Kletterpartie im Snowdonia Nationalpark
In den letzten Tagen blieb wenig Zeit, sich ein bisschen schlauer über Wales zu machen. Fürs erste müssen die Basiskenntnisse ausreichen. Wales ist ein eigenständiges Land, das zum "United Kingdom" gehört. Dass die Waliser neben Englisch eine eigene Sprache sprechen, ist uns bekannt. Den herrlichen Snowdonia Nationalpark im Norden und den Brecon Beacons Nationalpark kennen wir aus Dokumentationen. Auch, dass die Hälfte der Steine, aus denen Stonehenge errichtet wurde, von der Westküste Wales stammen haben wir aus solchen Sendungen gelernt. Das Landessymbol ist der rote Drache, der die weiß-grüne Flagge ziert und für Stärke, Mut und Wildheit stehen soll. Besonders stolz sollen die Waliser auf ihre keltischen Wurzeln sein, die in ihren Traditionen bis Heute weiterleben. Wie es dort aussieht und wie es sich dort lebt, werden wir in den kommenden Wochen erfahren.
Was uns als erstes in Wales auffällt, sind die unverständlichen Begriffe auf den Wegweisern samt den ungewöhnlichen Ortsnamen. Dabei sind die meisten Beschilderungen zweisprachig, wobei die englische Formulierung meist darunter geschrieben steht. So sind die ersten Wörter die wir lernen wohl "Vorrang geben" oder "Langsam", was "Araf" heißt. Fast pünktlich zu unserer Ankunft in Wales erreicht uns auch eine freudige Nachricht. Clare, die wir in Spanien kennengelernt haben, meldet sich und erneuert ihre Einladung. Sie ist demnach gut Zuhause angekommen und schmeißt in etwas mehr als einer Woche eine Party, zu der wir bereits eingeladen sind!
Wir verbringen eine ruhige erste Nacht in einem Ort mit etlichen "Ypsilons" und brechen vormittags nach Llangollen auf. Eine Stadt ohne Ypsilons, aber mit vier Ludwigs. Llangollen liegt auf unserer Route nach Snowdonia und außerdem wollen wir dort eine Wanderung zu den Ruinen des Dinas Bran Castle unternehmen. Einen Parkplatz unten im belebten Ort finden wir und nehmen zur Kenntnis, dass so wie in England, auch in Wales das Parken teuer und nur für kleine Autos gemacht ist. Die Wanderung führt uns über schmale Trampelpfade auf eine kahle Lichtung, von der man die Reste der Burganlange bereits erkennen kann. Auf einer breiten Infotafel sind einige historische Begebenheiten beschrieben, wobei uns ein Detail ins Auge sticht. Der Name der Burg "Bran" bedeutet auf walisisch Rabe oder Krähe. Eine essentielle Information für Fans von "Game of Thrones"! Nachdem Ines der Husten noch ein wenig in den Knochen steckt, freut sie sich über die Verschnaufpause vor dem finalen Anstieg. Oben angekommen freuen wir uns gemeinsam über den schönen Rundumblick in alle Richtungen. Nach Osten, in Richtung England, fällt die Landschaft rasch ab, während nach Westen hin die kahlen Hügel kein Ende nehmen. Die Ruinen der Burg sind allesamt zugänglich und wir suchen uns eine hübsche alte Mauer, die uns beim Jausnen vor dem Wind schützt. Als ich danach die Drohne steigen lassen möchte, verweigert das kleine Ding seinen Dienst. Es verlangt nach einem Update, was es sich ungefragt auch gleich (dank intakter Verbindung) aus dem Äther holt. Nach ein wenig fluchen, bin ich bereit für den nächsten Versuch, der mir wiederum verwehrt wird. Nun benötigt auch der Akku ein Software-Update. Der Akku! Ich wusste nicht, dass das Ding außer Strom speichern und spenden, sonst noch Bedürfnisse oder gar ein Eigenleben hat. "So a Schaß, des gibts jo ned" verfluche ich solch neuartige Technik.
Nach der Wanderung spazieren wir noch durch den Ort und versuchen herauszufinden, warum hier so viele Leute unterwegs sind. Die Ruinen waren schön, die kleinen Souvenirläden ganz nett und am Eisenbahnmuseum wird es wohl kaum liegen. Erst als wir aufbrechen und uns eine Fee samt Blumenschirm über den Weg läuft, erkennen wir, was wir verpasst haben. Nämlich das große "Llangollen Fairy Festival", auf das ein Plakat am Ortsende hinweist. Später erfahren wir, dass es sich dabei um das größte Feen- und Elfenfest in ganz Großbritannien handelt. Ines ist ein wenig enttäuscht. Gerne hätte sie sich einen Zauberstab gebastelt oder sich in ihrer Magie geübt.
Unser Ziel am späten Nachmittag, der Snowdonia Nationalpark, spendet Trost. Trotz der geringen Distanzen, die unser Navigationssystem anzeigt, dauert die Fahrt länger als erwartet. Die Entfernungen scheinen in Wales, das ein Viertel der Fläche Österreichs einnimmt, generell gering. Dabei müssen wir feststellen, das die zentrale Straße durch den Norden nicht nur einspurig ist, sondern auch durch zahlreiche Ortschaften führt. Wir kommen heute gerne langsam voran, denn als die letzten Hügeln den ersten Bergen weichen, bieten sich uns wunderschöne erste Eindrücke des Nationalparks. Die engen Täler werden ein Stück weiter und die Gipfel wirken höher als erwartet. Flüsse winden sich neben der Fahrbahn und etliche kleine Wasserfälle kommen zum Vorschein. Häuser werden weniger, während der Großteil der Bäume bereits vor hunderten Jahren verschwunden ist. Die einzige Konstante ist die grüne Farbe. Nur Schafe sorgen vereinzelt für weiße Kleckse auf den weiten Wiesen. Wir entscheiden uns für einen Campingplatz im "Nant-y-Gwyrt" Valley. Der Farmer, der seine riesige Wiese zur Verfügung stellt, ist wiederum sehr nett und gesprächig. Er zeigt uns, neben dem schönen Ausblick, ein weiteres Highlight des Platzes. Von den unteren Ebenen des Geländes kommt man zu Fuß direkt zum anliegenden See, der von oben schwarz schimmert und wie ein Moor erschient. "You can have a lovely swim, if you like" meint der Farmer ohne dabei eine Miene zu verziehen. Falls es die Außentemperaturen am nächsten Tag zulassen, wollen wir herausfinden, ob die Badetemperatur tatsächlich in Ordnung ist. Durchs Fenster des Busses beobachten wir am Abend, wie dunkle Wolken vom Wind gepeitscht übers Tal ziehen und sich in der Ferne der eine oder andere Schauer ergießt.
Am frühen Morgen klart es kurz auf. Das hilft beim in die Gänge kommen, was in unserem Fall bewirkt, dass wir hinunter zum See wandern. Auch aus der Nähe wirkt das Gewässer, dass den einprägsamen Namen "Llynau Mymbyr" trägt, dunkel und tief. Wir ziehen uns die Schuhe aus und waten am seichten Ufer über feinen Kies, bis wir an eine steile Kante kommen, die wir durchschwimmen müssten. Wir verzichten. Neben dem dunklen Llynau Mymbyr, wirkt der heimische Erlaufsee wie eine Thermalquelle. Die beiden Knochen, an denen ich vorbeigewatet bin, haben meine Motivation auch nicht angeheizt. Jedoch hat es mich kurz beschäftigt, ob es sich wohl um Rinder, Schwein- oder Schafsknochen handelt. Obwohl ich es für höchst unwahrscheinlich halte, kann ich nicht zur Gänze ausschließen, dass hier ein Drache am Werk war.
Zurück am Ufer kommen wir mit einem besonders netten Paar ins Plaudern. Todd, der pensionierte Cop aus Chicago und seine Partnerin Maria haben sich erst vor wenigen Tagen einen gebrauchten Camper zugelegt und sind auf ihrer Jungfernfahrt. Die Beiden wollen einen Blick in unseren selbst ausgebauten Bus werfen, um sich Inspiration und Ideen zu holen. Todd knipst jede Menge Fotos und ist voller Komplimente. Wir fühlen uns geschmeichelt. Nachdem wir uns verplaudern, brechen wir in jeweils andere Richtungen auf und würden uns über ein Wiedersehen freuen.
Uns zieht es ins benachbarte Ogwen Valley. Dort starten Wanderrouten auf einige der höchsten Gipfel des Snowdonia Nationalparks. Wir haben Glück und finden in der hintersten Ecke des Wanderparkplatzes ein ruhiges Plätzchen, wo wir zumindest die nächste Nacht verbringen wollen. Die erste Wanderung folgt bereits am Nachmittag. Ein Gipfelsturm ist zeitlich nicht mehr drinnen, jedoch eine Wanderung hinauf zum Llyn Idwal See, den man vor malerischer Kulisse umrunden kann. Das Wetter soll mitspielen. Der Pfad, der uns über kleine Stege und neben Wasserfällen führt, ist vielversprechend. Nach einer dreiviertel Stunde ist der Rand des Sees erreicht hinter dem sich eine Bergkette steil in die Höhe hebt. Als wir ein Bild knipsen, spricht uns ein englisches Paar höflich an. Sie stellen Fragen, sind interessiert, warum es uns beide hierher verschlägt, wo gerade unsere Heimat Österreich für seine Berge bekannt ist. Wir erfahren auch ein wenig von ihnen und freuen uns neuerlich über die offenen Briten. Unsere Umrundung verläuft meist trocken und wir besuchen abschließend noch das Visitor Centre in Ogwen, wo wir einiges lernen. Die Gletscher, die die Region bedeckten, formten den Nationalpark in seiner heutigen Gestalt. Die zerklüftete Landschaft besteht aus Sedimentablagerungen, wobei Schiefer- und Vulkangestein den Hauptanteil ausmachen. Überraschenderweise bereitete sich Sir Edmund Hillary hier im Snowdonia Nationalpark für die Besteigung des Mount Everest vor. Überraschend, weil keiner der Berge hier höher als 1085 Meter ist.
Am nächsten Morgen steht unsere erste Gipfeltour an. Wir entscheiden uns, nach etwas Abwiegen, für die Nordroute auf den Bryn Tryfan, der sich direkt hinter unserem Schlafplatz erhebt. Das Wetter ist deutlich klarer als am Vortag und soll anhalten. Zeit zum aufwärmen bleibt uns kaum. Der Anstieg führt durchwegs steil nach oben, wobei unterschiedliche Trampelpfade der Orientierung dienen. Bei anderen Wanderern erkundigen wir uns, ob wir richtig sind und erhalten ein "yes, for sure" oder "there is no single way, just continue climbing 'till the top' " zu Antwort. Nach etwas mehr als einer Stunde glauben wir, bereits die Hälfte hinter uns gebracht zu haben. Zumindest was die Distanz anbelangt, liegen wir nicht so falsch. Womit wir nicht gerechnet haben ist das "climbing", das einige Wanderer (die rückblickend stets auf Stöcke verzichtet haben) angekündigt haben. Zunehmend packen auch wir die Stöcke weg und klettern bald mehr, als wir wandern. Mir fällt es reichweitenbedingt etwas leichter als Ines und ich bin erstaunt, wie gut sie sich schlägt. Auf einer kleinen Plattform pausieren wir zum Jausnen und glauben, naiverweise den Gipfel bereits im Blick zu haben. Was tatsächlich noch vor uns liegt, ist eine Kraxelei, die noch anspruchsvoller wird. Mehrmals klettere ich vor, um verschiedene Routen zu testen, dann wieder zurück, um Ines zu sichern oder gemeinsam eine andere Route zu wählen. Unweigerlich erinnere ich mich an die Infotafel bzw. an den Mount Everest Erstbesteiger, Sir Edmund Hillary, der hier trainiert hat. Mir geht jedenfalls ein Licht auf. Mehrere Abschnitte sind so steil und unwegsam, dass ich mir durchaus Sorgen um meine Frau und liebste Abenteuergefährtin mache. Es gelingt mir, mir nichts davon anmerken zu lassen, während ich Ines Mut zuspreche und sie mehrmals von hinten sichere. Ines ist aber nicht nur eine zähe, sondern auch eine sehr mutige Natur. Während sie sich vor wenigen Tagen, noch geschwächt vom Husten, einen Hügel hinaufgeschleppt hat, hängt sie mit allen Vieren in steilen Wänden und kraxelt einen schmalen Kamin empor. Sie hat sich jeden Zuspruch verdient und beeindruckt mich mit ihrer Entschlossenheit auf ein Neues. "Ist das dein Ernst!?" schnaubt sie den Berg an, als dieser uns zu einer weiteren Kletterpartie herausfordert und kämpft sich weiter. Als wir nach über 3 Stunden die letzten Felsen bezwingen und das zerklüftete Gipfelplateau erreichen, könnte ich stolzer auf sie nicht sein. Ines strahlt übers ganze Gesicht und ich gratuliere ihr zu der überragenden Leistung. Ihr (seit Jahren) lädiertes Knie wird sich erst beim Abstieg wieder melden, für den wir die Südroute wählen. Anfangs ebenso zerklüftet, aber weit weniger steil, begegnen wir hier deutlich mehr Wanderern als am Vormittag. Einen davon dürfte es dennoch "erwischt" haben, denn auf halber Strecke hören wir plötzlich wie ein Hubschrauber im Anflug ist. Sein Geräusch wird von den Bergwänden reflektiert und sorgt für eine mehrdimensionale Beschallung. Wir beobachten, wie der Pilot über der vermeintlichen Unfallstelle kreist und erkennen auch, dass bereits Helfer vor Ort sind. Ein Stück weiter unten folgt unsere körperliche Belohnung für den hart erkämpften Aufstieg. Am Ufer des dunklen Bergsees sind wir nicht alleine. Deshalb entledigen wir uns recht flott der Kleidung und gönnen uns ein walisisches Eisbad. Lovely! Als wir im Wasser sind bemerken wir, dass sich auch ein Stück weiter zwei Nackerpatzerl ins kalte Nass kämpfen. Obwohl der Grad zwischen "erfrischen" und "erfrieren" hier ein schmaler ist, genießen wir jeden Atemzug und lachen über die jeweiligen Laute des anderen.
Zurück beim Bus wirkt unsere Außendusche plötzlich gar nicht mehr kalt und wir stoßen zu den letzten Sonnenstrahlen, die das Tal erreichen, auf einen sehr gelungen Tag, die gemeisterten Herausforderungen und unsere Freundin Birgit an, die Geburtstag hat und gemeinsam mit Hari bereits in den Startlöchern für ihre große Amerikareise steht.
Für uns geht es am nächsten Morgen weiter in den Süden des Nationalparks. Dort wollen wir das Cwm Prysor Viadukt besuchen und danach wieder einen Campingplatz beziehen. Mehrere Täler braucht es, bis wir bei unserem Ziel angelangt sind. Nachdem Ines den hübschen Ort im Internet entdeckt hat, hatten wir uns touristische Infrastruktur um das alte Eisenbahnviadukt erwartet, das seit 1961 nicht mehr befahren wird. Was wir finden, ist eine kleine Ausbuchtung neben der Straße, die den wohl nähesten Punkt markiert, von wo man aus wegmarschieren kann. Gerade als wir aufbrechen wollen, parkt sich ein Auto neben uns ein. Bei dem Einheimischen der aussteigt, erkundige ich mich nach dem Weg und wir kommen rasch ins Gespräch. Er wohnt schon sein ganzes Leben lang hier und kommt gerne auf die Anhöhe, um die Kampfjets zu beobachten, die am frühen Nachmittag regelmäßig übers Tal donnern. Beim Viadukt war er schon länger nicht mehr, aber es sei kaum zu verfehlen, meint er. Seine Mutter hat ihm davon erzählt, wie sie als Kind entlang der Eisenbahnstrecke den Soldaten gewunken hat, die im Gegenzug den Kindern Schokolade und Bonbons zugeworfen haben. Mit diesen lebhaften Bildern im Kopf spazieren wir entlang eines schmalen Pfades bis zur Brücke, die mittlerweile dicht von Gras bewachsen ist. Neben dem Ausblick ins Tal werden wir auch mit Naturalien belohnt. Entlang des Weges pflücken wir Unmengen an Brombeeren und Heidelbeeren, die wir naschen und uns vorsichtig in die Taschen stopfen. Die Drohne hätte an diesem Ort übrigens hübsche Bilder geschossen. Trotz meines Zutuns, ist es mir jedoch nicht gelungen, sie wieder in Gang zu setzen. Vielleicht reicht ihr die sporadische Internetverbindung auf dem Handy nicht, oder sie kultiviert einfach ihr Eigenleben.
Der Campingplatz weiter im Westen ist ein Volltreffer. In einem Tal gelegen, können wir direkt an einem kleinem Bach stehen und werden zu sanftem Plätschern in den Schlaf gewogen. Davor hat noch der Farmer an unsere Tür geklopft, um im Rahmen seiner allabendlichen Tour, die Gebühren der Camper zu kassieren und etwas zu plaudern. Nachdem sich der Regen am Vormittag verabschiedet hat, mache ich mich ans Werk. An einer tiefen Stelle des Baches, hebe ich einen Pool aus, den ich Ines später stolz präsentieren möchte. Abgehärtet wie wir mittlerweile sind, tauchen wir mit dem ganzen Körper ein und lassen einige Minuten das kalte Nass wirken. Danach genießen wir es, uns einen Nachmittag um nichts kümmern zu müssen. Weder Routenplanung, noch Stellplatzsuche, keine Wasser- oder Lebensmittelbeschaffung noch Wäschewaschen steht am Programm.
Zu Gast bei Freunden, Schafen und Delphinen
Den Platz für den kommenden Tag haben wir bereits vorher gefunden und freuen uns nach herrlichen Tagen in den Bergen, zurück an die Küste zu fahren. Der kleine Ort Aberdyfi hat einen kilometerlangen Sandstrand zu bieten, den wir sehen möchten. Als wir dort ankommen, spielt das Wetter schon mal mit. Knapp über 20 Grad lassen uns hoffnungsvoll, in kurzen Hosen, sowie mit Handtüchern und Klappsesseln ausgestattet, zum Strand marschieren. Ein hölzerner Steg führt über die Dünen hinaus zum hellgelben Sandstrand, der gut besucht ist. Die meisten Besucher sind mit Windzäunen und Strandmuscheln ausgestattet und haben außerdem noch eine Kühlbox nebenbei stehen. Definitiv ein "bloody hot day" also. Ines fällt sofort auf, dass neben den vielen Menschen, auch genau so viele Hunde am Strand unterwegs sind. Das Lieblingshaustier der Waliser ist anscheinend dasselbe, wie das der Engländer. Was mir auffällt ist das Licht, das im August den Abschied des Sommers ankündigt. Die Sonne steht nicht mehr so hoch, wirft lange und vor allem kontrastreiche Schatten. Der Himmel wirkt diesig, obwohl keine Wolken die Sonne verdecken. Wir genießen diesen Funken Sommer, den wir hier kriegen können in voller Zügen, lesen den ganzen Nachmittag und wagen uns sogar zweimal kurz ins Wasser.
Am Abend fühlen wir uns erstmals weniger willkommen. Am schönen grünen Parkplatz am Ortsanfang haben sich außer uns noch mehrere andere Camper eingefunden. Bis auf ein älteres Paar aus Bayern, mit dem wir uns kurz unterhalten haben und die wenige Meter neben uns stehen, handelt es sich ausschließlich um englischer Camper. Pünktlich zum Sonnenuntergang beginnt es dumpf zu dröhnen. Eine Stunde später stehe ich draußen und vernehme den Bass des Subwoofers immer noch. Verwundert, ob ein Camper sich so eine Box eingebaut hat, spaziere ich noch ein Stück um meine Neugier zu stillen. Tatsächlich hat sich ein Unverbesserlicher in einem kleinen Opel Corsa direkt neben die beiden älteren Bayern gestellt und hindert die beiden am Schlafen. An anderen freien Parkplätzen oder Alternativen würde es nicht mangeln. Während Ines und ich ohnehin etwas länger wach sind, tun mir die beiden Senioren nebenan Leid. Als wir uns später gerade die Zahnbürsten in den Mund stecken wollen, wird der Bass sogar noch lauter. Ich blicke nach draußen und erkenne, wie der Unverbesserliche zwischen uns und dem anderen "fremden" Fahrzeug vor- und zurück schiebt. Als ich aussteige und überlege was ich dem Blödmann sage, wenn ich an seine Tür klopfe, fährt er los und kommt in dieser Nacht nicht mehr zurück. Sehr seltsame Typen gibt es. Einen Spaß erlauben sich in der Nacht und den frühen Morgenstunden dafür einige andere Spezialisten, die jedes Mal, wenn sie an den Campern (egal an welchen) vorbeifahren, lautstark hupen.
Halb so wild, wir haben trotzdem schon weit schlechter geschlafen. Ein weiterer "bloody hot day" kündigt sich an, den der Thermometer soll abermals die 20 Grad-Marke knacken. Ausgerüstet wie am Vortag, spazieren wir nochmal zum Strand und besuchen im Vorbeigehen auch den örtlichen Gemischtwarenladen. Die Verkäuferin ist super nett, möchte wissen woher wir kommen und wie es uns in ihren Dorf gefällt. Als ich nach den positiven Dingen auf die nächtlichen Störenfriede zu sprechen komme, meint sie empört: "These idiots are not from here, they come from bayside, for sure!". Denn hier im Dorf duldet man so ein dummes Verhalten nicht, fügt sie entschuldigend hinzu. Am nächsten Tag sollen wir außerdem unbedingt zum Food-Festival kommen, wo es neben Essen auch tolle Musik gibt, sagt sie beim Verabschieden noch ganz freudig und winkt. Reizend die Menschen hier, vor allem die Erwachsenen. Nachdem wir am Vortag nur ein wenig im kalten Meer geplantscht sind, möchte ich es heute wissen. Ines, die bis zur Hüfte im Wasser steht, ist gut unterhalten, als ich meine Runden ziehe, untertauche und Geräusche von mir gebe. Es ist der nördlichste Badespaß meines Lebens (nach Breitengrad) und auch einer der kürzeren. Entgegen ihrer sonstigen Wallungen, sind die Einheimischen beim Schwimmen bzw. der Wassertemperatur übrigens zurückhaltender, denn außer uns ist kaum jemand mehr als Knöcheltief im Wasser.
Am Abend füllt sich die Wiese um uns mit deutlich mehr Campern, als am Vorabend. Weniger Platz also für Quälgeister. Bis auf ein paar lange Hupen verläuft die gesamte Nacht ruhiger.
Der nächste Tag soll der letzte sein, an dem sich die Sonne von ihrer besten Seite zeigt. Ein weiterer Strandtag ist für uns aber nicht mehr möglich, da wir am Nachmittag, mehr als zwei Stunden weiter südlich, von Clare und ihrer Partygesellschaft erwartet werden. Das Food-Festival von Aberdyfi wollen wir uns am Vormittag jedoch nicht entgehen lassen. Eine Grünfläche neben der Hauptstraße, die kleiner als ein halbes Fußballfeld ist, ist Schauplatz des "Spektakels". Tatsächlich scheint sich der ganze kleine Ort hier versammelt zu haben und ist bereits ordentlich am Essen und Trinken, als wir gerade unser Frühstück verdauen. Ines macht es erwartungsgemäß viel Freude, bei den Ständen zu gustieren und zu stöbern. Auch ich bin gut unterhalten und erlebe wie manch Einheimische, ob der sagenhaften 23 Grad, völlig außer Rand und Band geraten. Mehrere schwere Jungs haben sich ihrer Shirts entledigt, während die älteren Semester ihre Hawaii-Hemden aufknöpfen. Eine rothaarige Sängerin spielt auf ihrer Gitarre Volkslieder und singt sich auf Walisisch die Kehle aus dem Leib. Die Besucher, die vor ihr auf Strohballen sitzen, sind begeistert! Nachdem wir alle Essensangebote umrundet haben, entscheiden wir uns für drei verschiedene Leckereien und erobern unsererseits einen Strohballen. Von dort aus lassen wir das muntere Treiben auf uns wirken.
Am frühen Nachmittag starten wir unsere Etappe, die uns bis nach Cardigan fast ununterbrochen an der Küste entlang führt. Unser Ziel ist das Dorf Eglwyswrw, wo Clare gemeinsam mit ihrem 83jährigen Vater und ihrem 22jährigen Sohn lebt. Sie haben ein ehemaliges Pub in ein Wohnhaus umgewandelt und am ehemaligen Parkplatz im Garten, sollen wir unser Lager aufschlagen. Neben uns sind am Vorabend bereits weitere Freunde von Clare aus London angereist. So weit unser Wissensstand, als wir durch Orte mit weiteren klingenden Namen wie Llwyndafydd oder Cwymtudu fahren. Der Blick hinunter aufs Meer ist überaus schön. An einer der wenigen Parkbuchten halten wir, um ein Foto zu knipsen und staunen, wie gering der Küstenstreifen besiedelt ist. Anstatt Häusern, ragen im Westen von Wales die Felder bis zur sandigen Küste.
Als wir bei Clare ankommen, werden wir so freudig begrüßt, wie sie sich von uns verabschiedet hat. Neben ihrem 7,5 Meter Wohnmobil stehen noch zwei andere VW Busse im Garten, die ihren Freunden gehören. Wir vervollständigen den Platz und passen exakt auf den letzten Fleck. Die Runde nimmt uns sofort auf, scherzt, liefert uns Drinks, gibt sich interessiert und stellt sich vor. Neben drei Paaren, sind noch eine weitere Freundin von Clare und ihr Vater Bill dabei. Allesamt liebe Menschen, die ein klein wenig angeschlagen sind. Die vergangene Abend, wo die anderen Freunde angekommen sind, sei bereits ein wenig ausgeartet und hat lange gedauert, berichtet mir Bill. Dann werden uns aus verschiedenen Perspektiven die heitersten Episoden präsentiert, die wir Gestern verpasst haben. Es wird viel gelacht und wir freuen uns, dass Clares Freunde ähnlich sympathisch sind, wie sie. So passiert es, dass wir uns nahtlos einfügen und zu den letzten gehören, die ins Bett fallen. Am nächsten Vormittag muss eines der Paare, Tracy und Ian wieder nach London zurückreisen. Die beiden sind nicht nur heitere sondern auch gute Gesprächspartner gewesen und wir hätten noch gerne etwas mehr Zeit mit ihnen verbracht. Den beiden geht es anscheinend genauso, denn als wir uns verabschieden, laden sie uns ein, unbedingt auch bei ihnen in London vorbeizukommen, wenn wir in der Nähe sind. Ich sage zu, dass wir jedenfalls in Kontakt bleiben und uns melden, wenn es soweit ist. Zu Mittag wird gemeinsam gekocht und gebacken. Ines freut sich über den Backofen und zaubert mit Hilfe unseres Sauerteigs gleich zwei duftende Brote. Die anderen Gäste sind begeistert, was mich ob der kulinarischen Eintönigkeit in England und Wales kaum verwundert. Brot ist hier meist geschmack- und gewürzloses Füllmaterial, das die Einheimischen meist vorgeschnitten kaufen.
Ich vertreibe mir draußen die Zeit mit Simon und Bill, Clares 83jährigen Vater, der in jeder Hinsicht ein fitter Kerl geblieben ist. Er ist sehr interessiert an unserer Reise, an Österreich und den kulturellen Unterschieden. Mir macht es gleichzeitig eine große Freude, ihm Fragen zu stellen und so verfliegt die Zeit wie im Flug. Als es Abend wird, besuchen wir als große Gesellschaft gemeinsam ein schickes Pub und lassen für uns kochen.
Am nächsten Tag verabschiedet sich der Rest und wir bleiben mit Clare und Bill zurück. Clare gibt mir eine Führung durch ihr Atelier, wo ihre Bilder geschaffen und verkauft werden, während Ines abermals die Vorzüge einer großen vollausgestatteten Küche genießt. Was ihr Freude bereitet, wissen unsere Gastgeber sehr zu schätzen. Beide sind abermals begeistert, von dem Mittagessen, dass Ines uns zaubert. Bill möchte uns am Nachmittag unbedingt die Gegend zeigen und wir freuen uns, auf eine Tour mit unseren zwei Locals. In seinem Kleinwagen fährt er uns zuerst zum kleinen Küstenort Cwm-yr-Eglwys. Als Absolvent seines walisischen Mikro-Sprachkurses, gelingt es mir im zweiten Anlauf den Ortsnamen auch richtig auszusprechen. Bill kann sich vor Lob kaum mehr einkriegen und an den folgenden Ortsschildern, wiederholen wir zu unserer beider Unterhaltung das selbe Spiel.
Der nächste Stopp ist außergewöhnlich. Der Pentre Ifan ist kein Steinkreis, sondern ein Monument, das bis heute Rätsel aufgibt. Drei massive Monolithen balancieren auf ihren Spitzen einen 16 Tonnen (!) schweren "Dachstein". Und das bereits seit mindestens 5000 Jahren! Wir tasten die Steine ab, gehen unter dem massiven Felsen hindurch und bewundern gemeinsam die Konstruktion. Danach führt uns Bill einen Hügel hinauf, von wo man bei klarer Sicht bis nach Irland sehen kann. Anschließend geht es weiter nach Cardigan, wo wir bis an die Spitze der Bucht fahren. Von dort geling es uns, mit ein wenig Orientierungshilfe der Bootstouren, die Hauptattraktion des Ortes zu entdecken. Eine Delphinkolonie lebt dauerhaft in der Bucht und einige der Tiere lassen sich zum Sonnenuntergang blicken. Aus einer großen Entfernung, jedoch deutlich, können wir erkennen, wie die Tiere an unterschiedlichen Stellen aus dem Wasser springen. Ein schöner unerwarteter Moment, auch weil wir ihn mit neuen Freunden teilen können. Zum Abschied am kommenden Tag, gibt es wieder Brotlaibe aus Ines Zauberhänden. Es fällt uns ein wenig schwer, von Clare und Bill Abschied zu nehmen. An die guten Gespräche und ihren Humor haben wir uns rasch gewöhnt. Wir tauschen viele Wünsche aus und gehen davon aus, uns irgendwann wiederzusehen.
Sternschnuppen an der Küste
Unseren nächsten Halt hat uns Bill empfohlen. An der Westspitze Wales liegt der hübsche Küstenort St.Davids, der für seine Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert bekannt ist. Von dort aus verläuft der "Pembrokeshire Coast Path" in beiden Richtungen entlang der Küste. Wir sollen ein Stück davon wandern, sollten wir die Gelegenheit dazu haben, hat uns Bill ans Herz gelegt. In St.Davids verbringen wir den Nachmittag, besuchen die Kathedrale und spazieren im Ort umher. Unser Platz für die Nacht liegt bereits im Pembrokeshire Nationalpark, ist aber nichts Besonderes. Deswegen brechen wir früh auf um an der südwestlichsten Spitze Wales St.Ann's Head zu besuchen. Der Weg zu diesem Örtchen, am walisischen Ende der Welt, wäre ja ganz hübsch, wenn man sich mit dem Gegenverkehr nicht die eine vorhandene Fahrspur teilen müsste. Was wir in Wales zwar immer wieder bei kurzen Strecken erlebt haben, erstreckt sich am Ende über 18 Kilometer. Die Lösung sind Nischen, die (alle paar hundert Meter) in die Hecken oder die Erdwalle hinein geschnitten wurden. Ähnlich wie die Engländer, erleben wir immerhin auch die Waliser als sehr zurückhaltende Autofahrer, die auch zurückschieben oder sich umgekehrt per Gruß bedanken. Die Belohnung ist ein einsamer Wanderparkplatz unweit der Klippen, wo der Wind pfeift und die Brandung leise zu hören ist. Wir packen die Rucksäcke und brechen in die östliche Richtung auf. Berits unser erster Kilometer entlang des Coast Path gefällt uns sehr. Die roten Klippen, die dicht von Gras und Farn bewachsen sind, sind was fürs Auge und laden immer wieder zum Umschauen ein. Der Fußpfad ist, getreu der Straße, meist einspurig und führt uns nahe der Klippen sanft auf und ab. Bei einem verlassenen Leuchtturm pausieren wir kurz und erkennen das Schild eines Immobilienmaklers, der den Leuchtturm samt dazugehörigen Haus zum Verkauf anbietet. Wir spazieren neugierig ums Haus und versuchen uns vorzustellen, was wir mit dem Bau anstellen würden und wie man das Aussichtsdeck an der Spitze des Turmes nutzen könnte. Eine Bibliothek oder ein wortwörtlicher "Fern-seh-raum" samt großzügigen Sitzgelegenheiten schwirrt in meinen Kopf, während Ines bereits die Möglichkeit einer Küche oder eines Esszimmers in erhöhter Lage in Betracht zieht. Die kurzen Gedankenspiele regen unsere Fantasie an, bis wir beschließen uns lieber einen wärmeren "Arsch der Welt" zu suchen. Den Abschnitt des Küstenpfades schließen wir jedenfalls ab und freuen uns auch nach der Rückkehr über unsere gute Platzwahl. Am Abend ist es so klar, dass wir einen der schönsten Sternenhimmel der Reise erleben dürfen. Es ist der letzte Tag der Perseiden, der uns den kalten Wind in der Dunkelheit ertragen lässt. Dick eingepackt haben wir die Lehnen der Sessel zurückgelegt und starren die vielen Lichtkörper am Himmel an. Einige Sternschnuppen dürfen wir teilen, wobei der jeweilige Wunsch den wir formulieren, natürlich nie ausgesprochen wird.
Am nächsten Morgen genieße ich hinterm Steuer den Rückweg entlang der (Schmalspur-) Fahrbahn. Wir wollen eine größere Strecke zurücklegen und bis an den Rand des dritten walisischen Nationalparks, der Brecon Beacons, fahren. Dorthin gelangen wir über weitere Straßen, die eher wie Schleichwege erscheinen. Als wäre ihnen nicht nur der Asphalt ausgegangen, sondern auch die Lust am Heckenschneiden, schleichen wir durch die engen Passagen und lernen so manche Ausweichbucht kennen. Wie stets, führt auch diese Route zu einem lohnenswerten Ziel. Am Eingang des Brecon Beacons Nationalparks, der von Bergen, Mooren und Wäldern bestimmt wird, stoppen wir beim Carreg Cennen Castle. Da die Burg zu den schönsten von ganz Wales gehören soll und das Wetter mitspielt, ist uns die Entscheidung für den Abzweiger leicht gefallen. Die Festungsanlage liegt auf einem grünen Hügel und ist weithin sichtbar. Unser Highlight ist der unterirdische Gang, der von der Burg 60 Meter tief in eine stockdunkle Höhle führt. Dort sollen, laut Infotafel, bereits in der Steinzeit Menschen ihre Spuren hinterlassen haben. Die Verwendung der Höhle, zur Zeit als die Burg bewohnt war, ist jedoch unbekannt. Über einen halboffenen Gang unter der äußeren Burgmauer, gelangen wir zum Einstieg und freuen uns über die moderne Technik. Handys, die als Taschenlampe fungieren können, sind ein sinnvoller Begleiter. Als (selbsternannter) Beschützer, schreite ich voran in die Dunkelheit, wo es immer enger und niedriger wird. Von Neugier angetrieben, erreichen wir jedoch das Ende der Höhle und versuchen mit den beiden Handys etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Menschliche Spuren finden wir nicht, aber Ines entdeckt kleine Stalaktiten die von den Felsen hängen. Mein nächstes Highlight folgt danach im Innenhof der Burg. Ich schaffe es, die (verfluchte) moderne Technik mit menschlicher List auszutricksen und bringe die Drohne wieder zum Fliegen. Mein erster Flug über eine Burg macht Spaß.
Einige Kilometer weiter drinnen im Nationalpark finden wir einen schönen Übernachtungsplatz mit Fernsicht. In die Sessel gelehnt, beobachten wir wie die Sonne die Gräser färbt, bevor sie untergeht. Die Schafe, die ringsum unterwegs sind, bleiben vorerst scheu und machen einen Bogen um uns. In unseren zwei Wochen in Wales waren sie ein ständiger Begleiter. Ob sie uns weiter verfolgen, wird sich weisen. Nach der Nacht im Brecon Beacons Nationalpark, geht es für uns bald wieder zurück nach England. In den Südwesten. Dort warten die großen Steinkreise auf uns, Cornwall, die Jurassic Coast und vor allem unsere Freundin Sue, die wir seit acht Jahren nicht mehr gesehen haben.
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�♀️ (Montag, 22 September 2025 20:33)
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