Von Shakespeare und Robin Hood
Nach unserem erfolgreichen ersten "Pub-Stop" führt uns der Weg weiter in den Norden nach Nottingham. Um unseren Gastgebern, die Zuhause am Arbeiten sind, noch Zeit einzuräumen, entscheiden wir uns für einen Zwischenstopp in Stratford-upon-Avon. Unser kompakter Reiseführer preist die Heimatstadt von William Shakespeare außerdem als "sehr sehenswert" an, womit wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Alles in Stratford ist mit dem Wirken des berühmten Schriftstellers verbunden: das Geburtshaus, das Museum, das Theater und die letzte Ruhestätte zählen unter anderem zu den größten Attraktionen.
Nachdem wir einen Parkplatz am Stadtrand finden, wollen wir uns ein wenig davon ansehen. Am Ufer des Avon Flusses finden wir einen hübschen Park, wo die berühmtesten Charaktere Shakespeares als bronzene Statuen zum Leben erweckt wurden. Daneben liegen am Ufer des Avon etliche bunte Hausboote, die teilweise zu mieten sind. Manche Besitzer haben ihre Klappstühle aufgebaut und quatschen heiter vorbeispazierende Touristen an, um ihre "floating beauty" anzupreisen. Ines Highlight ist eine umfassende Getränketafel im Inneren eines Kaffeehauses. Ihre Wahl fällt auf eine "Spiced Hot Chocolate", die Spezialität des Hauses, von der sie noch länger schwärmen wird. Danach geht es zwischen schwarz-weißen Fachwerkshäusern hinauf in die Fußgängerzone. Ein Straßenmusiker beschallt eine ganze Ecke mit Coversongs, während er seine Performance live via Smartphone in die Welt streamt. Als er um eine Pause bittet, weil es so ein "bloody hot day" ist, müssen wir lachen. Schon frühmorgens am Campingplatz hat Ines den exakt selben Wortlaut von einer Dame vernommen und mir anschließend kopfschüttelnd darüber berichtet. Wir freuen uns ja auch über die Sonne und die 20 Grad, aber von "bloody hot" sind wir meilenweit entfernt. Mal sehen, wie die kommenden Wochen unser Temperaturempfinden beeinträchtigen werden. Vor dem Shakespeare Museum versammeln sich, wie bereits auch schon in Oxford, viele Reisegruppen aus Fernost. Wir sind mit der Außenansicht des Geburtshauses zufrieden, besuchen noch einige kleine Läden und brechen danach wieder auf.
Ines navigiert uns in die hübsche Wohngegend im Süden Nottinghams, wo sich unsere Freunde Petra und Alex niedergelassen haben. Unser Bus passt exakt in ihre Einfahrt und wir werden bereits draußen begrüßt. Unser Timing passt. Während Ines und Petra ihr Wiedersehen zelebrieren, begleite ich Alex zu Fuß zum Kindergarten, um ihre gemeinsame Tochter abzuholen. Dabei mache ich mich auch gleich mit Fonzi, dem reizenden Hund des Hauses vertraut und bekomme von Alex eine kleine Führung durch den angrenzenden Park. Nach einer richtig warmen Dusche, verbringen wir den Abend gemeinsam mit Essen, Trinken und Plaudern.
Nachdem wir am Vormittag dankbarerweise eine große Ladung Wäsche waschen dürfen, brechen Ines und ich auf, die Gegend zu erkunden. Uns gefallen die sauberen Siedlungen mit ihren Backsteinfassaden, den weißen Fensterläden und den hübsch angelegten Vorgärten. Beim Blick auf unsere Garderobe, fällt es uns trotzdem schwer, sich ein Leben hier vorzustellen. Zu sehr sind unsere Lebensgeister mit Sonnenschein und warmen Temperaturen verknüpft. Im Wollaton Park angekommen, spazieren wir zwischen ansässigen Rotwild hindurch, das sich gerne fotografieren lässt. Die Hirsche sind so sehr an Menschen gewöhnt, dass man ihnen auf wenige Meter näher kommen darf. Das große Haus am Hügel des Park, das Wollaton Manor, diente in einem der letzten Batman-Filme als Drehort für das Haus des Superhelden bzw. seinem Alter Ego Bruce Wayne.
Für den kommenden Tag hat Alex angekündigt, den Pizzaofen einzuheizen. Unsere Vorfreude wird von einem strahlend blauen Himmel zusätzlich genährt. Tatsächlich hat die Sonne vor, ein wenig länger zu bleiben und erstmals seit zwei Wochen können wir wieder mit kurzen Hosen und T-Shirts im Freien sitzen. Unsere Gastgeber haben zum Essen noch eine weitere Freundin eingeladen, die die Runde bereichert. Chefbäcker Alex leistet einen hervorragenden Job und liefert im Minutentakt verschiedene Variationen meiner Leibspeise. What a beautiful day!
Als wir am nächsten Tag mit dem öffentlichen Bus ins Stadtzentrum fahren, kehren nicht nur die Wolken, sondern auch der Regen zurück. Wir sind zumindest vorbereitet und bleiben trocken. Petra und Alex haben das Stadtzentrum als "nicht so besonders" beschrieben und uns 2-3 Orte genannt, die jedoch sehenswert sind. Auch unser erster Eindruck der Innenstadt ist überschaubar. Während wir dem Regen in einer weiteren Filiale der Buchhandlung Waterstone entkommen, fragen wir uns, ob sich der Eisverkäufer in seinem Foodtruck nebenan tatsächlich Geschäft erhofft. Die Filiale ist abermals riesig und ein Highlight. Das Sortiment und die verschiedenen Themenbereich übertreffen die, des heimischen Pendants um ein zig-faches. Als wir eine halbe Stunde später den Laden verlassen, hat der Regen abgenommen und der Eisverkäufer prompt wieder Kundschaften gefunden. Unser Spaziergang führt uns quer durch die Innenstadt und endet vorerst bei einem besonderen Lokal. Das "Pitcher & Piano" ist Pub, Bar und Club gleichzeitig, wobei die Besonderheit die Location an sich ist. Das Lokal befindet sich ein einer ehemaligen Kirche, die sehr gelungen umfunktioniert wurde. Dort gönnen wir uns zwei Getränke und genießen das besondere Ambiente. Uns gefällt es ausgesprochen gut und wir können einen Besuch nur weiterempfehlen. Ines hat wenig später einen seltenen Anfall spontaner Neugier und stürmt (!) in eine andere Kirche. Vor einem Gotteshaus hängen Transparente und Plakate, einer uns bisher unbekannten Glaubensgemeinschaft. Die Schriftzüge versprechen Erlösung und werben mit kostenloser Bekehrung. Ein wenig suspekt also. Von drinnen tönt jedoch heitere Gospelmusik nach draußen und Ines marschiert ungebremst in die Veranstaltung. Ich mache gerade noch ein Foto, als ich ihren Ansturm bemerke und folge ihr rasch nach. Entgegen meiner Sorgen, ist sie einer Bekehrung entgangen und drinnen vor einer verschlossen Türe hängengeblieben. "Die haben ja auch Kaffee und Kuchen zur Bekehrung versprochen" meint sie lächelnd, als sie meinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkt. Danach spazieren wir ein Stück weit den "Robin Hood Trail" entlang. Dem Sagenheld, der hier und vor allem im nahen Sherwood Forest zuhause gewesen sein soll, sind in Nottingham mehrere Denkmäler gewidmet. Ob der Urtyp des "edlen Räubers" tatsächlich gelebt hat ist umstritten. Hier in Nottingham lebt die Legende von Robin Hood jedoch unentwegt. Uns ist es ohnehin egal, ob es sich um einen historischen Charakter handelt oder nicht. Aufgewachsen mit den Büchern und Filmen, hat der Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit sowieso unsere Sympathien. Die lebensgroße Statue wird umzingelt von Touristen aus Asien, die wir gleich als Fotografen einstellen um uns mit dem Bogenschützen abzulichten.
Am Heimweg im öffentlichen Bus machen wir eine Entdeckung, die Robin Hood weniger gefallen hätte. Am großen Bildschirm, der ursprünglich wohl gedacht war, die nächsten Stationen oder die Uhrzeit anzuzeigen, erkennen wir uns selber wieder. Live und in Farbe. In England, dem Königreich von CCTV, also der Überwachungskameras, werden alle Passagiere in jeder Sitzreihe gefilmt. Alle paar Sekunden hüpft das Bild eine Sitzreihe nach vorne, was auf mehrere kleine Kameras schließen lässt. Wir finden das, selbst im Zeitalter von Smartphones und Tracking, ziemlich befremdlich.
Zurück im trockenen Heim, essen wir mit Petra und ihrer Tochter ein letztes Mal zu Abend und stimmen uns auf die Weiterreise ein. In Nottingham sind uns, mehr als in Oxford, viele Menschen aufgefallen, die ihre Geschmäcker, Ansichten oder Lebensweisen nach Außen hin zum Ausdruck bringen. Übervoll gepiercte Punks mit Irokesen in ihren 60ern, Pensionistinnen mit grellbunten Haaren und allerhand schriller Typen, samt auffälligen Accessoires sind uns begegnet. Herrlich! Ich erinnere mich gerne zurück an meine Jugend, wo so viele unterschiedliche Stilrichtungen und Subkulturen sichtbar waren. Anders als in Österreich, wo die Uniformität sichtbar zugenommen hat und Teenager mit hohen weißen Socken oder Vogelnest-Frisuren den exakt gleichen Einflüssen folgen, sehen die jungen Leute in England nach wie vor oft unterschiedlich aus. Die Ausnahme bilden hier leider manche jungen Mädels, von denen sich auffallend viele prall gespritzte Lippen und schmale Stupsnäschen zulegen, während ihnen fingerlange Wimpern aus dem Gesicht stehen. Im Zeitalter von Social Media bereits Erwachsen zu sein, hat definitiv seine Vorteile.
Alex ist bereits nach seinem gelungen Auftritt als Pizzabäcker vereist und die Tochter verweilt im Kindergarten, weshalb wir uns am nächsten Morgen nur von Petra und Fonzi verabschieden. Alle vier werden im Herbst nach Österreich kommen, wo wir uns darauf freuen, uns mit einer Einladung zu revanchieren.
Jede Menge "English Heritage"
Uns zieht es weiter in den Nordosten Englands, wo wir eine Stadt besuchen wollen, die uns erst bei der letzten Recherche ins Auge gestochen ist. Lincoln soll eine lebendige Altstadt auszeichnen, über der eine der größten Kathedralen Englands thront.
Während uns Ines zu einem Parkplatz am Stadtrand navigiert, erwischt uns ein apokalyptischer Regenguss. Innerhalb weniger Sekunden wirbelt ein Sturm Blätter und ganze Äste von den Bäumen. Die Scheibenwischer sorgen auf höchster Stufe für gerade noch ausreichend Sicht. Eine Viertelstunde später ist der Spuk vorbei und der blaue Himmel öffnet sich, als wäre er nie weg gewesen. Uns ist es besonders recht. Bei unserem Spaziergang durch Lincoln orientieren wir uns an der imposanten Kathedrale, die hoch über den Dächern von Lincoln ragt. Die Pflastersteine der Altstadt sind ebenfalls ein guter Wegweiser und führen uns direkt hinauf ins historische Zentrum. Die sogenannte "Steep Hill" Gasse (der Name ist übrigens Programm) wurde 2012 zur schönsten Gasse Englands gewählt, worauf ein Schild hinweist. Tatsächlich wurde hier viel Schönes aus der Vergangenheit bewahrt. Links und rechts der Pflastersteine stehen Fachwerkshäuser in bunten Farben. Zwischen den Schildern, Reklamen, Laternen und Uhren aus dem letzten Jahrhundert zieren blumengeschmückte Balkone und Wimpel die Gasse. Verkauft werden hier jede Menge Spirituosen, Naschwerk und allen voran Fudge, das Karamellkonfekt das die Engländer so lieben. Dazwischen werben kleine Kunstgalerien mit freiem Eintritt und auch die wenigen Souvenirläden bieten fast ausschließlich gehobene Mitbringsel an.
Als der Steep Hill sich kurz zu beiden Seiten öffnet, haben wir die Kathedrale auch schon erreicht. Durch ein altes Stadttor gelangen wir zum großen Platz, wo sich die beindruckende Kirche erhebt. Der aktuell 83 Meter hohe Bau aus dem 11. Jahrhundert war, nach seiner Restaurierung im 14. Jahrhundert, fast doppelt so hoch und für rund 200 Jahre lang, das höchste Gebäude der Welt! Diesen Titel hat sie der Cheops Pyramide in Ägypten abgelaufen, die bekannterweise mindestens 3800 Jahre lang den ersten Rang eingenommen hat. Die Kathedrale gilt als Musterbeispiel englischer Gotik und gilt mit seinen Details als eine der schönsten Gotteshäuser Europas. Vor wenigen Tagen haben wir nichts davon gewusst und nun stehen wir bereits drinnen. Kunsthistoriker hätten ihre Freude an den Säulen, Kapitellen und Fenstern. Nach einem Rundgang zieht es uns weiter zum Lincoln Castle, wo eines von vier verbliebenen Exemplaren der Magna Carta aufbewahrt wird. Das Dokument aus dem frühen 13. Jahrhundert gilt als Grundpfeiler der englischen Verfassung und hielt unter anderem erstmals fest, dass auch der König nicht über dem Gesetz steht.
Im Lincoln Castle gönnen wir uns eine kurze Pause neben zwei Drachen. Keine menschlichen Exemplare, sondern große Kunstobjekte ragen entlang der Festungsmauer aus dem Boden, verbreiten sogar Geräusche und alle paar Minuten strömt Dampf aus ihren Nasenlöchern. Wir sind unterhalten und machen uns wenig später wieder auf dem Weg zurück zu unserem Bus. Ines stoppt noch in einem Kräuter- und Bonbonladen, wo sie durchaus kompetent beratet wird. Der hartnäckige Husten, der unsere Gastgeberin Petra die letzten Tage gequält hat, meldet sich leider auch bei Ines an. Sie wird jedenfalls fündig und kauft Thymianzuckerl, die Linderung bringen sollen. Campingplätze gibt es in Lincoln keine und der ruhige Wanderparkplatz am Ortsanfang wird entgegen unserer Erwartung doch nicht unser Schlafplatz. Am Eingang hängt ein kleines Schild, dass darauf hinweist, dass Wohnmobile nicht über Nacht stehen bleiben dürfen. Wir wägen ab und entscheiden uns, trotz fortgeschrittener Stunde noch ein Stück weiter zu fahren. Die Alternative ist ein Pub-Stop im ländlichen Umland westlich von Lincoln. Am Weg hören wir zufällig Radio, wo vor dem starken Sturmtief gewarnt wird, dass die kommenden Tage über Schottland fegt und auch den Norden Englands bereits erreicht hat. Unser Entschluss, nicht weiter hinauf nach Schottland zu fahren, sondern nach Westen in Richtung Wales abzubiegen wird durch die Nachricht weiter bekräftigt. Bereits in den vergangen Tagen haben wir gespürt, dass wir dringend noch ein Stück von dem erleben wollen, was wir unter "Sommer" verstehen.
Wir finden das kleine Pub und treffen bereits bei der Zufahrt einen Mitarbeiter, der draußen gerade Kisten sortiert. Obwohl das Pub heute Ruhetag hat, dürfen wir gerne auf der großen Grünfläche dahinter parken und uns ausbreiten. Wow, wir sind dankbar für so viel Gastfreundschaft.
Am nächsten Morgen ist Ines sichtlich angeschlagen und gibt sich gleichzeitig Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Unsere Pläne für den Tag möchte sie jedenfalls durchziehen um zwei historische Orte zu besuchen. Seit wenigen Tagen sind wir nämlich stolze Mitglieder von "English Heritage". Nachdem wir die Jahresmitgliedschaft der Organisation gekauft haben, die sich dem Erhalt wichtiger Kulturstätten widmet, dürfen wir nun sämtliche Burgen, Schlösser, Abteien, Ruinen und vor allem Steinkreise (inkl. Stonehenge) ohne zusätzliche Kosten besuchen. Über 400 solcher historisch wertvollen Orte gibt es in England. Die beiden ersten stehen heute am Programm. Den wertvollen Tipp haben wir abermals von Magdalena erhalten, die uns die Mitgliedschaft wärmstens ans Herz gelegt hat.
Wir bleiben im ländlichen Süden von Yorkshire und besuchen am Vormittag die Ruinen von Roche Abbey. Die enge Zufahrt über eine löchrige Piste und unter tief hängenden Ästen veranlasst mich reflexartig zu ein paar tiefsinnigen Aussprüchen: "Auuu", "Uuuhhh", "Na geh" oder "Geh leck" kommentiere ich äußerst treffend die Misere. Die Ruinen liegen dafür umso malerischer in einem grünen Tal, das von einem Bach durchzogen wird. Von den Ruinen der Abtei aus dem 12. Jahrhundert ist noch genug übrig, um mit wenig Fantasie sich ein Bild auszumalen, wie es ausgesehen haben muss. Man darf sich hier frei bewegen, alles angreifen und genau inspizieren. Genau das tun wir auch, bis sich unverhofft der nächste Regenguss über uns erleichtert. Wir nehmen das Wetter zur Kenntnis und fahren weiter nach Derbyshire, wo mit der Hardwick Hall unser zweiter Stopp geplant ist.
Dort ist wesentlich mehr los, was sich uns erst erschließt, als wir den Prachtbau aus dem 16. Jahrhundert betreten. Es handelt sich um den Sitz der "Bess of Hardwick", der Gräfin von Shrewsbury, die im 16. Jahrhundert neben der Königin Elizabeth I. die reichste Frau des Landes war. Was sie mit dem Reichtum angestellt hat, dürfen wir nun genauer unter die Lupe nehmen. "Nau servas, die san oba riesig" deute ich auf die riesigen Wandteppiche, die in der Galerie hinter dem großen Rittersaal hängen. Die Motive handeln nicht vom englischen Adel oder dessen Landleben, sondern bilden Szenen aus der griechischen und römischen Mythologie ab. Die Kunstwerke haben aufgrund ihrer hohen Qualität (und geschickten Restauratoren) bis heute nicht an Strahlkraft verloren. Die größten Exemplare des Hauses, die Gideon Wandteppiche, sind über 6 Meter hoch und insgesamt 70 Meter (!) lang. Sie hängen, nach 24-jähriger Restaurierung, lichtgeschützt im obersten Stockwerk. Wir finden die Dinger auch im halbdunklen ziemlich beeindruckend. So auch den Empfangsaal, die prächtigen Möbelstücke, die so viele Jahre auf dem Buckel haben. Der Humor der Engländer ist übrigens auch hier allgegenwärtig. Während in Österreich oder Deutschland nüchterne Verbotsschilder wie "Nicht berühren" oder "Zutritt verboten" sichtbar wären, platzieren die Engländer kleine Schilder wie "I am old and fragile, please sit elsewhere" auf einem unleistbar wertvollen Sitzmöbel der Ausstellung. Was hier auch besonders ist, sind die meist pensionierten Volunteers (also freiwillige Guides), die in fast jedem Saal dezent auf wissbegierige Besucher warten, mit denen sie ihr Wissen teilen können. Uns gefällt die Hardwick Hall ausgesprochen gut. Vielleicht auch, weil meine Erwartung an ein "elisabethianisches Landhaus" samt Prachtgarten eher überschaubar war. Ines darf als Bonus noch ein wenig in diesem Prachtgarten stöbern und entwendet dabei (natürlich völlig legal) ein paar Blätter Salbei und Thymian zum Naschen gegen ihren Husten.
Ein weitere Attraktion unter dem Schutz von Englisch Heritage liegt in unmittelbarer Nähe. Darum verbringen wir neuerlich bei dem Car Park eines nahegelegenen Pubs die Nacht. Während ich dort wiederum lokales Gebräu verkoste, gönnt Ines ihrem lädierten Hals die nächste "Hot Chocolate".
Zeitig in der Früh besuchen wir das Bolsover Castle, eine Burg im Nordosten von Derbyshire. Die Anlage, die aus den Ruinen einer Burg aus dem 12. Jahrhundert, der vollständig erhaltenen Burg aus dem frühen 17. Jahrhundert sowie Stallungen und einer Hofreitschule besteht, ist riesig. Da unsere Mitgliedskarten sowie der Aufkleber für die Windschutzscheibe, die den Zugang zu den Parkplätzen ermöglicht, gerade per Post unterwegs nach Österreich sind oder bestenfalls bereits im heimischen Postkasten liegen, bitten wir den netten Mitarbeiter im Ticketbüro um Hilfe. Der händigt uns nicht nur den Sticker aus, sondern versorgt uns einstweilen mit einer Karte und vielen nützlichen Informationen. Abermals überkommt uns das Gefühl, das hier großteils Menschen arbeiten, denen ihr Job Freude bereitet und der sie auch tatsächlich interessiert. Gutes Recruiting also bei English Heritage.
Neben dem Ticketbüro, Souvenirladen und einem Café, finden sich an den größeren Attraktionen wie hier außerdem auch Second-Hand Buchläden, die auf Spendenbasis beruhen. Hier werde ich mehrfach fündig und entscheide mich für die dickste Lektüre. Ines verzichtet aufs Schmökern. Sie ist weiterhin ordentlich angeschlagen, tankt lieber Energie in der Sonne (so lange sie da ist) und lässt sich vom Audioguide berieseln. Die Engländer sind bei dem Wetter bereits in Furore und fast ausnahmslos in kurzen Hosen und T-Shirts unterwegs. "It's a bloody hot day darling" gebe ich Ines zu verstehen und versuche dabei das "r" besonders hübsch zu "rollen". Der Satz ist bereits jetzt unser Running-Gag geworden, wenn wir zugeknöpft auf luftig bekleidete Einheimische treffen, die sich deswegen sommerlich anziehen, weil halt Sommer ist. Und der findet unabhängig der Temperaturen statt.
Die Ruinen der ursprünglichen Anlage aus dem Mittelalter verlangen einem etwas Fantasie ab. Von "Paradieszimmer" und der Empfangshalle ist nur mehr bröckeliges Mauerwerk übrig. Die Abbildungen auf den Infotafeln schaffen ein wenig Abhilfe. Der "neuere" Zubau, den die Herren der Familie Cavendish (Sohn und Enkel der Bess of Hardwick, die wir am Vortag kennenlernen durften) in Auftrag gegeben haben ist hingegen in ausgezeichnetem Zustand. Das "Little Castle" wird von einer ringförmigen Mauer umgeben, die zu einer Rasenfläche führt, die den "Venusbrunnen" umfasst. In verschiedenen Einlässen in der Mauer finden sich Kamine und Bänke anstatt, wie von einer Burg zu erwarten, Wehranlagen. Der Grund liegt in der Verwendung des Ortes. Bolsover Castle diente der Familie Cavendish als Erholungs- und Vergnügungsresidenz, wo sie Gäste empfangen haben oder einfach gute Unterhaltung genießen wollten. Im Inneren der Burg sind die Spuren des Wohlstands weithin gut erhalten. Wir entdecken das "Sternenzimmer", wo Wände und Decken aufwendig mit dem Nachthimmel geschmückt und bemalt sind, sowie verschiedene Lesekammern, deren meisterhafte Deckenmalerei römische und griechische Mythen abbildet. Inmitten der Vergnügungszimmer finden sich Spieltische und alte mechanische Apparaturen, an denen man sich versuchen konnte. Die Voräufer moderner Spielhallen oder Hobbyräume. Jeder Raum im Bolsover Castle sollte nicht nur imponieren, sondern auch inspirieren und Freude stiften.
Was uns betrifft, gelingt das sehr gut. Zwei Stunden lang streifen wir durch die Burg und die gesamte Anlage, bis wir wieder aufbrechen. Unser Weg führt uns weiter in den Westen, wo wir mit dem "Peak District" den ersten Nationalpark Englands besuchen wollen.
Steinkreise im Auenland
Vorbei an Chesterfield in Richtung Westen erreichen wir bald das hügelige Gebiet, das hauptsächlich von Heidekraut und Schafen besiedelt ist. Unser erster Stopp an diesem Nachmittag ist ein besonderer. Es ist der erste Steinkreis, den wir in England besuchen. Der "Nine Ladies Stone Circle" liegt ziemlich versteckt in einem Wald und ist nur zu Fuß erreichbar. So haben wir diesen mystischen Ort, der vor mindestens 3000 Jahren angelegt wurde, fast zur Gänze für uns. Gut so! Der schmale Fußweg durch den dicht bewachsen Wald, ist bereits ein Highlight. In einer Lichtung finden wir die neun Felsen, die großteils nur noch liegen. Jeder der Felsen, soll der Folklore nach, eine Frau darstellen. Zur Strafe (weil sie am einem Sonntag verbotenerweise getanzt haben) wurde alle Neun zu Stein. Genauso der Geigenspieler, dessen Monolith knapp 20 Meter außerhalb des Kreises liegt. Wir tasten die Steine ab, lauschen dem Gesang der Vögel und begeben uns auf eine Zeitreise im Geist. Wer diese tonnenschweren Felsen platziert hat und ob es vor 3000, 4000 oder noch mehr Jahren geschehen ist, ist bislang unbekannt. Das Unbekannte und Rätselhafte solcher Orte, ist es genau das, was uns besonders gefällt.
Unser Nachtlager finden wir eine halbe Stunde nördlich auf einem höher gelegenen Wanderparkplatz. Von dort haben wir einen hübschen Ausblick auf die Region und den Nationalpark, der uns umgibt. Schafe und Kühe verleihen den grünen Hügeln schwarze und weiße Farbtupfer. Hohe Berge gibt es trotz des klingenden Namens im Peak District nicht, dafür Englands höchst gelegenes Dorf mit 463m. Die Nacht ist windig und nass, wie auch der kommende Morgen. Ines Husten ist noch keinen Deut besser und wir entscheiden uns, einen Ruhetag einzulegen. Ein heftiger Wackler im Bus sorgt während des Frühstücks für kurze Aufregung und anschließende Heiterkeit. Ein neugieriges Schaf hat sich ein wenig an unserem Bus gerieben und zieht flott weiter, als wir die Kamera zücken. Am späten Nachmittag nutzen wir eine Regenpause, drehen den Spieß um und besuchen die Schafherde nebenan. Unsere überfällige Dusche nehmen wir anschließend, wie gehabt, draußen und sehnen uns mehr den je nach ein bisschen Sommer und ein paar Grad mehr.
Am nächsten Morgen besuchen wir im Peak District einen weiteren Ort, den wir durch English Heritage entdeckt haben. Der "Arbor Low" Steinkreis, der vor über 4500 Jahren errichtet wurde, soll von einem 90 Meter breiten Erdwall umgeben sein und zu den schönsten Kultstätten Englands zählen. Exakt 40 tonnenschwere Monolithen sind hier aufrecht errichtet worden, die allesamt noch vorhanden sind. Die Strecke dorthin wirkt wie eine Spazierfahrt durchs "Auenland". Kleine Bäche, noch mehr Schafe und weithin saftige Wiesen. Hobbits begegnen wir nicht, obwohl unser Ziel neuerlich die Fantasie anregt. Zu Fuß marschieren wir den letzten Kilometer durch Weideland und glauben zuerst, vor dem Hügelgrab zu stehen, dass ebenso am Gelände zu finden ist. Tatsächlich stehen wir vor dem meterhohen Erdwall, der die massiven Kalksteine fast solange verdeckt, bis wir vor ihnen stehen. Die Monolithen haben, nach tausenden von Jahren, ihre aufrechte Haltung gegen eine "gemütlichere" eingetauscht und liegen kreisrund um uns verstreut. Als wir durch den zentralen Korridor inmitten der Steine wandern, stechen uns die beiden größten Exemplare ins Auge. Genau wie in Stonehenge und anderen Kultstätten wurde auch Arbor Low nach den Gestirnen ausgerichtet. Die beiden großen Monolithe in der Mitte dienten demnach als verlässlicher Kalender, um sowohl die Sommer-, als auch Wintersonnenwende festzustellen. Wir verharren genau dort und versuchen uns vorzustellen, wie die Zeremonien hier vor tausenden Jahren abgelaufen sind und wer die Menschen waren, die daran teilgenommen haben. Den restlichen Steinen schenken wir danach unsere Aufmerksamkeit und gehen eine volle Runde entlang des Erdwalls. Dabei muss ich feststellen, dass es kaum möglich ist, mit der Kamera den Ort in seiner Gesamtheit abzulichten. Ein Fall für die Drohne also. Von oben betrachtet, erschließt sich ein viel deutlicheres Bild der Steine und ihrer kreisrunden Anordnung. Ich freue mich sehr über die Videos und Fotos und schicke Johannes, der uns in Spanien seine alte Drohne vermacht hat, im Geiste ein großes Dankeschön. Am Nachmittag führt uns der "Auenland-Motorway" weiter in den Westen. Auf einer Farm, die Camping anbietet, versuchen wir ohne Reservierung unser Glück. Die freundliche Farmerin wirkt ein wenig zerstreut und schusselig. Als sie uns den Weg zur Wiese zeigt, merkt sie lachend an, dass sie heute schon mittags ein Bier getrunken hat. Wir richten uns in der hintersten Ecke neben dem Weidezaun ein und freuen uns über die ruhige Gesellschaft von Pferden und Kühen.
Nach einer weiteren kühlen und windigen Nacht in den Hügeln des Peak Districts, zieht es uns am nächsten Tag wieder in eine Stadt. In Chester befinden sich zwei weitere Attraktionen, die von English Heritage verwaltet werden und uns beide interessieren. Einerseits das Chester Castle aus dem 11.Jahrhundert und andererseits das größte römische Amphitheater auf englischen Boden. Die Stadt, die auch von den Römern gegründet wurde, liegt südlich von Liverpool und bereits nahe an der Grenze zu Wales. Es ist Samstag Mittag als wir dort ankommen und direkt unter der Burg einen Bezahlparkplatz finden. Zu unserer Überraschung sind die Pforten der Burg geschlossen und ich erkundige mich bei einem Einweiser, ob wir tatsächlich richtig sind. "The castle is closed today, yesterday as well...don't know, maybe something's wrong with the volunteers" meint er freundlich. Wir stecken die kleine Enttäuschung rasch weg und spazieren in die Fußgängerzone. Dort ist richtig was los. Keine Touristen, dafür viel Einheimische auf Shopping-Tour, Straßenmusiker und zahlreiche kostümierte Poltergruppen sind unterwegs. Der erste Eindruck von Chester ist positiv. Die Fußgängerzone wird auf beiden Seiten von Arkadengängen flankiert, die jeweils im ersten Stock der hübschen Fachwerkshäuser liegen. So kann man auf zwei Ebenen, entlang jeder Straßenseite flanieren und einkehren. Zweiteres machen wir auch und beobachten das muntere Treiben. "Schau mal, die nächste Gruppe" deutet Ines auf eine weitere Horde junger Mädels, die knappst bekleidet samt Schleifen eine Bar belagern. "Darling, it's a bloody hot day" antworte ich schulterzuckend. Ines lacht verlegen. Meine lautstarken Auftritte in der Öffentlichkeit sind ihr wohl ein wenig peinlich geworden. Entlang der unterschiedlichen und bunten Läden, denen wir ein paar Besuche abstatten, führt die Fußgängerzone zum Rathaus, das gegenüber einer prächtigen Kathedrale liegt. Wir biegen zuerst in die andere Richtung und besuchen die alte Markthalle, die uns mehr als modern empfängt. In ihrer Mitte befindet sich ein riesiger Foodcourt, angenehme Musik tönt aus den Lautsprechern und die Besucher scheinen allesamt gut aufgelegt zu sein. Wenn wir nicht bereits gegessen hätten, hätten wir zwei "Haglichen" hier unsere Freude. Jede Menge Leckereien aus aller Herren Länder werden vor den Augen der Gäste frisch zubereitet, dabei auch sehr viel Vegetarisches. Beim Hinausgehen entdecken wir noch das Maskottchen des Marktes, ein bronzenes Wildschwein. Ich gebe mir Mühe, mit seiner wilden Frisur mitzuhalten, während wir ein gemeinsames Foto knipsen. Zurück vor dem Rathaus schauen wir einem tanzenden Gorilla dabei zu, wie er zu Bob Marleys "Jammin" für ein bisschen Trinkgeld die Hüften schwingt und besuchen anschließend die Kathedrale. Von außen fügt sie sich mit ihren roten Backsteinen bereits bestens ins Stadtbild ein und kommt ohne einen großen Vorplatz aus. Drinnen haut es uns fast aus den Socken. Nicht nur die Größe ist beeindruckend, sondern vor allem die Akustik. Während wir das zentrale Schiff an einer Ecke des Kreuzgangs betreten, wirkt der fremde mystische Klang wie ein Magnet. Tatsächlich finden gerade Chorproben statt, denen man beiwohnen darf. Wer sich nicht vorne einreihen möchte, kann sogar via Fernseher aus den hinteren Reihen dem Dirigenten auf die Finger sehen. Das Besondere ist, dass es sich nicht um Kirchengesang handelt, wie man ihn erwarten könnte, sondern alte Hymnen und Lieder angestimmt werden, die den gewaltigen Raum füllen und (spätestens als die Orgel einsetzt) mit dem ganzen Körper spürbar sind. Wie angewurzelt bleiben wir sitzen, teils mit geschlossenen Augen. Als Fans von "Herr der Ringe" oder "Game of Thrones", könnte jedes Lied, das so alt und fremd klingt, den jeweiligen Soundtrack bereichern. Wie wir erfahren, handelt es sich auch nicht um einen "Kirchenchor", sondern um einen Chor, der hier regelmäßig auftritt und probt. Nächstes Monat steht ein Auftritt an, wo ausschließlich Interpretationen von Liedern der Band "Radiohead" gesungen werden. Als der Chor pausiert, schwärmen Ines und ich aus und erkunden verschiedene Ecken und Gänge. Ines präsentiert mir anschließend stolz den präzisen Nachbau der Kathedrale, den ein Künstler mit Legosteinen erschaffen hat. Ich zeige ihr das goldene Freimaurersymbol, das ich auf einer Ehrentafel entdeckt habe. Danach geht es in den Kreuzgang, dessen 365 Fenster jeden Tag des Jahres samt seinen jeweiligen Heiligen abbilden. Die prächtigsten Fenster gehören den Erzengeln und den Evangelisten, die mit besonders viel Detail verarbeitet wurden. Im Innenhof wartet ein blumengeschmückter Garten samt mehreren Sitzbänken auf Besucher. Der Blickfang ist der große Brunnen, aus dessen Mitte sich eine moderne Skulptur erhebt, die Jesus mit der Frau am Jakobsbrunnen darstellt.
Nachdem wir uns länger als erwartet an der Kathedrale von Chester erfreut haben, stört es uns weniger, dass es danach an den Ruinen des römischen Amphitheaters weniger zu sehen gibt. Nur zwei, der mindestens fünf Ebenen wurden ausgegraben bzw. rekonstruiert. Eine große Infotafel gibt Aufschluss über das ursprüngliche Aussehen der Anlage. Das genügt uns und wir folgen der römischen Stadtmauer hinunter zum Dee Fluss, der sich um Chesters Altstadt windet. Unverhofft geküsst von einigen Sonnenstrahlen genießen wir die Stimmung und brechen wenig später auf. Nach zwei Wochen in England fahren wir weiter nach Wales, wo unaussprechliche Ortsnamen, malerische Nationalparks und eine weitere Einladung auf uns warten. Auf all das freuen wir uns besonders, während wir zwischenzeitlich Abschied von England nehmen.
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Ula (Samstag, 13 September 2025 14:25)
Sehr schöne Zeit die ihr jetzt habt, mit typischen englischen Wetter.(; Wann immer ich in England war, hatte ich anscheinend besonderes Glück mit dem Wetter, so gut wie nie Regen! Weiterhin schöne Reiseerlebnisse, und liebe Ines erhole dich bald von deinen Husten!