfahrt mit weiteren schönen Erlebnissen. Alles Liebe Ula

  • #5

    Udo (Freitag, 16 Mai 2025 07:37)

    Macht richtig Lust sich das selbst anzusehen. Danke

  • #6

    Katrin (Dienstag, 20 Mai 2025 09:19)

    Ein Katzenreisebegleiter wäre doch was! �

  • #7

    Xandi (Freitag, 23 Mai 2025 22:47)

    Ohhh wie geht’s dem Kätzchen??? �
    Toller Reisebericht ihr zwei �