Grüne Inseln, bunte Outfits und eine Kathedrale im Meer

Ein Streifzug durch das kuriose Galicien

Die letzten hübschen Vorgärten im Norden Portugals ziehen an uns vorbei. Abseits der Mautstrecke, liegen noch etliche kleine Dörfer am Weg zur spanischen Grenze vor uns. Hinter dem Grenzfluss Minho wartet Galicien auf uns. Der westlichste Teil Spaniens und der regenreichste noch dazu. Die hügeligen Halbinseln Galiciens, die in den Atlantik ragen und die Bergketten im Inland sorgen dafür. Den Bäumen tut es gut, wonach sich 30% des spanischen Gesamtwaldbestandes in Galicien befinden, das nur knapp 6% der spanischen Landfläche einnimmt. Bekannt ist die Region auch für seine fjordähnlichen Flussmündungen, die hier Rias genannt werden und die höchsten Kliffs Europas geschaffen haben. Über 600 Meter geht es an den höchsten Stellen geradewegs nach unten. Im Norden Galiciens befindet sich außerdem der einzige Strand weltweit, dessen schwarzer Sand nicht vulkanischen Ursprungs ist. Ich liebe solche Zahlen und Kuriositäten! Darum noch ein paar mehr. Der 40 Meter hohe Ezaro Wasserfall, weit im Westen ist außerdem der einzige Wasserfall Europas, der im Meer mündet. Die Galicier, die stolz auf ihre keltischen Wurzeln sind, sprechen nicht nur eine eigene Sprache, genannt "gallego" (bisschen ein Mischmasch aus Spanisch und Portugiesisch), sondern spielen auch mit Begeisterung Dudelsack. Hauptstadt der Region ist Santiago de Compostela, wo sich das Ziel des kulturell und touristisch bedeutenden Jakobsweges befinden.

Unser erstes Ziel ist die südlichste Halbinsel O Morrazo, zwischen Vigo und Pontevedra. Birgit und Hari haben uns vor Wochen von einem hübschen Stellplatz am westlichen Ende berichtet und bereits Bilder geschickt. Wir folgen ihrem Tipp und staunen nicht schlecht, als wir den Anfang der Halbinsel erreichen. Es ist so grün und bewaldet, dass man glauben könnte, durch die Tropen zu fahren. "Do is oba ordentlich schen" wiederhole ich mich zum x-ten Mal. Bei einem kurzen Einkaufsstopp, finde ich im Internet heraus, dass es sich bei den riesigen Bäumen um Eukalyptus handelt, der im 19. Jahrhundert eingeführt wurde und hier bis zu 80 Meter hoch wächst.

Grün und mit Meerblick präsentiert sich auch der Stellplatz. Gut besucht obendrein. Wir weichen gerne auf die leere Wiese am Rand aus, wo wir dafür mehrmals auf die Keile rauf und runter müssen, um halbwegs gerade zu stehen. Was meiner sonst tiefenentspannten Frau einige Nerven kostet. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie vorher gerade herausgefunden hat, dass der Besitzer für einen ersehnten Duschgang extra Geld verlangt.

Der Versuchung, sich im Meer abzukühlen, erliegen wir nach nur wenigen Minuten, packen zusammen und spazieren den kleinen Pfad hinunter. Obwohl der Strand wohl ruhigere Stunden als einen Sonntagnachmittag erlebt, sind wir rasch entzückt und lassen den feinen weißgoldenen Sand zwischen unseren Zehen rieseln. Das Wasser ist kristallklar und ohne Wellengang. Ines ist wiederum die erste, der die vielen halbnackten Frauen auffallen. "Schau mal, da hat ja kaum eine oben was an" nickt sie kurz und packt ihr Oberteil weg. Ihre Freude über die Freiheit, damit keine Blicke auf sich zu ziehen, wo in Marokko schon ein Bikini für Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist ihr deutlich anzumerken. Meine Freude darüber bringe ich mit einem Grinsen und ein paar charmanten Wörtern zum Ausdruck.

Am nächsten Morgen, wird ausgiebig per Hand Wäsche gewaschen und wir sind deutlich früher am Strand, der sich noch schöner, weil auch deutlich ruhiger präsentiert. Am frühen Abend sind wir noch unentschlossen, ob wir einen weiteren Tag hier dranhängen sollen, als uns vom Eingangstor weit oben jemand winkt, der vor dem verschlossenen Eingangstor auf sich aufmerksam machen möchte. Ich mache mich auf den Weg um nachzusehen und bemerke einen weiteren Campnachbarn, der mir wohl in selber Angelegenheit bereits mehrere Schritte voraus ist. Ein älteres britisches Paar möchte hinein und ich bin froh, an den Zettel gedacht zu haben, auf dem der Code für den Schranken steht. Wir plaudern kurz durch den Zaun und ich biete ihnen den Code an. Der andere Helfer sieht es zwar ähnlich, aber erklärt mir auf Spanisch, dass er eben mit dem abwesenden Betreiber telefoniert hat und der ihm wiederum strikt untersagt hat, "nicht autorisierte Personen" auf das Areal zu lassen. Die beiden älteren Herrschaften, sehen so für mich aus, als würden sie am nächsten Morgen einchecken und ihre Rechnung begleichen können. Zumindest sollte man ihnen helfen. Ich bitte den anderen Helfer, nochmal beim Besitzer anzurufen und biete an, gerne selbst die Situation zu schildern. Der freundliche Mann nimmt selbst den Hörer in die Hand und startet einen weiteren Anlauf. Ich kann die Stimme des Betreibers hören und den Großteil verstehen, den er mit erzürnter Stimme von sich gibt. Mir stellt es die Haare auf und ich muss danach den Kopf schütteln. Der Betreiber droht uns, sollten wir helfen, mit Ärger und erklärt, die gesamte Situation ohnehin durch seine Überwachungskameras beobachten zu können. Ich bleibe umso mehr in Versuchung das Risiko einzugehen, den gestrandeten Pensionisten zu helfen, wobei mir die Dame die Entscheidung abnimmt. "We'll get along, we don't want you to run into any problems with this guy". Ich möchte mit dem Typen von Betreiber auch nichts mehr zu tun haben, was eine Verlängerung am nächsten Morgen ausschließt.

Ines ist sofort einverstanden und wir verlassen die O Morrazo Halbinsel, um zur nächsten Halbinsel mit dem klingenden Namen Barbanza zu fahren. Dort haben wir uns einen Campingplatz ausgesucht, wo man mitten in einen Wald stehen kann und ebenfalls nur wenige Gehminuten vom Strand entfernt ist. Am Weg durch die kleinen Orte fällt uns etwas Kurioses auf, das wir vorerst nicht zuordnen können. In fast jedem Garten steht ein kleines gemauertes Haus mindestens einen Meter hoch auf Säulen. Mit Kreuzen verziert und oft geschmückt, wundern wir uns, ob es sich um Mausoleen handelt, was bei den Eigenheiten der Region durchaus denkbar wäre.

Als wir vor dem verriegelten Tor des Campingplatzes stehen, wundern wir uns abermals. Ich rufe die Nummer an, die am Eingang klebt und plaudere, wie sich herausstellt, mit dem Vater der beiden Betreiber. Er gibt mir wiederum die Nummer seines Sohnes, der zugegen sein sollte. Der kommt nach einigen Momenten am Telefon auch schon gelaufen und erklärt uns, dass der Platz eigentlich erst in vier Tagen öffnet und derzeit noch gearbeitet bzw. vorbereitet wird. Zwei Freunde von ihnen sind ebenfalls schon am campen, und wenn uns das nicht stört, dürfen wir auch gerne für die halbe Gebühr bleiben. Uns gefällts und wir finden ein hübsches Plätzchen unter riesigen Kiefern. Als wir am anderen Van vorbeifahren erkennen wir eine junge Dame, die mit schweren Gewichten bepackt ihr Fitnessprogramm abspult. Passend zu den beiden Betreibern, die aussehen, als wären sie als Kinder in einen Eiweißbottich gefallen und amtierende Staatsmeister im Gewichtheben, sind wir wohl am Campingplatz des Körperkults gelandet. Hier wird uns jedenfalls niemand anglotzen, wenn wir unser Liegestütze, Klimmzüge oder Yogaeinheiten neben dem Bus machen.

Der Weg hinunter zum Meer ist der erste, den wir nehmen. Malerisch schön, entlang einer Lichtung gelangt man zu einem Strand, der mit Fahrzeugen nicht erreichbar ist. Dementsprechend gering besucht ist dieser bezaubernde Fleck Erde. Der hellgelbe Sand vermischt sich hier mit einem türkisblauen Meer und bringt unzählige Muscheln zum Vorschein. Nach der ersten Abkühlung suche ich ein paar hübsche Exemplare, die ich Ines feierlich präsentiere. Im Laufe des Nachmittages kommen nur wenige Strandbesucher dazu, die jedoch alle etwas gemeinsam haben. Es handelt sich fast ausschließlich um männliche Pärchen, die keine Sekunde verlieren um sich ihrer Kleidung zu entledigen und gemeinsam in den Wellen zu plantschen. "Na geh, i glaub i hob a Deja-vu!" teile ich Ines mit hochgezogener Augenbraue mit. Vor 9 Jahren haben wir in Sizilien ein kleines Häuschen gemietet, das nur wenige Schritte von einem schwer zugänglichen Strand entfernt war. Dort haben sich zu unserer Überraschung nur alte männliche Nackerpatzln getummelt, die den ganzen Tag auf und ab stolziert sind, sich präsentiert und (nach Muscheln?) gebückt haben und dabei der Welt ihr Hinterteil entgegengestreckt haben. So schlimm ist es hier nicht. Die Partner dürften sich bereits vorher kennengelernt haben und können auf übertriebenes Geziere verzichten.

Der Abend im Wald verläuft so ruhig wie erwartet und von den noch anstehenden Arbeiten der Betreiber ist nichts zu merken.

Ines hält am kommenden Tag Ausschau nach Möwen, als wir erstmals seit der Algarve wieder die Drohne steigen lassen. Eine Vogelattacke bleibt aus und wir freuen uns über die Vogelperspektive am Display. Leider lässt der Sonnenschein mit Fortdauer des Tages nach und starker Wind zieht auf, was unseren Strandbesuch verkürzt. Ein optimales Zeitfenster für Fitness also, am "Campingplatz des Körperkults". Als es am Abend noch deutlich abkühlt, werfen wir einen Blick auf die Wetterprognosen für die kommenden Tage. Entgegen der gestrigen Vorhersage, soll es entlang der Küste die nächste Tage nun regnen und weiter abkühlen. Eine Kombination, auf die wir keine Lust haben.

Der Nebel am nächsten Morgen bringt uns die Gewissheit, aufzubrechen und weiterzufahren. In Galiciens Hauptstadt Santiago de Compostela hoffen wir auf trockenes Wetter und einen freien Parkplatz. Abermals bemerken wir die zahlreichen kleinen Gemäuer, die auf Stelzen aus den Gärten ragen. Nachdem wir vergessen haben nachzufragen, muss das schlaue Internet aushelfen. Demnach handelt es sich, um die für die Region typischen "Horreos", einem Speicherbau, der unserem heimischen Getreidekasten in seiner Funktion ähnlich ist. Aufgrund des vielen Regens in Galicien und der Schädlinge am Boden, werden bis Heute die Feldfrüchte dort gelagert. Die vielen Kreuze und Symbole dienen dazu, böse Geister abzuwenden. Na gut, da hätten wir selber auch draufkommen können.

Pünktlich zu unserer Ankunft in Santiago lichtet sich der zähe Nebel und der Regen gönnt sich, wie erhofft, eine Pause. Der Parkplatz oberhalb des Zentrums von Santiago ist völlig überfüllt. Selbst, wenn sich manche nicht über zwei oder drei Plätze stellen würden, braucht man Glück und Geduld, um einen Parkplatz zu finden. Wir haben Ersteres, als wir ein älteres Paar fragen, ob sie gerade am Aufbrechen sind.

Mit dem Stadtbus geht es für einen Euro hinunter ins Zentrum, wo wir uns zuerst einmal eine Jause gönnen. Durch die Glasscheibe des Kaffeehauses erkennen wir die ersten Pilger. Überall sind sie. Die Menschen mit Rucksäcken, Wanderstecken, grellbunter Trekkingkleidung und den dazu passenden bunten Trekkingsandalen. Wir fragen uns bei einem Spaziergang durch den hübschen Parque de la Alameda, wie viele der Rucksackträger tatsächlich ein Stück des Jakobsweges gegangen sind und wie viele sich hier unter die "Finisher" mischen. Danach prüfen wir, ob wir selber eh nichts grelles oder sportliches tragen. Check. Wir sehen definitiv nicht wie Pilger aus.

Die zwei zentralen Gassen der Altstadt führen geradewegs zur Kathedrale, die wir erst später besuchen wollen. So biegen wir ein paar Mal ab, in der Hoffnung einige hübsche Ecken zu entdecken, wo sich auch Einheimische herumtreiben. Die vielen Souvenirläden lassen wir zwar hinter uns, aber so richtig haut es uns nicht von den Socken. Es gibt die kleinen Plätze, auch Arkaden, ein paar Passagen, aber das authentische Spanien entfaltet sich nur wenig vor unseren Augen. Ich stelle mir vor, wie wohl die Wahrnehmung eines Pilgers ist, der sich diesen Ort wochenlang herbeigesehnt hat. So jemand würde beim Schlendern durch diese Gassen vielleicht vor Freude jauchzen, während unser Gehirn unweigerlich Vergleiche zieht. Ines ist obendrein genervt von allgegenwärtigen Nepp und Kommerz, der Santiago aus unserer Sicht den Charme nimmt. So folgen wir am Nachmittag noch den vergoldeten Wegweisern, die in Form einer Jakobsmuschel in die Pflastersteine der Altstadt eingelassen wurden, um zur Kathedrale zu gelangen.

Dort freuen wir uns über den erträglichen Andrang und den kostenlosen Einlass (!). Nachdem unser Zutritt über einen unspektakulären Ausschnitt der Südfassade geschehen ist, sind wir drinnen umso mehr beeindruckt von dem tatsächlichen Ausmaß der Kathedrale. Über dem Altar erkennen wir einen Baldachin, der mit so viel Gold geschmückt ist, das mancher Staatshaushalt neidisch werden könnte. Für den heiligsten Ort der Kathedrale und dem traditionellen Ende der Pilgerreise nehmen wir dann eine Weile Anstellen in Kauf. Wir sind neugierig. In einer Krypta unter dem Hochaltar, sollen sich in einem Schrein die Gebeine des Apostel Jakob (spanisch Santiago) befinden. Nach rund 20 Minuten ist es soweit und wir dürfen die schmalen Stufen hinabsteigen und einen Moment vor dem silbernen Reliquienschrein verweilen. Danach geht es bergauf, wo man hinter dem Hochaltar (und unter strengen Aufsicht) der Statue des heiligen Jakob die Hand auf die Schulter legen darf. Wir respektieren den spirituellen Moment, der sich den Pilgern und Frommen hier offenbart und machen kurz mit. Gleichzeitig fühle ich mich wie jemand, der zufällig eine VIP-Karte geschenkt bekommen hat, um einen (mir wenig bekannten) Weltstar zu treffen, während sich abertausende Menschen dafür einen Finger abschneiden lassen würden.

An der Westseite befindet sich vor der Front der Kathedrale ein riesiger Platz, wo wir uns noch kurz unter die Leute mischen und hier rasch die Pilger von den anderen Touristen unterscheiden können. Während die einen erschöpft und wortlos im Schatten den Moment genießen oder viele ihren Tränen freien Lauf lassen, hüpfen andere quietschvergnügt über den Platz, posieren für Fotos und teilen ihren Standort per Videocall am Smartphone. "Look, where i'm at! Santiago, that's fucking awesome!" brüllt ein gestyltes Mädchen in ihr Smartphone.

Uns zieht es nach dem Trubel wieder zurück in die Natur, wo wir in der Nähe von Lugo einen Stellplatz im Nirgendwo finden, der uns, bis auf einige Gewitter, eine ruhige Nacht beschert.

Eine Kathedrale geschaffen von Wasser und Wind

Am nächsten Morgen geht es zurück ans Meer, wo die Natur eine besondere Attraktion geschaffen hat. Zum Praia das Catedrais, also Strand der Kathedralen, wo die Kraft des Meeres über tausende Jahre hinweg spektakuläre Felsformationen entstehen hat lassen. Bei Ebbe sind weite Abschnitte der Bucht begehbar und offenbaren die prächtigsten Gebilde. Birgit und Hari haben uns vor zwei Wochen bereits die Aufzeichnung ihres Wandertrackers geschickt, damit wir dort wortwörtlich in ihre Fußstapfen treten können.

Der Norden Galiciens, den wir am Weg zur Küste durchqueren, ist deutlich weniger bewaldet, als der Westen, jedoch ebenso grün. Äcker und Landmaschinen sind hier allgegenwärtig. Mehr als eine Stunde lang fühlen wir uns, als ob wir durch unsere Heimat im Alpenvorland fahren. Und mittendrin schlägt mein Herz plötzlich höher. In einem Kuhdorf, das diese liebevolle Bezeichnung verdient, entdecke ich einen frei zugänglichen Basketballplatz. Zwei Körbe auf Asphalt samt ein paar Resten des Netzes - perfekt! Mein Basketball wartet so sehnsüchtig wie ich, auf seinen ersten Einsatz nach Monaten der Enthaltsamkeit. Ines schnappt sich ein Buch und lässt mir meine Freude. Dafür könnte ich sie noch mehr küssen als sonst. Die halbe Stunde, die ich in der prallen Sonne dribble und werfe, vergeht wie im Flug. Danke Kuhdorf, dessen Name mir entgangen ist und an das ich mich trotzdem erinnern werde.

Den Praia das Catedrais erreichen wir früh genug, um noch einen guten Stellplatz zu erwischen. Nachdem die Ebbe noch auf sich warten lässt, folgen wir den Spuren unserer Freunde und marschieren auf dem mit Brettern beplankten Wanderweg entlang der Klippen. Würden jetzt Schafe neben uns grasen, könnten wir durchaus auch in Irland sein. Von einem Aussichtspunkt am Ende der Bucht, beobachten wir den Rückgang der Wellen und lassen die Drohne steigen, bevor es zurück zu den Treppen geht, die hoffentlich schon ein Stück Strand preisgeben. Unser Timing ist ganz gut, denn erst vor wenigen Minuten dürften die omnipräsenten Lifeguards die Fahnen umgesteckt haben und die ersten Abschnitte frei gegeben haben. Die Besucheranzahl ist noch überschaubar. Wir laufen erstmal abseits des Stroms und Ines entdeckt jede Menge Muscheln, die zu Hunderten fest am Felsen hängen. Dazu Seegras, dass wie Eiszapfen von den Kanten der Felsen baumelt. In der anderen Richtung erscheinen sie dann zunehmend, die steinernen Säulen und Bögen, von Wasser und Wind erbaut, die an das Gewölbe einer gotischen Kathedrale erinnern. Die schmalen Gänge, die von der Ebbe preisgegeben werden, wirken gleichzeitig wie Portale, die einen verschlingen können. Ein Stück Fantasie mag notwendig sein, aber bei richtigem Licht und weniger Andrang, kann man hier schon ein paar Stunden auf Erkundung gehen. Bevor das Meer seinen tiefsten Stand erreicht und noch mehr Menschen den Strand fluten, zieht es uns wieder nach oben.

Unseren Platz zum Übernachten finden wir ein Stück weiter östlich am Cabo Vidio, wo ein Leuchtturm auf einer Landzunge über den Klippen ragt. Direkt daneben richten wir uns ein, unternehmen in der Dämmerung noch rechtzeitig einen kurzen Rundgang bevor dichter Nebel aufzieht. Außer den Scheinwerfern des Turms, ist bald nichts mehr zu erkennen. Kein Meer, keine Klippen und zu unserer Freude auch kaum andere Camper, die sich hierher verirrt haben. Ines kann die mystische Stimmung und die Geräuschkulisse, die der leichte Regen mit sich bringt hier besonders genießen. Genauso stellen wir uns einen Abend an der schottischen oder norwegischen Küste vor.

Heimatgefühle im Süden Asturiens

Das trübe Wetter aus Galicien verfolgt uns auch in Asturien und hat vor, sich noch einige Tage breit zu machen. Erst im Bergland im Süden, wo sich das kantabrische Gebirge auf über 2600m erhebt, sollen die Wolken hängen bleiben. So beschließen wir, dem Gebirge, dass wir erst später erkunden wollten, bereits früher einen Besuch abzustatten. Die Region südlich von Oviedo ist sichtlich von Industrie geprägt und wohl auch bei Sonnenschein kein echter Hingucker. Über eine kurvige, niemals enden wollende, Bundesstraße erreichen wir am Nachmittag das Skigebiet Valgrande Pajares, wo wir die Wolkendecke durchbrechen und die Rückkehr der Sonne für magische Momente sorgt. Nachdem die letzten Kühe den Weg frei gegeben haben, erreichen wir einen riesigen Liftparkplatz, von wo schon einige nahe Gipfel erkennbar sind. Die Freude über die erfolgreiche Suche nach der Sonne währt noch eine knappe Stunde, bevor die Wolken langsam über den Hang hinaufklettern und uns wieder einhüllen. Davor erhalten wir bei unserem Rundgang von einem Mitarbeiter der Liftanlage noch eine Wanderkarte. Er erklärt uns, dass es eigentlich kaum Sommertourismus gibt. Einige Wanderer und ein paar Radfahrer nutzen den Lift, der nur am Wochenende in Betrieb ist. Der erste Gipfel, der fast 1900m hohe Cuito Negru, ist bei flottem Schritt in einer guten Stunde erreichbar.

Der strahlend blaue Himmel am nächsten Morgen ist vielversprechend. Wir wollen rasch hinauf auf den ersten Gipfel und vielleicht noch weiter, sollte das Wetter mitspielen. Ines zaubert uns ein Lunchpaket und die Wanderstecken kommen erstmals seit Marokko wieder zum Einsatz. Der Gipfel ist tatsächlich in einer Stunde erreicht und bietet ein wunderbares Panorama über die umliegenden Berge. Es erinnert uns sehr ans schöne Ennstal, wo schmale Pfade zwischen grünen Wiesen entlang der Bergrücken führen. Die Rolle des Dachstein übernimmt hier ein Koloss im Süden, dessen Massiv ebenso mehrere Gipfel aufweist. Auf den Wiesen grasen Pferde mit ihren Fohlen friedlich dahin, während uns der Wind um die Ohren pfeift. Eine wildromantische Kulisse, die durchaus filmtauglich ist. Eine Stunde marschieren wir eine Route entlang, die uns zu einem weiteren Gipfel weiter westlich führt. Von hier können wir beobachten, wie sich das Wolkenmeer wenige hundert Meter unter uns langsam anwächst und Kuppe für Kuppe verschlingt. Ein guter Zeitpunkt umzukehren, um nicht in den Nebel zu geraten. Das schaffen wir zwar nicht, aber die Lifttrasse hilft trotz schwindender Sicht bei der Orientierung und verhilft uns zu einem sicheren Abstieg.

Die einsame Nacht am leeren, von Nebel bedeckten, Parkplatz hat wiederum etwas gespenstisches. Zwischen den leeren Appartementhäusern, die wirken, als würde man sie trotz geringen Alters dem Verfall preisgeben, pfeift der Wind und sorgt für die passende Geräuschkulisse. Hinter einem einzigen Fenster leuchtet Licht. Hier hat bestimmt nur jemand vergessen, das Licht abzudrehen, als er im Frühling sein Appartement verlassen hat. Gute Nacht also.

 

Am nächsten Tag zieht es uns wieder nach oben, wo der Wind deutlich an Kraft zugelegt hat. Heute ist tatsächlich weit und breit keine Menschenseele unterwegs. Am ersten Gipfel angekommen nehmen wir die Route nach Osten, wo wir so lange marschieren, bis uns der heftige Wind fast abheben lässt. Wir beratschlagen uns eine Weile, bevor wir uns entscheiden umzukehren. Ines vermag es, mit solchen Situationen bemerkenswert pragmatisch umzugehen, während ich leichter dem Ehrgeiz erliege und der vorzeitige Abstieg mich etwas mehr zwickt. Die zeitige Rückkehr am Nachmittag bewirkt, dass wir einen Rundgang zwischen den leerstehenden Hotels und Appartementhäusern machen. Über hohe Wiesen und dichtes Gestrüpp, die sich langsam ihren Platz zurückerobern, gelangt man zu den Eingängen der Häuser. Unvorstellbar, was hier schiefgegangen ist bzw. wie so ein schöner Ort voller Potential dem Verfall preisgegeben wird. Ich finde sogar ein Fußballfeld und daneben einen intakten Basketballkorb. Der wird wenig später natürlich getestet. Der Gummibelag ist bereits von etlichen Pflanzen durchdrungen und in einem bescheidenen Zustand. Netz gibt es keines mehr und zu meiner Enttäuschung, handelt es sich um einen Korb in "Minihöhe", wo man das Werfen eher verlernt. Mit 13 oder 14 Jahren wäre mir das egal gewesen und ich hätte mich stundenlang in den spektakulärsten Dunks meiner NBA-Helden geübt. Die Erinnerung an mein kindliches Ich beflügelt mich jedenfalls soweit, dass ich so tue, als wäre ich 30 Jahre jünger. Die Erfahrung ist überschaubar, die Beweglichkeit und Sprungkraft vergangener Zeiten dahin. Trotzdem macht es Spaß und ein paar gute Dunks gelingen mir. Mein kindliches Ich hätte (wenn es damals die Möglichkeit gehabt hätte) das Ganze natürlich gefilmt, um bei anschließender Videoanalyse an Stil und Technik zu feilen. So weit gehe ich nicht, aber ausgestattet mit einem modernen Smartphone, teste ich zumindest, ob der Selbstauslöser funktioniert. Zurück beim Bus berichte ich Ines von meiner Zeitreise und präsentiere ihr das einzige Foto, das ich ordentlich timen konnte. Die Nacht von San Juan steht an. Erwartungsgemäß verläuft sie ruhig in den Bergen. Weder ein fernes Feuer, noch die Funken eines Feuerwerks erreichen uns. Die herrliche Kulisse hier in Valgrande Pajares entschädigt allemal und vermag es dafür, uns von innen strahlen zu lassen.

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