Ein Märchenschloss und das Pentagon im Norden Spaniens

Das Märchenschloss von Erriberri

"Des gehts si guad aus" lautet das Mantra am Weg durchs Baskenland. Die teure Autobahnmaut in Frankreich haben wir wiederum in Kauf genommen und auf der regennassen Bundesstraße in Richtung Pamplona kommen wir zügig voran. Unser Ziel ist die Stadt Tafalla, rund 40 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt Pamplona, wo in dieser Woche der bekannte Stierlauf stattfindet. Die 40 Kilometer sollen in meiner Wunschvorstellung als Puffer ausreichen, um nicht die nächste Urlaubswelle unter den Zahnärzten zu erleben. In Tafalla gibt es drei Zahnärzte, wobei einer der wohl bestbewertete meiner bisherigen (ausgiebigen) Recherchen sein muss. Und tatsächlich geht es sich "guad aus", dass wir trotz kurzen Einkaufstopp am frühen Nachmittag bei der Praxis des Primus anläuten.

In der gehabten Mischung aus charmant und leidend, trage ich der Assistentin mein Anliegen vor. Sie meint, dass frühestens Ende der Woche eine Möglichkeit besteht, mich einschieben zu können und kann sich einen kurzen Hinweis auf das große Fest in der nahen Provinzhauptstadt wiederum nicht verkneifen. Grrrrr, schlechte Nachrichten an einem Montag. Da trösten auch ihre Komplimente über mein ausgezeichnetes Spanisch wenig. Der Charme, des abenteuerlichen Fremden, zeigt bei der nun lächelnden Assistentin offensichtlich Wirkung, die mich wider Erwarten doch kurz ins Wartezimmer bittet. Ein junger Arzt wirft nur 20 Minuten später einen Blick auf die Bilder in der Hochglanzmappe, die ich in Burgos erhalten habe und verzichtet bei der Inspektion meines Zahnes erfreulicherweise auf grobes Werkzeug. Er ist überaus nett, wirkt kompetent und spricht deutliches Spanisch. Eine Wurzelbehandlung sei nur eine Übergangslösung für die nächsten 2-3 Jahre meint er. Außerdem die teurere Variante, fügt er hinzu. Wenn ich Ruhe möchte, dann ratet er mir dazu, den Zahn ziehen zu lassen. Ich investiere ein wenig in die Beziehungsebene, frage nach seinem Namen und ob nicht er diese Woche noch einen Zahn ziehen möchte. Der Arzt stellt sich als Juanjo vor und meint, die kommenden Tage leider ziemlich ausgebucht zu sein.

Zurück im Wartezimmer, wo ich auf das Rezept für weitere Antibiotika warte, fallen mir die vielen Diplome, Zertifikate und Preise auf, die die Wände zieren. Aus einem Zahnarztmagazin, das aufgeschlagen am Tisch liegt, lacht mir der junge Arzt entgegen mit dem ich gerade geplaudert habe. Mir dämmert, dass er tatsächlich der Chef und Gewinner der vielen Auszeichnungen ist. Alicia, die lächelnde Assistentin, die möglicherweise völlig meinem Charme erlegen ist (ein Helfersyndrom mag ich gerne ausschließen), bietet mir an, mich im Falle eines Terminausfalles in den nächsten Tagen zu kontaktieren und bietet mir dazu ihre private Handynummer an, um mir ggf. auch per WhatsApp zu schreiben. Ines nimmt die Situation gelassen hin.

Nach einem Abstecher in der Apotheke, besuchen wir noch 3 Werkstätten, um ein Scharnier der Hecktüre schweißen zu lassen, die in Frankreich gebrochen ist. Ähnlich wie beim Zahnarzt, gibt es auch dort frühestens Ende der Woche wieder einen Termin.

Die Nacht am unspektakulären örtlichen Stellplatz verläuft bis auf ein paar Spätankömmlinge aus der "Roadsurfer-Bande" ruhig. Wir starten früh in den nächsten Tag, wollen die Woche mit ein paar Highlights füllen, während wir auf eine Nachricht aus der Zahnarztpraxis warten. Unser Freunde Magdalena und Rene haben vor einigen Jahren mit ihrem Wohnmobil eine Tour durch die nahe Halbwüste der Bardenas Reales gemacht. Die Bilder in ihrem Blog sehen großartig aus und wecken unsere Vorfreude. Am Weg dorthin halten wir im Städtchen Olite, das uns richtig überrascht. Ein mittelalterliches Märchenschloss, das aus der Feder von Walt Disney stammen könnte, ragt über den Dächern der Stadt. Schmale verwinkelte Gassen führen uns zu einem langgezogenen offenen Platz, der an zwei Stellen jeweils ein großes Stadttor preisgibt. Hinter dem ersten spielt sich das Leben in den beiden Bars ab, wo wir uns kurz niederlassen und erfahren, dass es sich bei dem Schloss um den Palacio Real de Olite, also den ehemaligen Königspalast, handelt. Den wollen wir uns auf jeden Fall ansehen und starten wenig später mit einem Infoheft in der Hand unseren Besuch.  Nach den offenen Ausgrabungsstätten im ersten Raum, führt uns eine weite Treppe in den ehemaligen Residenzbereich im ersten Stock. Von dort gelang man in einen Außenbereich, in dem der König seine Rundgänge gemacht hat. Mehr noch als die "Königsgalerie", beeindruckt uns die "Königinnengalerie" mit dem hängenden Garten. Ein Kreuzgang, wie er malerischer kaum sein könnte. Anstelle des rankenden Efeus, sollen zu damaligen Zeiten Rosen aus dem fernen Alexandria die 22 Säulen geziert haben. Der Orangenbaum soll dazu noch von vier weiteren flankiert worden sein, die hier vor den heftigen Winden des Cierzo geschützt waren. Dieser kalte starke Wind im Norden Spaniens weht bis heute und lässt uns, trotz strahlendem Sonnenschein, auf unsere Kopfbedeckungen zurückgreifen. Danach erklimmen wir über steile Wendeltreppen die beiden hohen Aussichtstürme, von denen einer den passenden Namen "Turm der vier Winde" trägt. Ines genießt den Blick über die Dächer und ich genieße obendrein, dass sich meine Liebste ebenso für alte Gemäuer begeistern kann, wie ich. Hinter dem "Zisternen Turm" gelangen wir in zwei große Räume, die als Museum dienen. Dort sind vorrangig Skizzen und Bilder aus den letzten beiden Jahrhunderten ausgestellt, die den erstklassigen Zustands des Palasts erklären. Die ursprüngliche Burg aus dem 12. Jh. verlor durch die prächtigen Zubauten im 15. Jh. ihren Festungscharakter und wurde zum Palast. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde sie immer wieder zerstört und fast vollständig niedergebrannt, bis vor 100 Jahren massive Restaurierungsarbeiten begonnen haben, denen der Palast seinen heutigen Zustand zu verdanken hat.

Mittags finden wir wieder einen Platz bei der Bar und bestellen uns die einzige vegetarische Speise, eine Tortilla. Dort bemerke ich, dass sich Alicia per Nachricht gemeldet hat und mir einen (überraschend schnellen) Termin für den nächsten Nachmittag anbieten kann. Gute Nachrichten, die unsere eigentlichen Pläne etwas durcheinander wirbeln. Die spontane Eingabe von Ines, doch gleich am Nachmittag weiter in die Wüste zu fahren, ist nicht nur eine machbare, sondern eine sehr gute Lösung.

Von der Wüste zum Zahnarztfinale

Wir verlassen Olite, das im Baskischen übrigens den klingenden Namen "Erriberri" trägt, und erreichen das Besucherzentrum der Bardenas Reales gegen 15:00. Die Halbwüste, die zu großen Teilen aus Lehm besteht, ist das Ergebnis eines urzeitlichen Meeres, das hier nach und nach versandet ist. Der verbliebene Lehm vermischt sich an diesem Ort mit Sand- und Kalkstein, was zu speziellen Formationen führt. Die knapp 40 Kilometer lange Rundfahrt darf man in seinem eigenen Fahrzeug tätigen und dabei auch aussteigen, um die Gegend zu erkunden. Die ersten Kilometer entlang der Schotterpiste erinnern uns bereits an Afrika. Auch als Schauplatz für Western Filme eignet sich die Kulisse bestens. Dabei waren es wieder einmal die Regisseure von Game of Thrones, sowie die des James Bond Streifens "Die Welt ist nicht genug", die hier gedreht haben. Nach wenigen Minuten stoppen wir zum ersten Mal und marschieren auf einen Aussichtshügel. Grau- bis ockerfarbene Tafelberge ragen aus der Erde, die von roten Sedimentstreifen durchzogen sind, ähnlich wie die Marmeladenschicht einer Torte. Die Sträucher, die im Frühsommer noch ihr grün behalten haben, bedecken weite Teile dazwischen. Nach dem nächsten Stopp übernimmt Ines das Steuer, die mit Rumpelpisten ohnehin bestens zurechtkommt. Knapp drei Stunden dauert unsere Rundfahrt, nach der wir ins nahe gelegene Arguedas aufbrechen und einen hübschen Stellplatz erwischen. Direkt unterhalb der alten Höhlensiedlungen lassen wir den Abend ausklingen und verbringen eine ruhige Nacht. Ines schickt Magdalena ein paar Fotos in die Heimat und bedankt sich für die Inspiration. Die alten Behausungen in den Höhlen werden gerade restauriert und können auch am Vormittag nicht besichtigt werden. So brechen wir zeitig auf, um der Stadt Tudela noch einen Besuch abzustatten, bevor es gegen Mittag zurück zum Zahnarzt nach Tafalla geht. Es folgt ein angenehmer Spaziergang durch die hübsche Stadt am Ebro, die gerade noch klein genug ist, um sie an einem Vormittag zu durchstreifen. Eine Tapas Bar, die im Norden Spaniens, nicht Tapas, sondern das Äquivalent "Pinchos" anbietet, wird unsere Anlaufstelle für den letzten Einsatz meines Mahlzahns. Ines hat erwartungsgemäß Freude, die vielen Häppchen genauer unter die Lupe zu nehmen. Unter den 20 verschiedenen Pinchos, meistens Sandwiches, finden wir immerhin 3 vegetarische Optionen, die wir allesamt bestellen. Das frittierte Gemüse schmeckt überraschend süß, der panierte Käse ziemlich "ziegig" und die Tortilla wie gehabt. Die Erfahrung wird eher kulturell, als kulinarisch in Erinnerung bleiben.

Unser Rückkehr nach Tafalla gelingt pünktlich. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg in die Praxis und erreichen diese, dank schnellen Schrittes, auf die Minute genau. Die Assistentin Alicia strahlt, als sie mich sieht und ich wenig später, als mich der junge Chef der Praxis begrüßt. Aufgrund der Terminknappheit, gehe ich davon aus, dass die Prozedur bald vorüber sein wird, doch Dr. Juanjo Iturralde hat es nicht so eilig. Noch bevor er die Spritze zückt, erkundigt er sich, ob wir denn schon in Pamplona bei den Stierläufen gewesen sind. Als ich verneine, zückt er sein Handy und zeigt mir Videos von heutigen Einlauf in die Arena. Ich erkläre ihm, dass es mit einem Bus nicht so leicht ist, in großen Städten während einer Fiesta, einen sicheren und legalen Parkplatz zu finden. Er wiederum wechselt zum Computerbildschirm und googelt nach möglichen Plätzen, die er mir empfehlen kann. Von einer Zugfahrt nach Pamplona sei eher abzuraten, weil der Bahnhof fast 30 Minuten Fußmarsch von der Arena entfernt ist. Der Bus sei die bessere Option, meint er. Auch als andere Mitarbeiter kurz anklopfen, unterbricht er nur kurz mit seinen Ausführungen und Tipps. So unerwartet informativ und unterhaltsam sich mein Zahnarztbesuch entpuppt, so gerne hätte ich ihn auch schon hinter mir. Gerade als ich das Gespräch wieder auf meinen Zahn richten möchte, hat auch der Doktor eine Eingabe und schnappt sich die Nadel. Wenige Minuten später weiß ich noch mehr über Stierkampf und meine Lippe hängt. Check. Keine 5 Minuten dauert das Ziehen, wobei der Arzt ausschließlich mechanisches Werkzeug verwendet. Die Wunde näht er mir zu, damit ich mir einen Kontrolltermin erspare und weiterreisen kann. Ich bin positiv überrascht und dankbar. Es soll sich um selbstauflösende Nähte handeln, die in 2-3 Wochen verschwunden sein sollen. Wenn nicht, soll meine "Chica" einfach die Knoten auftrennen. Dann hat es der Doktor plötzlich eilig. Nach einem kurzen Ausflug meiner Zunge, kann ich ihn gerade noch rechtzeitig bitten, den Zahn nebenan zurechtzuschleifen, bevor wir uns verabschieden. Ines hat aufgrund der langen Dauer zwischenzeitlich Komplikationen befürchtet und freut sich mit mir, als ich ihr vom zeitlichen Ablauf meiner Sitzung erzähle. Auch Alicia erhält ein großes Dankeschön und mein bestes schiefes Lächeln, als ich die Rechnung begleiche.

Aus der Praxis begleitet mich mein bester Freund, meine liebste Weggefährtin und der Mensch, der mir täglich Freude schenkt: Ines. Möglicherweise kennt sie einige Auszüge meiner Gefühlswelt und ist auch deshalb immun gegen plumpe Eifersüchteleien.

Der Tag lässt sich beim vorübergehen etwas länger Zeit, doch die erste Nacht ohne Problemzahn (und voller Medikamente) lässt mich tief schlummern. Am nächsten Morgen geht es mir so gut, dass wir tatsächlich in Betracht ziehen, öffentlich nach Pamplona zu fahren um ein Stück des dort allgegenwärtigen Wahnsinns zu erleben. Unser Wahl fällt auf den Zug, dessen Preis, ähnlich wie bei Flügen, nicht nach Distanz, sondern nach Datum und Uhrzeit ausfällt. So kostet beispielsweise der selbe Zug am frühen Morgen oder Abends nur 3,60€, während er am Vormittag für die selbe 30 minütige Strecke satte 18,00€ oder mehr kostet! Am Bahnhof arbeitet kein Mitarbeiter, dafür ein kleines Terminal mit großes Display, wo wir die Tickets kaufen wollen. Gerade am auswählen, werden wir plötzlich mit einer echten Person, einem echten Mitarbeiter, per Videocall verbunden. Ich prüfe misstrauisch Mimik, Gestik und Reaktion des Mannes, um festzustellen wer oder was uns hier beratet. Die Tickets verkauf er uns, benötigt jedoch unsere Reisepässe bzw. die jeweiligen Daten darin. Ich glaube mich verhört zu haben und erkläre ihm, dass wir auf Reisen sind, solche Dokumente nicht mit uns spazieren führen und lediglich ein Stück mit dem Zug fahren möchten. Keine Chance. Zu unserer Überraschung, müssen sich Passagiere in spanischen Zügen jederzeit gültig, bevorzugt per Reisepass, ausweisen können. Verwundert und leicht erbost, verlassen wir den Bahnhof um zur Bushaltestelle nebenan zu gehen, wo wir abermals unser Glück versuchen wollen. Tatsächlich steht dort eine Schlange von rot-weiß gekleideten Menschen, die auf etwas wartet. Wir reihen uns ein und können unser Glück kaum glauben, als wenige Minuten später ein großer Bus vorfährt. Die Menschen vor uns gehören zusammen, haben ein Gruppenticket und als Ines und ich bereits im Bus vor der Chauffeurin stehen, bittet die kurz um Einhalt. Sie liest leise auf einem Spickzettel, zählt dann die Passagiere und meint, sie hätte keinen Platz mehr für uns. Die verfügbaren Plätze seien alle für Gäste reserviert, die an den kommenden Stationen einsteigen werden. Als ich sie nach dem nächsten Bus frage zuckt sie mit den Schultern und verweist uns auf die Tafel, wo der Fahrplan hängt. Die entziffern wir noch, als der Bus ohne uns losfährt, um herauszufinden, dass der nächste Bus erst in 2 Stunden Tafalla verlässt. Pamplona hätten wir zwar gerne besucht, aber wir finden uns rasch damit ab, dass es heute anscheinend nicht sein soll. Wir haben jedenfalls gelernt, dass neuerdings Ausweise im Zug nötig sind und man in Spanien in einem öffentlichen Bus Plätze vorab reservieren kann. Unseren Stellplatz verlassen wir anschließend nur, um kurz in der Werkstatt vorbeizufahren, wo wir auf den kommenden Tag vertröstet werden.

Das Pentagon im Norden Spaniens

Am Freitagmorgen lassen wir dann erfolgreich das Scharnier schweißen und verlassen Tafalla in Richtung Osten, wo wir an der Grenze zur Nachbarprovinz Aragonien einen See mit freien Übernachtungsplätzen entdeckt haben. Die ersten beiden Plätze sind uns von der Straße aus zu einsichtig. Der dritte Ort liegt genau richtig. Eine versteckte Bucht abseits der Straße mit direktem Zugang zum Ufer wird unser Zuhause für die kommenden Nächte. Als wir uns einrichten, mag mein Körper nicht mehr so recht. Magenkrämpfe, wie ich sie noch nicht erlebt habe, zwingen mich eine Stunde später in Embryostellung ins Bett. Die heißen Außentemperaturen helfen wenig. Mein Verdacht fällt auf die Medikamente, die ich die letzten Wochen, wie verschrieben, eingenommen habe. Tatsächlich geht es mir so bescheiden, wie selten zuvor. Die Zahnarztassistentin Alicia denkt zeitgleich an mich. Jedenfalls schickt sie mir am Nachmittag, so wie am Tag zuvor, eine Nachricht, in der sie sich nach meinem Befinden erkundigt. Ihre unsichtbaren Pfeile, vergiftet mit Eifersucht, prallen natürlich an Ines ab und treffen mich direkt im Magen. Ines macht sich unterdessen Sorgen, googelt nach dem nächstgelegenen Krankenhaus und zieht in Betracht mich dorthin zu bringen. Ich verweigere und rette mich am Abend irgendwie in den Schlaf.

Am Morgen geht es mir zumindest soweit besser, dass ich Kraft schöpfe, mich durch alle Packungsbeilagen zu arbeiten und anschließend zu beschließen, sämtliche verschriebene Medikamente bei nächster Gelegenheit in hohem Bogen zu entsorgen. Ein bisschen Badespaß ist heute drinnen und Ines freut sich über die wenigen Lebensgeister und die Rückkehr meiner Gesichtsfarbe. Erst am nächsten Tag fühle ich mich wieder soweit bei Kräften, dass ich den schönen Ort genießen kann. Den Mix aus Gewitterwolken, Donner, sinnflutartigem Regen und strahlenden Sonnenschein nehmen wir gerne hin, verweilen einen vierten Tag am See und planen die kommenden Etappen.

Wir brechen nach Jaca auf, das am Fuß der Pyrenäen liegt und wo sich der Weg in Richtung Norden gabelt. Kurz nachdem wir die Schnellstraße erreichen, bemerkt Ines, dass wir etwas verloren haben. Im Rückspiegel erkenne ich etwas kleines dunkles, das von der Beifahrerseite wegfliegt. Da Anhalten nicht möglich ist, nehmen wir die nächste Abfahrt und inspizieren. Ines findet den Fehler als Erste, als sie auf die fehlende Blende am Rückspiegel deutet. Wir drehen um und machen uns von der Gegenfahrbahn aus auf die Suche nach der möglichen Stelle unseres Verlusts. Tatsächlich halten wir 10 Minuten später das verlorene Teil in der Hand. Einer der drei Clips ist abgebrochen und ich überlege auf der verbleibenden Strecke, welche Reparaturmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

In der hübschen Stadt Jaca, verbringen wir unsere letzten Stunden auf spanischen Boden. Durch einen Park gelangen wir zur Altstadt, die an Wintersportorte unserer Heimat erinnert. Die Sportartikel- und Souvenirgeschäfte dominieren die Auslagen. Der Art der angebotenen Mitbringsel könnte auch aus Österreich stammen: Hauben und dicke Socken mit Motiven von Gämsen, Murmeltieren und Skifahrern. Von dem Cafe, wo wir uns niedergelassen haben, beobachten wir ein letztes Mal das rege spanische Treiben in den Gassen, lauschen zum letzten Mal den vertrauten Klängen ihrer Sprache. Bemerkenswert ist unsere Getränkewahl. Während ich an einen Kaffee mit Milchschaum nippe, trinkt Ines ein kühles Bier.

Beim Spaziergang entdecken wir noch die Zitadelle von Jaca, eine massive Wehranlage in Form eines Pentagons. In den tiefen Gräben lebt hier Damwild, das man beobachten kann. Über dem Eingangsportal ist das Wappen der Habsburger zu erkennen. Ein Relikt aus dem spanischen Erbfolgekrieg vor über 300 Jahren. Hinter der Zugbrücke und dem Souvenirladen drehen wir wieder um, weil wir auf den Besuch des Militärmuseums im Inneren der Anlage verzichten können. Zurück marschieren wir an der fast vollständig bedeckten Baustelle der Kathedrale vorbei und verlassen Jaca in Richtung Norden.

Ein letzter Halt vor der französischen Grenze findet dann spontan in Canfranc statt, wo sich ein beeindruckendes Beispiel für Industriearchitektur vor einer großartigen Bergkulisse befindet. Der Bahnhof, der gerade sein hundertjähriges Jubiläum feiert, sollte damals als wichtiger Knotenpunkt auf der Bahnstrecke zwischen Frankreich und Spanien in den Pyrenäen dienen. Spektakulär ist die Länge des Bahnhofgebäudes von 241 Metern. Heute befindet sich im Inneren ein luxuriöses Hotel, durch dessen Empfangshalle wir spazieren dürfen. Ein Page in feinster grüner Uniform und goldener Borte wartet dort auf Neuankömmlinge. Wir sind nur auf der Durchreise und verlassen wenig später wieder den interessanten Ort. Auf uns wartet am Weg nach Frankreich noch ein dunklerer Abschnitt. Der Somport-Tunnel unterquert die Pyrenäen auf einer Länge von über 8,6 Kilometern, wovon sich die letzten 2,9 Kilometer bereits in Frankreich befinden. Bevor wir in der Dunkelheit verschwinden, überlegen wir, ob und wann wir zuletzt so einen langen Tunnel passiert haben. Als wir Spanien für diesen Sommer endgültig verlassen, erinnern wir uns umso mehr an die außergewöhnliche Vielfalt der unterschiedlichen Provinzen, an Küsten, Berge, Seen und herrliche Städte voller Leben und Kultur. Einen Zahn lassen wir zurück und nehmen unzählige Erfahrungen und wertvolle Erinnerungen mit. Danke Spanien, du wirst uns fehlen!

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Kommentare: 2
  • #1

    Xandi (Mittwoch, 13 August 2025 11:00)

    Wiedermal schön von euch zu lesen. Schade das ihr das eine Ziel wegen keinem Reisepass nicht erreichen konntet aber man lernt ja nie aus. Dickes Bussi und schöne weitere Reise ☀️

  • #2

    Xandi Teil 2 (Mittwoch, 13 August 2025 11:01)

    Aja und tolle Fotos! Schön euch so strahlen zu sehen ��