Heilige Quellen und verwunschene Schlösser im Südwesten Englands

Von Steinkreisen und dem Zauber von Glastonbury

Wir verlassen Wales parallel zur Südküste. Die Autobahn führt uns vorbei an den großen Städten Swansea und Cardiff, der Hauptstadt von Wales. "Not much too see there and quite an industrial area" hat Bill die Gegend im Süden beschrieben. Was wir im vorbeifahren erkennen können, deckt sich mit seiner Beschreibung und sieht anders aus, als das Wales das wir bisher erleben durften. Hafenkräne, Kamine und Schlote ragen aus der Peripherie. Dementsprechend viele Wolken hängen trist über den Dächern der Städte. Nachdem wir die längste Brücke Großbritanniens, die fünf Kilometer lange "Prince of Wales Bridge", überqueren sind wir zurück in England. Unser Ziel liegt in Somerset, ein Stück südlich der Stadt Bristol. Es sind die Steinkreise von Stanton Drew, auf die wir uns freuen, als wir Mittags im Stau stecken. Drei Stück gibt es dort zu entdecken, wobei der größte davon gleichzeitig der zweitgrößte des Landes ist. Der Ort Stanton Drew selber ist winzig. Außer einem einzigen Pub, das unsere Übernachtung sichert, gibt es nur Bauernhöfe und wenige Häuser. Perfekt für uns, da wir hier umso weniger Andrang erwarten. Wir parken im letzten Eck des Parkplatzes, "melden" uns an der Bar an und folgen den kleinen Hinweisschildern. Als wir das Gatter öffnen, sehen wir Kühe, große Steine aber keinen Kreis. Die Fläche würde mehrere Fußballplätze umfassen und ist leicht abschüssig. Wir weichen geschickt den Kühen (und ihren Hinterlassenschaften) aus und inspizieren die ersten großen Monolithe. Einige stehen noch in ihrer ursprünglichen Form, während die meisten Steine flach auf der Erde liegen. Ines erklimmt so einen liegenden Riesen und positioniert sich im Schneidersitz, während ich die Oberflächen mit meinen Handflächen abtaste. Der Temperaturunterschied zwischen der sonnenzugewandten Seite und der schattigen, ist größer als erwartet. Weiter unten finden wir den "kleineren" Steinkreis, der mit seinen knapp 30 Metern Durchmesser deutlich besser erkennbar ist. Dass die Hälfte der ebenso großen Steinblöcke noch steht, hilft außerdem. Wir versuchen den Mittelpunkt zu finden und lassen uns dort nieder. Ganz anders, als bei den Steinkreisen im Norden, die inmitten sattgrüner Wiesen oder Wälder zu finden waren, sitzen wir hier auf bereits gut gebräunten und von trockenen Kuhfladen gesprenkelten kurzen Gras. Wir gönnen uns jeweils einen Moment für uns selbst, schießen die Augen und geben unseren Sinnen die Chance, etwas zu fühlen. Ich richte mich auf und spüre tatsächlich, dass ich besonders fest stehe. Stark verwurzelt, als hätte die Schwerkraft hier zugelegt. Ein sanfter Wind bläst mir über die Schulter während mich Sonnenstrahlen wärmen. Ines genießt ihren Moment noch länger und ich lasse ihr Zeit. Gleichzeitig bin ich gespannt, was sie wahrgenommen hat.

Nachdem wir etliche Steine "umgedreht" haben, freue ich mich auf Aufnahmen. Die zuletzt artige Drohne hebt auch dieses Mal ab und knippst ein paar Bilder von oben. Besondere Freude macht mir der Schnappschuss, der uns beide mitten im Steinkreis liegend, abbildet.

Danach müssen wir uns gegenseitig die Kleidung putzen und den Erfolg zusätzlich per Geruchskontrolle kontrollieren. Am Weg zum dritten und letzten Steinkreis, der ein Feld weiter oben liegt, pflücken wir wieder Hände voller Brombeeren. "Naaaaa ja, die sind schon ein wenig zu süß" kommentiert Ines die erste Hand voll. Mir macht der fortgeschrittene Reifegrad weniger aus, weshalb ich die Ernte alleine vertilgen darf. Der dritte Steinkreis ist übrigens schlechter konserviert und deutlich unspektakulärer. So geht's für uns zurück ins Pub, wo wir uns für die Gastfreundschaft per Abendessen bedanken wollen. Dort ist zumindest am Parkplatz mittlerweile viel los. Auch wir sind von anderen Campern so dicht eingeparkt, dass das Ausparken am kommenden Tag sicher spannend wird. Gerade als wir beim Bus ankommen, versucht ein letzter Camper noch eine Lücke auszufüllen. Höflich wie wir sind, stoppen wir vor dem Bus mit deutschen Kennzeichen, damit sich die junge Dame hinterm Lenkrad voll auf die Rückspiegel konzentrieren kann. Als das Vorhaben etwas zögerlich wirkt, deuten wir der jungen Lenkerin und bieten ihr Hilfe in Form von Einweisen an. Nicht nur versteht sie unsere hilfsbereiten Absichten nicht, sondern hüpft auch noch aus dem Bus und schnauzt Ines an. "Ich brauche keine Hilfe" schimpf sie und läuft dabei so rot an, wie die Pumucklfrisur, die unter ihrer ledernen Punkmütze zum Vorschein kommt. Ein ganz freundliches Mädel aus der Kategorie "Ich hasse Alles und Jeden". Als sie es geschafft hat den Bus zu platzieren, wird ihre kleine Freundin mit der Halbglatze, die vom Beifahrersitz alles still beobachtet hat, leidenschaftlich abgeschmust.

Die zwei Gören sind beim überraschend geschmackvollen Abendessen im Pub vergessen, aber was uns ein wenig wundert, ist die Etikette der anderen Camper. Der Blick im Gastgarten lässt darauf schließen, dass wir zu den ganz Wenigen gehören, die als Gegenleistung fürs Parken, hier etwas konsumieren. Mit den Gören habe ich ohnehin nicht gerechnet, mit den beiden jungen Paaren, die barfuß samt verschlissenen Batikhosen, Fliegenpilzanhänger und Trommeln aus ihrem Bus gehüpft sind, auch weniger. Aber der Rest?

Das Ausparkmanöver am Morgen gelingt und wir steuern mit Glastonbury den nächsten Ort an, den wir besuchen möchten. Ich kenne den Ort vorrangig wegen des jährlichen Musikfestivals, das zu den größten der Welt zählt. David Bowie, The Rolling Stones, Metallica, Bruce Springsteen oder auch Adele zählten zu den Headlinern, die vor 300.000 Fans (!) hier gespielt haben. Unser Reiseführer, in Kombination mit der Suchmaschine, hat noch weit mehr Infos zu bieten. Glastonbury soll darüber hinaus als Avalon gelten, dem legendären Ort der keltischen Mythologie an dem König Artus begraben liegt. Außerdem befindet sich Glastonbury auf dem Schnittpunkt zweier Ley-Linien, einem Netz aus Linien, das ein englischer Antiquar vor 100 Jahren entdeckt hat. Demnach liegen viele der bedeutendsten Monumente der Weltgeschichte entlang gerader Linien. In England, wo diese Linien eine bekannte Sache sind, tun sie das ebenfalls. Die Luftbildarchäologie hat in den letzten Jahrzehnten sogar neue Belege für kilometerlange lineare Verbindungen in Englands Stätten entdeckt. Viele Menschen glauben sogar, das den Linien Kraft entspringt und pilgern deshalb nach Glastonbury. Wir kennen uns mittlerweile schon gut aus mit Pilgerstätten und sind gespannt, was wir hier alles erleben werden und welche Typen uns über den Weg laufen. Unser erster Weg führt uns zu dem wichtigsten Monument der Stadt, dem "Glastonbury Tor". Das "Tor" kommt aus dem keltischen und bedeutet Hügel. Auf diesem Hügel befinden sich die Überreste (genau ein restaurierter Turm) des St. Michael Klosters aus dem 14. Jahrhundert. Davor haben sowohl die Kelten, als auch Römer den 158 Meter hohen Berg besiedelt, sowie die Menschen der Steinzeit, deren Werkzeuge hier entdeckt wurden. Bevor wir den Pfad zum gut besuchten Hügel finden, verlaufen wir uns kurz. Vielleicht lag es an den bunt geschmückten Fassaden und Fenstern, aus denen Elfen- und Feenfiguren oder Zauberer herausgucken. Vielleicht aber auch an den improvisierten Verkaufsständen am Straßenrand, die Zauberstäbe anbieten. Wir reden hier von richtig großen Zauberstäben aus Wurzelstock samt Edelsteinen. Keine Bleistiftstäbe, wie sie Harry Potter benutzt. Jedenfalls finden wir uns vor einem "heiligen Wassertempel" wieder. So stehts draußen am Schild, neben dem ein Typ aus der Kategorie "Hells Angels" Wache steht. Der finstere Biker überwacht, dass Niemand während einer Zeremonie Zutritt in die Grotte erhält. So eine findet anscheinend gerade statt und wir wollen ohnehin hinauf zum "Tor". Der Weg ist steil, aber nicht lange und der erste Ausblick auf den Turm ist vielversprechend. Als wir oben ankommen, erwartet uns gleich eine angenehme Überraschung. Es wird musiziert, wild getrommelt und getanzt. Vier Frauen schlagen lange Stöcke auf die Erde und drehen sich im Kreis. Die Gruppe, allesamt schwarz kostümiert, feiert am Gipfel des Hügels ein heidnisches Ritual. Obwohl wir nur die letzten Minuten der Aufführung erleben, sind wir gut unterhalten. Danach gibt's Picknick und einen schönen Rundumblick vom Gipfelplateau. Am Weg in die Innenstadt stoppen wir abermals beim Wassertempel, sind neugierig wie die heilige Quelle aussieht und ob man mittlerweile hinein darf. Wir dürfen. Der Wächter sieht nicht mehr so finster drein wie vorhin und das Tor in die dunkle Grotte ist leicht geöffnet. Nicht nur Fotografieren, sondern die Mitfuhr sämtlicher elektronischer Geräte ist generell untersagt. Außerdem wird auf dem Schild am Eingang noch vor "Open Flames" und "Nudity" gewarnt. Wir staunen nicht schlecht und bewegen uns hinein. Drinnen ist es dunkler und kälter, als erwartet. Rauchschwaden ziehen durch die Luft und steigen zur dunklen Decke der Grotte. Es riecht nach Sandelholz und Salbei. Die zahlreichen Kerzen erhellen vor allem das Becken in der Mitte, in das man hineinsteigen darf. Unseren Waden zuliebe, lassen wir uns die Chance nicht entgehen und steigen knietief ins kalte Becken. Nachdem wir uns drinnen noch ein wenig umsehen, schnappen wir unsere Schuhe und finden wieder den Weg nach draußen.

Dort spielen mittlerweile ein paar ältere Semester Gitarre, rauchen Joints und stören sich nicht an unserer Gesellschaft. Als unsere Füße wieder sauber und trocken sind, verlassen wir die Runde und wandern zurück ins Ortszentrum. Bunte Fassaden und noch buntere Auslagen erwarten uns. Wandbemalungen und Fassadendekor in Form von Hexenbesen oder Krähen. Zauberläden reihen sich an Ethno-Shops. Edelsteine in allen Farben konkurrieren mit bunter Hippie Mode aus Indien. Es sind viele Läden und eines muss man ihnen lassen: Sie sind stets sehr einladend hergerichtet und haben mindestens einen schrulligen Typen oder eine stolze Hexe hinter der Theke stehen. Wir haben jedenfalls unsere Freude am flanieren. In den "Goddess Temple" lassen ich Ines alleine hineinspazieren, möchte ja keine der Göttinnen drinnen stören. Wenige Momente später steht meine Liebste wieder vor der Tür und deutet mir nachdrücklich ihr zur folgen. Was man nicht alles aus Liebe tut.

Entlang der Straße murmelt ein Typ vor sich und bemalt, leicht manisch wirkend, den Boden mit bunter Kreide. Tatsächlich erschafft er hübsche Mandalas, die er mit Zitaten versieht. Er muss schon eine Weile unterwegs sein, den seine Gehsteigverschönerung ist weithin sichtbar. Ines wirft ihm zwei Münzen in die Kappe und wir kehren bei einem kleinen Café ein. Dort lassen wir den Ort noch ein wenig auf uns wirken und planen die letzte Etappe des Tages, die uns ein Stück weiter nach Westen bringt.

Zu Gast bei Sue und Regen in Cornwall

Im Herzen von Devon, sehr ländlich und abgeschieden, wohnt unsere Freundin Sue. Sie ist ein Grund, warum wir nach England gereist sind und erwartet uns am späten Nachmittag in ihrem Zuhause. Unser Wiedersehen haben wir uns anders vorgestellt. Vor sieben Jahren sind wir uns über mehrere Wochen, von Tansania bis hinunter nach Namibia, immer wieder begegnet und haben viele lustige Momente zu viert verbracht. Sue und ihr Mann Ian waren Teil unseres großen Afrikareise und sind dementsprechend auch auf den Fotos der damaligen Beiträge verewigt. Durchschnittlich alle zwei Jahre haben wir es seit dem geschafft, unregelmäßig aber ausführlich per E-Mail in Kontakt zu bleiben. Es war bereits länger, als ein Jahr her, dass wir zum letzten Mal per E-Mail Nachrichten ausgetauscht hatten. Anfang Juni habe ich vom Campingplatz im Süden Frankreichs Sue geschrieben und schon am nächsten Tag eine ungewöhnlich rasche Antwort erhalten. Sues Mann Ian, den ich besonders mochte, ist vergangenes Jahr gestorben und sie kommt seitdem gleich schlecht wie recht über die Runden. Mir ist beim Lesen der Nachricht ein Kloß im Hals stecken geblieben und ich fühlte mich sehr betroffen. Als äußerst robust, von Grund auf heiter und lösungsorientiert habe ich meinen Freund in Erinnerung, der viel zu jung verstorben ist. Auf unser Wiedersehen, die Geschichten von "unserem" (jeweils geliebten) Afrika und ein paar gemeinsame Gläschen habe ich mich seit Jahren gefreut und mich öfters gefragt, wie und wo unser nächstes Treffen sein wird.

Sue hat ihre Nachricht mit einer Einladung abgeschlossen und damit, dass sie uns auch alleine sehr gerne wiedersehen möchte.

Nachdem wir den Schock weggesteckt hatten, haben wir uns relativ rasch dazu entschieden, Sue "erst recht" auch alleine zu besuchen. Wir hegen auch die Hoffnung, Sue mir unserer Gesellschaft etwas Abwechslung und Heiterkeit zu bescheren, obwohl unsere gemeinsamen Erinnerungen ausschließlich die Momente zu viert umfassen.

"Nau, samma do richtig?" frage ich bei Ines nach, als wir durch die Mutter aller einspurigen Straßen schleichen. Anders als bei uns, haben viele Adressen in England keine Hausnummern sondern Kombinationen aus Buchstaben und Ziffern, die das Navigationsgerät nicht kennt. Am Land fallen oft sogar noch die Straßennamen weg, womit ich meine Nachfrage als berechtigt empfinde. Ines ist sich sicher und wir landen tatsächlich beim Nachbarn, nur einige hundert Meter weiter. Der leitet uns richtig und wir finden ein hübsches englisches Landhaus mit einem großen Garten, voller Pflanzen. So, vielleicht ein wenig kleiner, haben wir uns ihr Zuhause vorgestellt.

Was uns erwartet ist eine Sue, die sich äußerlich kaum verändert hat. Die Umarmung tut gut und unser Timing passt. Ines hilft ihr liebend gerne beim Kochen, während wir aus dem Plaudern nicht mehr herauskommen. Es ist ein schöner erster gemeinsamer Abend. Sue wirkt aufgeräumt, als sie von Ians Krankheit und den letzten Jahren erzählt. Als erfahrene "Overlanderin" weiß sie um unsere Bedürfnisse, bietet uns ein Badezimmer an, Wäsche zu waschen und überlässt es uns, ob wir draußen im Bus nächtigen wollen.

Am nächsten Morgen dürfen wir Sue sogar unter die Arme greifen. Einige Kleinigkeiten, die Ian sonst erledigt hätte, meint sie aufgeschoben zu haben. Das bisschen schleppen übernehmen wir gerne und fordern im Anschluss weitere "Aufträge" ein. So dürfen wir uns auch noch um die Beete kümmern, ums Unkraut und um den Kompost. Die drei sonnigen Stunden am Nachmittag, verbringen wir jeweils mit unseren Büchern, bevor Sue uns zu einer Tour durch die Gegend mitnimmt. Im exakt gleichen Modell des Kleinwagens (ein Honda Jazz - lediglich grau statt blau), mit dem uns schon Bill eine Woche zuvor kutschiert hat, dreht auch Sue ihre Runde mit uns. Nach einigen Schmalspurabschnitten erreichen wir das Hochmoor, das sich über die ganze Region erstreckt. Wir sind im Exmoor Nationalpark, wo es neben Sümpfen und Wiesen auch frei lebende Ponys zu sehen gibt. An einem Aussichtspunkt parken wir, bauen unsere mitgebrachten Campingstühle auf, veranstalten ein Picknick und beobachten wie die untergehende Sonne das Moor rot färbt.

In der Früh steht eine kurze Ausfahrt mit dem Bus an. Etwas 15 Minuten von Sues Zuhause entfernt, liegt die einzige Stadt der Gegend. Dort in South Molton, wollen wir bei einer der beiden Werkstätten unser Glück versuchen. Ich vernehme seit über einer Woche ein deutliches Geräusch beim Lenken und bin mit meinem bescheidenen Mechaniker-Latein überfordert. Meine Sichtkontrolle hat nichts ungewöhnliches erkennen lassen, womit mein Verdacht auf eine Spurstange fällt. Bei den holprigen Straßen Marokkos und wiederum hier in Großbritannien, ein überaus naheliegender Verdacht. Sue meint, dass es aussichtsreicher sei, wenn sie in der Werkstatt, als bekannte Kundin, vorspricht. Sie will ohnehin einiges in der Stadt erledigen und fährt selber mit dem Auto dorthin. Nachdem unsere favorisierte (und gleichzeitig Sues bekannte) Werkstatt keine Zeit hat, bietet uns zumindest die zweite Werkstatt, eine Ecke weiter, in zwei Stunden einen Termin an. Wir nutzen die freie Zeit und begleiten Sue in ihre Lieblingsbäckerei. Danach trennen sich unsere Weg und wir fahren zur Werkstatt, wo der Mechaniker plötzlich überrascht wirkt. Er hat wohl den Bus vorhin nicht registriert und meint: "Sorry, that's too big of a car, i can't lift it here". Ich nenne ihm das Gewicht des Busses, schildere die Problematik und bleibe zuversichtlich. Damit kann ich ihn aber nicht anstecken. Immerhin kann er mir jemand anderen nennen, der helfen kann. "There is a garage for trucks over there...ask for Craig, he'll be able to help you". Ich frage noch, ob ich mich dort in der LKW-Werkstatt auf ihn berufen kann und breche auf.

Ines navigiert uns ans andere Ortsende, in ein kleines Industriegebiet. Dort finden wir das besagte Areal, wo es ein wenig nach Werkstatt und mehr nach Spedition aussieht. Ich finde das "Office", das einem geschäftigen Großraumbüro gleichkommt und frage dort nach Craig. "Oh for sure, he's down there" meint die freundliche Sekretärin, ohne nachzufragen was den der Anlass meines Besuches ist. Sehr sympathisch, wie ich finde. Sie geleitet mich ein Stück, bis wir gemeinsam mit Hilfe von Kollegen Craig im Ersatzteillager finden. Der Mann sieht erfahren und freundlich aus. Ich schildere ihm mein Anliegen und erwähne obendrein, wie gut sein Ruf bei den Kollegen in der Stadt ist. Er freut sich, gibt sich jedoch bescheiden und nimmt sich prompt Zeit für mich! "You can just enter there, i'll have a look" deutet er auf die große Werkstatt mit Grube, aus der eben noch ein monströser LKW zurückgesetzt hat. Ich gebe Ines und Sue, die uns nachgefahren ist, Bescheid und verabschiede mich von den Damen, die gemeinsam ins äquivalent des heimischen Lagerhauses aufbrechen. Craig weist mich ein und schnappt sich die Taschenlampe. Er deutet mir, gleich mitzukommen, worauf ich ohnehin gehofft hatte. Den Übeltäter findet er nach 20 Sekunden (im Gegensatz zu den 5 Minuten, die ich vorab darunter gelegen bin). "Look, the clip is broken" meint er und deutet auf eine dicke Metallspange unter dem Lenkgetriebe. Ob man die schweißen könne, frage ich hoffnungsvoll und erhalte einen Daumen nach oben. Während er sich ans "welding" macht, soll ich doch ohne die Spange eine Runde drehen und schauen, ob das Geräusch weg ist, meint Craig. Ich verlasse hoffnungsvoll das Areal, nehme bewusst ein Schlagloch in Kauf und drehe im nächsten Kreisverkehr exakt drei Runden (im Uhrzeigersinn) bevor ich zufrieden zurückkehre. Mein Held des Tages ist ebenso zurück vom Schweißen und hält triumphierend die noch heiße Spange per Zange in die Höhe. Als Held, hätte ich gerne ein Foto von ihm geknipst und trage ihm dem Wunsch vor. "Naked, or dressed?" antwortet er lachend. Nach vollbrachtem Werk plaudern wir ein wenig und ich erfahre, dass Craig vor fast 40 Jahren in Österreich war. Seine Erinnerungen beschränken sich auf einen Motorrad Grand Prix und süffiges Bier.

Ich bedanke mich aufrichtig für seine rasche Hilfsbereitschaft und bin der ganzen Firma dankbar für die unkomplizierteste Werkstatt-Behandlung aller Zeiten. Die veranschlagten 30 Pfund zahle ich gerne und verabschiede mich glücklich.

Am Abend gelingt es Ines und mir, Sue in die Welt der Live-Streams einzuführen. Sie mag Dinge wie "YouTube" gar nicht, sagt sie überzeugt. Dafür mag sie, so wie wir, ganz besonders die afrikanische Wildnis. Als wir ihr unsere zwei bevorzugten Kanäle vorführen, kann Sue es kaum fassen. "Wow, is this really live?" fragt sie begeistert. Dann beobachten wir, wie vor vielen Jahren gemeinsam vor Ort, wie sich Nashörner am Wasserloch von Okaukuejo vergnügen. Dabei sind wir so mucksmäuschenstill, als wären wir vor Ort. "You know, this might change my life!" meint sie strahlend.

Am nächsten Morgen sitzen wir ein letztes Mal gemeinsam beim Frühstück und nehmen langsam Abschied. Sue hat sich im letzten Jahr angeeignet, stets einen vollen Terminkalender zu haben und so dürfen wir mit ruhigem Gewissen wieder weiterreisen. Wir sind froh, dass sie drei ganze Tage für uns reservieren konnte. Nachdem Sue einen beachtlichen Teil der letzten 10 Jahre gereist ist, möchte sie sich wieder ein taugliches Gefährt zulegen. Vielleicht findet unser nächstes Wiedersehen also irgendwo unterwegs statt. Höchstwahrscheinlich "treffen" wir uns vorher beim Live-Stream eines Wasserlochs in Namibia.

Nach einer knappen Stunde Fahrzeit, verlassen wir Devon und erreichen Cornwall, den südwestlichen Zipfel Englands. Wir sind am Vorabend gemeinsam mit Sue noch einige Orte durchgegangen, die wir mit "English Heritage" besuchen können und haben ein paar Tipps bekommen. Leider soll das Wetter nur mehr wenige Stunden mitspielen, bevor in Cornwall vorerst der Regen übernimmt. Als wir den Küstenort Tintangel erreichen, sind die Wolken noch entfernt. Lediglich der Wind peitscht kalte Luft übers Land. Erst der dritte Parkplatz, den wir probieren, kann ohne App bezahlt werden, was unnötig Zeit in Anspruch nimmt. Der kleine Ort ist ziemlich touristisch, was auch am gut plakatierten Tintangel Castle liegt, das auch uns hierher geführt hat. Malerisch ist die Lage auf jeden Fall. Die Ruinen befinden sich auf einem vorgelagerten Felsmassiv, das einer Insel gleicht. Die natürliche Landbrücke ist erodiert und wurde erst kürzlich durch eine moderne Brücke ersetzt. Der Spaziergang samt der Aussicht ist schön, die Ruinen leider weniger. Während zu Beginn noch Mauern und Tore erhalten sind, müssen wir die restlichen Spuren der Vergangenheit suchen. Es ist so wenig von der Burg erhalten, dass wir bei Zeiten wieder umdrehen. Als wir auch den kleinen Ort abgegangen sind, ziehen vom Atlantik die ersten dunklen Wolken auf. Rechtzeitig verschanzen wir uns im Bus, bevor das Unwetter sich über uns entlädt. Trotz der Dauerbeschallung durch den starken Regen, verbringen wir eine angenehme Nacht und müssen am Morgen feststellen, dass die Wolken noch dunkler und dichter über uns hängen. Drei verschiedene Wetterapps sind sich einig, dass es in der ganzen Region erst kommende Woche wieder aufhören soll zu regnen. Wir entscheiden uns, von der Nordküste Cornwalls, in den Süden zu fahren, wo die Chancen besser stehen, den Bus ein wenig länger verlassen zu können. Nach einem trüben und feuchten Stopp in der Stadt Bodmin, erreichen wir das Restormel Castle pünktlich zu einer Regenpause. Das Rundschloss aus dem 13. Jahrhundert ist deutlich besser erhalten, als die Ruinen vom Vortag. Auf einem Hügel gelegen, inmitten von wildreichen Wäldern, war das Schloss der Jagdsitz von König Edward IV. Die Außenmauern sind gut erhalten und somit auch begehbar. Wir drehen (im wahrsten Sinn des Wortes) eine Runde und bleiben fast bis zum Schluss trocken.

Unser Nachtlager finden wir bei einem Campingplatz in der Nähe, wo wir vom Bus aus solange das Meer sehen können, bis die dichten Wolken und der Regen die Sicht nehmen.

"Des gibts jo ned" pfauche ich mein Handy an. Die App, die täglich aufs Neue Regen prognostiziert, ist Schuld. So flüchten wir ein Stück weiter entlang der Südküste Cornwalls bis wir schlussendlich in der Großstadt Plymouth ankommen. Die Stadt ist bekannt für seine lange Seefahrergeschichte. Einst Hochburg von Piraten, wurde Plymouth zum Stützpunkt der englischen Seeflotte und Heimathafen, der Mayflower, die 1620 in die neue Welt aufgebrochen ist, um dort die zweite Kolonie in den heutigen USA zu gründen. Speziell das Hafenviertel Barbican soll neben der Altstadt sehenswert sein. Dort parken wir den Bus und starten unsere Tour. Keine 10 Minuten dauert es, bis sich der Himmel vollständig verdunkelt und sich von seiner fiesen Seite zeigt. Wir finden Unterschlupf und warten neben anderen Passanten geduldig auf Besserung. Als es danach kurz aufklart, erkunden wir das Hafenviertel und halten dabei stets Ausschau nach einem trockenen Unterschlupf. Wir bleiben optimistisch, gönnen uns sogar einen Kaffee im Freien und tauchen bei der nächsten Wolkenfront in eine große Shopping Mall ein. Hier laden wir unsere SIM-Karte auf und können, dank eines Sportgeschäftes und einer Waterstones Bücherhandlung, leicht auf das nächste trockene Fenster warten. Gerne hätten wir ein wenig mehr von dem Ort gesehen, der uns immerhin eine trockene Stunde vergönnt war.

Der Wanderparkplatz, wo wir die Nacht verbringen wollen, liegt noch weitere 40 Minuten entfernt. Ruhig und am Rande eines dichten Waldes, gefällt uns der Ort auf Anhieb. Hier wollen wir dem Dauerregen trotzen und können uns bestenfalls auch draußen aufhalten, sollte es mal aufhören zu regnen. Das tut es in den kommenden 40 Stunden genau zweimal. Jedes Mal kurz, aber gerade lange genug um uns jeweils die Beine zu vertreten. Es schüttet sonst wie aus Kübeln und am Morgen mussten wir entsetzt feststellen, dass auch der Kopfpolster und das Leintuch hinten feucht sind. Unser Vorhang war leider unbemerkt ein Stück weit in der Hecktüre eingeklemmt. Von dem kleinen Stück Stoff hat Wasser allmählich den Weg in unseren Bus gefunden, der sich nicht sonderlich als Ort zum Trocknen eignet. Während es draußen nass und drinnen feucht ist, beobachten wir obendrein, wie sich die Bordbatterie verflüchtigt. Rund um Plymouth regnet es noch intensiver und somit üben wir uns im Aussitzen.

Das "verwunschenste" Schloss Englands

Als wir nach zwei Nächten aufbrechen, erwarten wir sehnsüchtig die prognostizierte Regenpause am Nachmittag und werden nicht enttäuscht. Davor präsentieren sich Englands Hauptstraßen wieder von ihrer schmalsten Seite. Etwas für Romantiker, wenn nicht der Gegenverkehr, die Schlaglöcher und die tief hängenden Äste wären. In Dartmouth besuchen wir das gleichnamige Castle und danach den alten Seehafen. Das Castle selber ist eigentlich nur Namensgeber, denn die besser erhaltene Anlage ist das Fort und die Kirche zu dessen Füßen. Dort dreht sich im Museum fast alles um Kanonen und Kriegsführung, was nicht gerade unser Interessensschwerpunkt ist. In Erinnerung bleibt jedenfalls die ausgeklügelte Technik, die im Mittelalter angewendet wurde, um Angreifer aus dem Meer abzuwenden. So wurden zur Abwehr massive Ketten zwischen den gegenüberliegenden Ufern gespannt. Erst wenn die fremden Boote dort "steckengeblieben" sind, kamen die großen Kanonen zum Einsatz. Am Kai des Ortes finden wir später Einheimische, die mit Campingstühlen und Kübeln ausgestattet, ihrem Hobby nachgehen. Gemeinsames Krabbenfischen ist angesagt. Vor ihnen liegt ein Raddampfer vor Anker, dahinter ein großes, in die Jahre gekommenes, Kriegsschiff. Der Ort ist kleiner als erwartet und fesselt uns nur kurz. Wir brechen zu einem Campingplatz auf, wo wir mit etwas Glück noch im Trockenen ankommen.

In Totnes, nur 30 Minuten nördlich, gibt es wieder was zum Besichtigen. Eine weitere Burg, die im normannischen Stil auf dem höchsten Punkt der Stadt errichtet wurde. Der Ausblick von dort ist trüb aber nett. Die Stadt selbst ist jedenfalls einen Spaziergang wert. Bei einem Lokal quatschen uns zwei Seniorinnen höflich an. Sie sind neugierig von wo wir kommen, wie es uns gefällt, was wir schon gesehen haben, usw.. Eine von beiden, die mit dem hellen modischen Gilet, den weißen Schuhen und den kürzeren Haaren, plaudert am meisten. Sie fragt unentwegt und freut sich sehr, dass ich ebenso redselig sein kann. "Oh, she has beautiful bright blue eyes" nickt sie mir zu und deutet auf Ines. "That's the reason you married her, right?" fügt sie lachend hinzu und verteilt noch weitere Komplimente. Als wir aufbrechen sieht man den Damen ein wenig Enttäuschung an. Auch wir könnten noch plaudern, haben aber am Nachmittag noch ein wenig Strecke vor uns. Obwohl wir uns mit dem verbleibenden Rundgang durch Totnes beeilen, erwischt uns der nächste Regen.

Da wir offensichtlich von Burgen und Schlösser noch nicht genug haben, geht es für uns weiter zum Berry Pomeroy Castle. Bis zur schmalen Zufahrt, ist es uns nicht nur gelungen, den Wolkenbruch abzuhängen, sondern sogar ein Stück blauen Himmel zu finden. Hinter dem vollständig erhaltenen Torhaus und der Burgmauer lässt sich von außen bereits ein großer Palas erkennen. Der Audioguide, den wir am Empfang erhalten, ist nicht nur informativ sondern auch unterhaltsam. Die Erzählstimme spielt den Butler der Lords und Ladies, die das Schloss im 16. Jahrhundert bewohnten. So erfahren wir, dass es sich hier um das "verwunschenste" Schloss von ganz Englands handelt. Immer wieder soll ein weiße (und blaue) Frauengestalt nachts gesichtet werden. Dabei soll es sich um den Geist einer Frau handeln, die wegen Eifersucht, von ihrer Schwester in den Kerker verbannt wurde. In dem Kerker stehen wir gerade und blicken aus den schmalen Öffnungen in der Wand. Neben den wenigen geschlossenen Räumen die übrig sind, lassen die hohen Mauern und Pforten des Palas auf den Prunk schließen, der im Berry Pomeroy Castle zugegen war. Uns gefällts hier gut, was sicher auch ein wenig an der Rückkehr des blauen Himmels liegt.

Nach unserem Rundgang erkundigen wir uns, ob eine Übernachtung am Gelände möglich ist und werden von dem Mitarbeiter von English Heritage höflich vertröstet. Nachdem sich in der Vergangenheit immer wieder Leute illegal Zutritt verschafft haben, um Mutproben oder Geisterjagden zu veranstalten, wird das ganze Gelände am Abend verriegelt und ringsum gesperrt. Da uns der mögliche Stellplatz in der Nähe nicht unbedingt zusagt, fahren wir bis nach Exeter weiter, wo wir nahe des Zentrums einen Platz finden, der sicher erscheint. Die Nachbarschaft wirkt zwar nicht unbedingt einladend, ist aber halbwegs ruhig und fußläufig von der Altstadt entfernt. Dort gibt es das Royal Albert Memorial Museum, dass viele archäologische Schätze beherbergt, und unser erster Stopp am nächsten Morgen werden wird. Obwohl uns der Regen am Abend neuerlich aufs Dach prasselt, soll es die kommenden Tage auch Sonnenfenster geben. Sollten die ausbleiben, treffen wir bestimmt die nächsten Engländer, die unsere Laune erhellen werden.

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Kommentare: 1
  • #1

    Andi (Donnerstag, 02 Oktober 2025 09:54)

    Immer wieder beeindruckend (und manchmal auch etwas schockiert, Stichwort: Gören) was ihr alles erlebt… und die tollen Bilder � Gute Weiterreise!