Soziale Affen und nachtragende Springmäuse
Welch kühle Brise, welch angenehmer Duft. Wir überqueren mit offenen Fenstern den Breitengrad der Kloschüsseln und freuen uns, die blühenden Wiesen von Midelt vor uns auftauchen zu sehen. Die Apfelhauptstadt Marokkos, eingebettet zwischen dem Hohen Atlas und dem Mittleren Atlas Gebirge, begrüßt seine Besucher an der Ortseinfahrt mit der riesigen Statue eines Apfels, die selbstverständlich inmitten eines Kreisverkehr platziert wurde. Midelt eignet sich für uns bestens um die Vorräte aufzustocken bevor wir einige Tage in die Wäldern des Ifrane Nationalparks eintauchen möchten. Literweise Trinkwasser schleppe ich aus dem gut sortierten Supermarkt, dass wir am Parkplatz gleich einfüllen. Die großen leeren Kanister sind bei den Einheimischen besonders beliebt und erfüllen nach erstmaliger Entleerung unterschiedlichste Zwecke. Auch unsere geleerten Exemplare finden rasch dankbare Abnehmer. Äpfel dürfen auch nicht fehlen, befinden wir uns doch am Nabel der Frucht. Adlerauge Ines entdeckt in einer Gasse eine alte Dame, die Msemmen backt. Eine freundliche jüngere Dame eilt zur Hilfe um zu übersetzen, was zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.
Unsere Mittagspause verbringen wir am Sidi Ali See. Als wir im Bus das Essen zubereiten, bemerken wir zwei andere Touristen die frontal auf unseren Bus zukommen. Unbemerkt beobachten wir das Paar, das auf Spanisch diskutiert, welches Kennzeichen ihnen hier entgegenleuchtet. Gerade als ich aussteigen und helfen möchte, findet die Touristin die Lösung. "Austria, estoy seguro" meint sie richtigerweise. Wir müssen schmunzeln, hat mich doch erst in Merzouga ein Spanier gefragt, ob denn alle Polen in der Schule Spanisch lernen. Als ich verwundert nachgefragt habe, hat er auf unser Kennzeichen gedeutet. Also dem "PL" nach dem "A". Es soll nicht die letzte Herkunftsverwechslung bleiben.
Kurz vor dem Nationalpark durchbrechen wir die trübe Wolkendecke und biegen auf die Holperpiste ab, die in den dichten Zedernwald führt. Wir sind gespannt, wie sich der Platz verändert hat, und ob er noch zugänglich und frei ist. Das Grün hat jedenfalls an Strahlkraft dazugewonnen. "Da muss es sein" deutet mir Ines, die unser idyllisches Plätzchen in der Navigationsapp markiert hat. Wir haben Glück und finden uns abermals mutterseelenallein im dichten Wald wieder. Reicher an Erfahrung, lenke ich den Bus diesmal gleich rückwärts in die enge Nische unter der Zeder, wo wir uns blickgeschützt vom Rest der Welt zurückziehen wollen. Dieser "Rest der Welt" gilt natürlich nicht für die fliegenden Händler, die um die campierenden Touristen wissen, die sich ab und zu ins Dickicht verirren. So tuckert wenig später ein Moped über Stock und Stein direkt in unser Waldstück. Der Mann winkt und bleibt 10 Meter entfernt stehen. Ich erkenne ihn wieder. Es ist Hassan, der freundliche Händler, der uns bereits im Februar aufgestöbert hatte und mittlerweile im Besitz einer meiner kurzen Hosen ist. Bevor er seine Schätze abermals am Waldboden ausbreitet, gehe ich lächelnd auf ihn zu. "Salut Hassan, ça va bien?" frage ich. "C'est moi, Michael l'autrichien, nous avons échangé" zaubert ihm ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht. Zu meiner Überraschung drückt er mich wie einem alten Freund an sich und den zwei Küsschen auf die Wangen kann ich ebenso wenig entkommen. Ich muss lachen und gratuliere ihm zu dem hübschen dunkelroten Windbreaker, den er trägt. "Oui, oui, des touristes" antwortet er zufrieden. Ein bisschen Small Talk ist noch drinnen, bevor er sich wieder auf die Suche nach potentiellen Kunden macht. Danach richten wir uns ein, suchen einen Fleck, wo Sonnenstrahlen ihren Weg nach unten finden und lassen die Umgebung auf uns wirken. Die Ruhe wird nur hin und wieder von Vogelgezwitscher und dem Klopfen eines fleißigen Spechts unterbrochen. Herrlich, so haben wir uns die Rückkehr in den Wald gewünscht. Während Ines etwas Feuerholz sammelt, bekommen wir abermals Gesellschaft. Diesmal rollt ein kleiner Transporter den schmalen Erdweg entlang und bleibt auf unserer Höhe stehen. Aus einigen Metern Entfernung vernehmen wir die Gestalt eines älteren Einheimischen, der uns leise grüßt. Dann öffnet er seine Schiebetüre und legt sich einige Teppiche über den Arm. Noch bevor wir ablehnen können, breitet der Herr zuversichtlich einige Teppiche in der Wiese aus. Er stellt sich als Mustapha vor, spricht tadellos Französisch und ich zeige ihm vorbeugend unseren bereits erstandenen Berberteppich aus Meski. Unbeirrt zeigt er uns weitere Modelle, die seine Frau über Wochen und Monate herstellt. Ein weißer Teppich mit bunten Berbermustern aus der Region sticht Ines tatsächlich ins Auge. "Der gefällt mir richtig gut" deutet sie auf den mittelgroßen Teppich. "Hmmm, wir haum nimmer vü zu tauschen" entgegne ich, bevor ich mich auf die Suche nach Kleidungsstücken mache. Ruhig und zurückhaltend mustert Mustapha unser Sortiment. Als wir auch etwas aus unseren essbaren Vorräten präsentieren, merkt man ihm erstmals Interesse an. Marmelade, Nudeln, Äpfel, Granatapfelsirup, etwas Honig und ein Geldschein dazu besiegeln das Geschäft. Mustaphas Zufriedenheit ist nicht nur ansteckend, sondern besänftigt auch unser Gewissen. Dazu lässt er es sich nicht nehmen, uns beide herzlich zu umarmen und spricht für den kommenden Tag sogar eine Einladung zum Essen aus. Seine Frau wird Couscous zubereiten, den er uns am Nachmittag in den Wald liefern möchte. Obwohl wir außer Ruhe nichts gesucht haben, geschweige denn einen weiteren Teppich benötigt haben, hinterlässt der ungebetene Besuch des Händlers ausschließlich gute Laune.
Die Abendstunden sind abermals von Ruhe erfüllt. In der Dämmerung erkennen wir ein noch ein flinkes Tier, dass in hohen Sätzen über den Waldboden hüpft. Völlig frei von Handyempfang bzw. einer Internetverbindung muss ich mich mit der Bestimmung gedulden.
Auf eine angenehm kühle Nacht folgt ein angenehm kühler Morgen. Nach dem Frühstück ziehen wir die Wanderstiefel an, um den Wald zu Fuß zu erkunden. Der dichte Bewuchs lässt nur wenige Lichtungen erkennen, die wiederum kaum Ausblick bieten. Mit weißen und gelben Schmetterlingen teilen wir dort die wärmenden Sonnenstrahlen und tauchen noch tiefer in den Wald ein. Dabei stoßen wir auf blasse leicht zerbrechliche Steine, die entlang der Bruchstellen bunte Farben und Formen zum Vorschein bringen. Als es in der Ferne zu donnern beginnt, machen wir uns auf den Rückweg. Trotz lautem dumpfen Grollen und zunehmenden Wind, bleibt der Regen vorerst aus. Die Vögel halten bereits inne, was dem Moment zusätzliche Intensität verleiht. Ein kleines Tier vermag es, mich dennoch zu erschrecken. Als mein Harnstrahl sich in die Nähe eines der unzähligen Erdlöcher verirrt, steckt eine große Springmaus ihren Kopf daraus hervor und blickt mich entsetzt an. Aus schlechten Gewissen, platziere ich anschließend mein Friedensangebot, in Form unserer Gemüse- und Obstabfälle vor den vielen Löchern. Aus dem Fenster können wir beobachten, wie Karotte um Karotte und Gurke um Gurke verschwinden. Erst zur Dämmerung entfaltet das Gewitter seine regnerische Seite. Genau in dem Moment hören wir ein weiteres Geräusch. Als Mustapha sich mit einer riesigen Tonschale durch den Wald kämpft, haben wir mit seiner Essenslieferung nicht mehr gerechnet. Wir freuen uns sehr und bitten ihn herein, was er dankend ablehnt. Er muss zurück nach Hause und kündigt an, die große Schale am nächsten Tag wieder zu holen. Als wir den Deckel der riesigen Tagine öffnen, wird das Ausmaß unseres Abendessens sichtbar. Mustaphas Frau hat für mindestens sechs hungrige Mäuler gekocht.
Am nächsten Morgen nutzen wir die Rückkehr der Sonne zu einer weiteren Erkundung. Diesmal wollen wir querfeldein in Richtung des Kletterparks, wo wir uns abermals auf wilde Affen und eine Pizza freuen. Die Affen sind rasch gefunden. Ein ruhiges Beobachten, wird jedoch durch andere, großteils einheimische Touristen, etwas erschwert. Sie haben von den Händlern am Eingang des Nationalparks Bananen und Nüsse gekauft, die sie nun den wilden Tieren vor die Nase halten. Besonders unverantwortlich und dämlich empfinden wir, dass auch kleine Kinder, kaum größer als ihre tierischen Verwandten, die Affen füttern dürfen um fotogeilen Eltern tolle Bilder und Videos für ganz tolle unverzichtbare Social-Media Postings zu liefern. Wir nehmen uns lieber den Affen an, die skeptisch in den Bäumen verweilen und sich ihrer eigenen Sozialkontakte widmen. Als es genug wird, steuern wir das kleine Lokal an, das uns bereits im Februar eine feine Pizza serviert hat. Zu unserer Überraschung finden wir wenige Meter daneben "Lenny", wie Birgit und Hari ihren Toyota Hilux getauft haben. Von unseren Freunden fehlt jedoch jede Spur. Handyempfang gibt es weiterhin nicht, was uns veranlasst, erstmals in der Nähe zu verweilen und unsere Pizza in Sichtweite zu genießen. Es dauert aber nur wenige Minuten, bis wir Birgits strahlend rosafarbenen Rock am Waldweg gegenüber erkennen können. Was für ein Timing. Abermals fällt unser freudiges Wiedersehen zeitiger aus, als gedacht. Es wird ein gemeinsames Pizzaessen, wo wir die beiden erfolgreich einladen, uns anschließend in den Wald zu folgen. Davor erzählen wir ihnen noch von Mustapha, dessen Laden am Weg, direkt am Parkplatz des Nationalpark Eingangs liegt. Birgit und Hari begleiten uns zu ihm, wo wir zum Teetrinken eingeladen werden. Birgit erweist sich einmal mehr als wunderbar begeisterungsfähig und ersteht, ebenso ohne Notwendigkeit, einen hellblauen Teppich. Hari wird im Gegenzug noch ein Hemd los. Mich bezeichnet er daraufhin scherzhaft als "Schlepper", der ihnen den Kauf eingebrockt hat. Ines springt anschließend auf Birgits Schoss, um ihnen den Weg in den Wald zu weisen, während ich mir zurück gerne die Beine vertrete. In einer kleinen hellen Lichtung veranstalten wir dann unsere Kartenspiel-Revanche. Zuerst kann ich Hari den Titel abnehmen, bevor Ines in einer weiteren Revanche zur "Phase 10 Meisterin" gekrönt wird.
Am nächsten Morgen entdecken wir die Spuren einer weiteren Revanche. Als Ines in ihre Flip-Flops steigen möchte, findet sie keinen Halt. Beide Gummiriemen sind durchgekaut, während meinem Paar jede Menge Stoff fehlt. Vom Täter keine Spur. Nun wissen wir, dass die Springmaus das Friedensangebot nur scheinbar angenommen hat und in der Nacht zu ihrer großen Rache ausgeholt hat. Nur mit Mühe kann ich der Stimme Einhalt gebieten, die mir zu einem sofortigen "strahlenden" Gegenschlag rät.
Streifzug durch Meknes
Die historische Stadt Meknes ist neben Fes, Marrakesch und Rabat die vierte Königsstadt Marokkos und ebenso ehemalige Hauptstadt des Landes. Im 17. Jahrhundert wollte der damalige Herrscher Mulai Ismail von Meknes aus, den Europäern die Stirn bieten und eroberte mit seinem riesigen Heer erfolgreich viele kolonialisierte Regionen Marokkos zurück. Daran erinnert bis Heute das prächtige Bab Mansour (Siegestor), das zum Weltkulturerbe zählt. Sein Mausoleum ist für Besucher zugänglich und soll zu den schönsten der arabischen Welt zählen. Entlang der Strecke, die ab Azrou kontinuierlich sanft bergab führt, blüht eine Pflanze, die wir leicht erkennen können. Wilder Mohn zaubert rote Flecken ins satte Grün, die uns bis Meknes begleiten. Durch imposante Stadttore quetschen wir den Bus, bis wir neben der hohen Stadtmauer unseren Stellplatz finden. Obwohl wir den gleichen Parkplatz im Stadtzentrum markiert haben, fehlt von Birgit und Hari jede Spur. Die Rückkehr des Handysignals, führt uns eine halbe Stunde später trotzdem zusammen. Sie parken direkt hinter der hohen Mauer, nur hundert Meter Luftlinie entfernt. Gemeinsam stürzen wir uns in die engen Gassen der Medina, die zu Beginn fest in den Händen der Kleiderhändler ist. Dazwischen werden sämtliche Modelle von Sportschuhen bekannter Hersteller angepriesen. Erstmals verschnaufen können wir im Soukh der Teppichhändler. Unverschämt günstige Preise werden uns angeboten, die wir aus bekannten Gründen trotzdem ausschlagen. In einer ruhigen Gasse finden wir einen besonderen Laden. Hier verkauft ein alter Herr Essenzen der frischen Orangen- und Rosenblüte. Unsere Mädels sind begeistert und packen mehrere Fläschchen ein. Danach verschlägt es uns in einen anderen außergewöhnlichen Laden. Hier wird die, uns bisher unbekannte, Damaszener-Kunst betrieben. Der Handwerker präsentiert stolz seine Werke und erklärt, wie die feinen Silberdrähte in die Schmuckstücke gearbeitet werden. Das Sortiment reicht von großen Skulpturen bis hin zu Ringen und Armreifen. Der alte Künstler verspricht, uns besonders gute Preise anbieten zu können, da wir ohne Touristenführer, die knapp 40% Provision verlangen, gekommen sind. Birgit schlägt zu und verhandelt tapfer. Ein schöner schwarzer Armreif begleitet sie auf unserer weiteren Erkundung. Zum gemeinsamen Teetrinken finden wir ein Lokal samt Dachterrasse, dass uns einen Ausblick auf das große Minarett beschert. Danach geht's zurück an den zentralen El Hemid Platz, gegenüber des prächtigen Bab Mansour. Darunter liegt der Soukh der Lebensmittel- und Gewürzhändler, wo Naschkater Hari voll auf seine Kosten kommt. Auch wir lassen uns einen kleinen Karton mit handgemachten Leckereien füllen, nachdem wir ausgiebig verkosten durften. Um den Magen weiter herauszufordern, verkosten wir danach saure eingelegte Früchte und die obligatorischen Oliven, die wir sowieso kaufen wollten. Ein letzter Rundgang führt uns etwas außerhalb der Medina, wo Birgit und Ines von zwei Händler Gemüse geschenkt bekommen. Eine von vielen freundlichen Gesten, die wir in Meknes erleben dürfen. Am El Hemid Platz, der einer kleineren Variante des Djemma el Fna in Marrakesch gleichkommt, gönnen wir uns noch gemeinsam einen Drink und sehen Gauklern und Kindern beim Spielen zu.
Nach der wärmsten Nacht, die wir auf marokkanischen Boden bisher verbracht haben, spazieren wir früh am Morgen hinauf zum Mausoleum. Wir freuen uns nicht nur über die Zutrittsmöglichkeit, sondern den Verzicht auf Eintrittsgeld, dass die Attraktion durchaus wert wäre. Das Portal der Grabmoschee ist mit prächtigem Steindekor verziert, während die Böden aus Kacheln und bunten Mosaiken bestehen. Kalligrafien soweit das Auge reicht. Über zwei Innenhöfe gelangt man zur Ruhestätte des Sultans, die man durch eine Absperrung gut erkennen kann. "Schau mal" sagt Adlerauge Ines, die beim Hinausgehen noch eine versteckte Sonnenuhr entdeckt. Wir prüfen die Funktion und können feststellen, dass sie bestens ausgerichtet ist.
Ein letzter Spaziergang führt uns nochmal in die Gassen der Medina, bevor wir aufbrechen. Birgit und Hari sind schon frühmorgens zu unserem nächsten Ziel gefahren und haben bereits ein positives Update geschickt.
Auf den Spuren der Römer in Volubilis
Weniger als 30 Kilometer entfernt liegt Volubilis, die größte antike Ausgrabungsstätte Marokkos. Volubilis wurde bereits von den Karthagern im 3. Jahrhundert v. Chr. besiedelt und erlebte unter den Römern ihre Blüte im 2. Jahrhundert n. Chr.. Unter Marc Aurel wurden ein Forum, ein Kapitol, eine Basilika und später ausgeklügelte Thermen sowie ein Triumphbogen errichtet, die bis heute zu erkennen sind. Berühmt ist der Ort auch für seine kunstvollen Bodenmosaike, die großteils erhalten sind. Die Ruinen befinden sich in dominanter Lage an den Flanken des Jbel Zerhoun mit Blick auf das fruchtbare landwirtschaftliche Gebiet, das bereits damals Lebensgrundlage vieler Menschen war.
Am hübschen Campingplatz in der Nähe der Stätte warten Birgit und Hari bereits auf uns. Eine Etage weiter unten beziehen wir eine blühende Nische mit Ausblick und planen die gemeinsame Besichtigung am kommenden Tag. Unser Highlight ist außerdem die warme Dusche, am Campingplatz, ein Erlebnis dass wir seit Merzouga nicht mehr genießen konnten.
Am nächsten Tag fahren wir mit Birgit und Hari tatsächlich gemeinsam, was nur möglich ist, weil es sich Ines mit ihren Traummaßen hinten im Bus bequem machen kann. Beim Eingang lösen wir verhältnismäßig teure Tickets und erhalten immerhin eine kleine Übersichtskarte. Die ist gerade im südlichen Teil, wo nur mehr wenige Mauern übrig sind auch notwendig. Beim Anblick der Stätte durchlebe ich gemischte Gefühle. Ich schätze es eigentlich, wenn historische Orte teils der Natur überlassen werden, muss aber gleichzeitig den Kopf schütteln, über das Ausmaß der wilden Pflanzenwucherung. Speziell die einzigartigen Mosaike verdienen besseren Schutz. In Jordanien wurden die wertvollen Mosaike stets überdacht und erschienen uns sorgfältig konserviert, während in Volubilis nichts dergleichen zu erkennen ist. Die Mosaike, die gut erhalten sind, versetzen einen jedenfalls ins Staunen. Wer, wie ich, in den 1990ern die Grafik der 16- oder 32bit Konsolen von Nintendo oder Sega genossen hat, erlebt hier einen vertrauten Anblick. Dargestellt werden nicht nur Götter und Tiere, sondern auch Szenen des Alltags.
Vom Tempel des Saturn und der Basilika sind erfreulicherweise viele Mauern, Treppen und Säulen intakt. Bedächtig setzen wir unsere Schritte und werden, wie so oft an historischen Stätten, im Geiste auf eine Zeitreise geschickt, die unsere Fantasie anregt. Ein Grund, warum wir solche Orte besonders mögen. Dabei hat jeder seine ganz eigenen Bilder davon im Kopf, welche Szenen sich vor 2000 Jahren hier zugetragen haben. Vorbei am ebenso gut erhaltenen Triumphbogen biegen wir in nördliche Richtung zu den ehemaligen Villen auf, wo die Mehrzahl der Mosaike zu finden ist. Hier schmerzt es besonders, die prächtigen Böden voller Sand und Erde vorzufinden. Aus einigen Mosaiken sprießt sogar Unkraut, was wir besonders schade finden. Nach dem "Haus der Venus" führt uns der Rundgang wieder zurück an den Eingang, wo wir uns noch ein Getränk gönnen und die vergangenen zwei Stunden Revue passieren lassen. Das Besucherzentrum ist derweilen geschlossen, noch im Bau oder bereits wieder verfallen. Da sind wir uns nicht sicher. Trotz der imposanten Überreste von Volubilis, bleibt etwas fader Beigeschmack zurück. Die Eintrittspreise kommen hier scheinbar weder Forschung noch Konservierung zugute.
Am folgenden Tag sitzen wir den Regen großteils im Bus aus und stöbern über mögliche Routen. Wir wollen Fes nochmals einen Besuch abstatten und von dort geradewegs nach Norden zur Mittelmeerküste fahren. Birgit und Hari wollen nach Chefchauoen und von dort aus zum Mittelmeer. Abermals trennen sich unsere Wege als wir am Vormittag den Platz verlassen.
Wiedersehen in Fes
In Fes finden wir am selben Parkplatz am Rand der Altstadt fast die exakt selbe Nische und stellen den Bus ab. Obwohl es sich um einen Wochentag handelt, ist der Andrang spürbar größer als im Februar. Auch mehr Läden sind geöffnet und die rufende Schar von Händlern hat hörbar Zuwachs erhalten. Das Eintauchen in die Medina macht abermals Spaß und das sich treiben lassen ist unumgänglich. Inmitten der Geräuschkulisse erleben wir eine weitere Zeitreise durch die engen Gassen, werden von Karren überholt und von Gauklern und Katzen begrüßt. Am Eingang eines Ladens entdecke ich einen alten Bekannten. Der prächtige Strohesel ist sorgfältig verarbeitet, aber womöglich ein Stück zu groß, um ihn mit auf Reise zu nehmen. Weiter hinten im Laden finden wir auch einige geflochtene Kakteen, die unserem Freund Hari zusagen würden. Eine Idee wird geboren. Als sein "Schlepper" schicke ich ihm draußen ein Foto der Exemplare samt Preisvorstellungen der Händlerin. Sollte ihm ein Kaktus zusagen, dann würde ich mich, in Erwartung eines günstigen Setpreises, in die Verhandlungen stürzen. Auf einer Dachterrasse lassen wir uns von freundlichen modern gekleideten Mädels frische Säfte und Tee servieren, während Haris Antwort rechtzeitig eintrifft. "Falls ihr wirklich soviel Platz habt, gern den Mittleren!" schreibt er. Somit machen auch wir uns ernsthaft Gedanken, ob wir den Esel unterbringen. "An Stoi braucht er jo kan" und "das geht schon irgendwie" stimmen wir zuversichtlich ein. Ich schätze es, dass ich Ines (von dieser möglichen Schnapsidee) kaum überzeugen muss und hoffe, dass sie meine Stimme der Vernunft ist, sollten die Abmessungen des Vierbeiners den Rahmen sprengen.
Bevor es zurück ans Verhandeln geht, spazieren wir noch runter zum Gerberviertel, wo Ines ein hübsches Kleid anprobiert. Weit genug, um noch einen jungen Esel aus Stroh darunter zu verbergen, macht das Stück noch keine gute Figur an Ines Körper. Der alte Verkäufer erhebt sich von seiner Nähmaschine und fragt höflich, ob er helfen darf. Besonders diskret, mit mehreren Fingern Abstand, nimmt er durch seine dicken Brillen gekonnt Maß und bietet an, das Kleid in wenigen Minuten fertig umgeschnitten zu haben. Zum selben Preis natürlich. Ines willigt ein und sieht gerade noch, wie der Mann mit einer Schere grob beide Seiten des Kleides übereinander abschneidet. Das fertige Stück lässt jedoch keine Wünsche offen und sitzt perfekt. Dann geht es zurück zu den Flechtwaren, um einen Esel und Kaktus zu erstehen. Die junge Verkäuferin erweist sich als zäher als erwartet. Mehr als 15 Minuten, ohne jegliches Teegeplänkel, benötigen wir, um einen Gesamtpreis auszuhandeln, der beide Parteien zufrieden stimmt. Ines knipst noch ein Bild und klemmt sich danach den Kaktus unter den Arm, während ich unser neues Haustier sanft an den Hüften packe. Der Esel ist ein Hingucker und die Reaktionen der Einheimischen sind ausschließlich positiv, als wir beladen durch die engen Gassen zurück zum Bus marschieren. Erwachsene schenken uns ein freudiges Lachen oder strecken die Daumen hoch, während Kinder uns (oder dem Esel) zuwinken. Eine Art von Aufmerksamkeit, die durchaus Freude bereitet. Als es draußen ruhig wird und drinnen unsere Augen zufallen, darf unser neuer Begleiter seine erste Nacht in Freiheit als Wachesel auf der Bank im Fahrerhaus verbringen.
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Birgit und Hari (Mittwoch, 11 Juni 2025 18:21)
Hallo ihr zwei lieben
Der Kaktus hat es in der Zwischenzeit bis in die Mitte von Frankreich geschafft. In gut einer Woche bekommt er ein schönes Platzerl im Wohnzimmer.
Bis bald.
Birgit und Hari
Margit (Mittwoch, 11 Juni 2025 18:57)
Hab mich nach einem Stall erkundigt u.gleich gemietet!!!
Katrin (Donnerstag, 12 Juni 2025 16:08)
Großartig der Eselkauf! � �
Was kommt in die seitlichen Tragekörbe? Obst? Pflanzen?